Bad Dürkheim Wilde Fahrt im Karussell der Gefühle

Am Anfang ist Optimismus: „Jetzt werden wir bald alle fliegen“, meint Karoline zu ihrem Kasimir, als ein Zeppelin über dem Festgelände erscheint. Regisseurin Susanne Schmelcher holt das Geschehen des 1932 uraufgeführten Stücks vom Münchener Oktoberfest auf den Dürkheimer Wurstmarkt. Es flimmert ein Schauplatz auf, dessen Stimmungen widersprüchlicher nicht sein könnten. Eine Fülle von Eindrücken bringt die Inszenierung auf die Bühne – unter anderem mithilfe des Bühnenbilds von Thomas Giel. Da geraten die über dem Boden schwebenden Großbuchstaben „LOVE“ in schaukelnde Bewegungen, tragen die Menschen ein Stück nach oben und lassen sie wieder niedersinken. Mehrfarbig und vielversprechend beleuchtet, sind die Lettern somit gleichzeitig Hilfe und Hindernis. Der Wurstmarkt wird zu einem Kampfplatz besonderer Art, auf dem Gefühle durcheinander wirbeln, Sehnsüchte vernebeln, Liebe in Bitternis endet, Aggression ausbricht und durchweg das Irrationale Regie führt. All das bringen die TadW-Darsteller mit viel Einsatz zum Ausdruck. Das zerstrittene Paar Kasimir und Karoline spielen Levin Steinbach und Naomi Hutomo, die beide beim TadW zum ersten Mal auf der Bühne stehen. Zwischen Zwist und Wiederannäherung zeigen sie das Unstete zerrissener Seelen: Steinbach überzeugt als unglücklich Leidender, der schließlich in barsche Abweisung verfällt, Hutomo mimt dagegen die Berechnende, die alsbald bemüht ist, ihre Liebe zu retten. Doch zu spät, denn längst hat sich das Karussell der Gefühle weiter gedreht. Ödön von Horváth markiert die emotionsgeladenen Wechsel seiner Szenen wiederholt mit der Anweisung „Stille“. Bei der Umsetzung beweist die Regie einen scharfsichtigen Umgang, das Unbeständige und Schwankende der Beteiligten wird klar herausgearbeitet. Eindrucksvoll agieren Jakob Dreyer als Merkl Franz und Marisa Völker als „dem Merkl Franz seine Erna“. Während Dreyer seine Rolle mit brutaler Intensität ausfüllt, was dem Zuschauer stellenweise regelrecht weh tut, gestaltet Marisa Völker einen starken Gegensatz zu seiner Gewalttätigkeit und zaubert Hoffnung von Liebe hervor. Doch das sind nur kleine Momente. Weiter wirbeln die Menschen im Kreis herum, rempeln, raufen, schlagen einander nieder und statt tröstlicher Wärme zischt frostiger Dampf über die Szenerie. Kritiker warfen von Horváth derben Zynismus vor. In Zeiten von Wirtschaftskrise, Massenarbeitslosigkeit und Rechtsradikalismus wollte er jedoch sentimentalen Kitsch ebenso entlarven wie brutalen Egoismus. So sind seine „Volksstücke“ realistische Schilderungen gesellschaftlich geprägter und entfremdeter Menschen auf der Suche nach einem besseren Leben. Im turbulenten Treiben des Jahrmarkts gibt das TadW diesem Suchen ein flirrendes, immer anders beleuchtetes Gesicht, das auch für unsere Zeit Gültigkeit hat. Groteske Gestalten tauchen auf, seien es besoffene lüsterne Alte, gespielt von Franz Leiß und Andreas Böcker, oder skurrile Zerrbilder aus der Abnormitätenschau, von denen stellvertretend Anna Catarata als Unbesiegbare und Laura Dreyer als Gorillamädchen genannt seien, letztere mit dem Lied „Schöne Nacht, du Liebesnacht“. Mal pseudo-romantisch, mal treibend und hart ertönt die Musik mit Kompositionen von Patrick Buttmann und eingängigen Pop- oder Operetten-Stücken, die in Kontrast zum Geschehen stehen. Wenn Kasimir zu Erna findet und Karoline die angeblich nimmer aufhörende Liebe im Zuschneider Eugen Schürzinger (passend verkörpert von Daniel Neubauer-Pfähler), findet, sind Partner getauscht, Bindungen ersetzt. Doch das Glück bleibt fraglich und so unwägbar wie der Flug der bunten Ballons, die in den Abendhimmel über der Klosterruine aufsteigen. Termine Weitere Vorstellungen sind am 15. ,16., 17., 23., 24. und 30. Juni sowie am 1. Juli jeweils um 20.30 Uhr. Ab 18.45 Uhr gibt es einen kostenlosen Buspendelverkehr ab Wurstmarktplatz und Busbahnhof.

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