Frankenthal „Traut euch, Arschlöcher zu sein“

Die Jungen sind strebsam, die Alten chaotische Alt-Hippies: In ihren Rollen spielen Flora-Lu Kubetz (links) und Yvonne Vogel mit
Die Jungen sind strebsam, die Alten chaotische Alt-Hippies: In ihren Rollen spielen Flora-Lu Kubetz (links) und Yvonne Vogel mit Klischees.

In der Generationenkomödie „Wir sind die Neuen“ gründen drei Althippies eine Wohngemeinschaft und treffen in ihrem neuen Zuhause auf drei spießige Studenten. Ralf Westhoffs Kinoerfolg inszeniert Maria Breuer am Theater Alte Werkstatt Frankenthal. Flora-Lu Kubetz (20) spielt die strebsame Barbara, Yvonne Vogel (55) die partymachende Anne. Wir sprachen mit den beiden Schauspielerinnen über das WG-Leben und Klischees.

Frau Vogel, Frau Kubetz, könnten Sie sich vorstellen, zusammen in einer Wohngemeinschaft zu leben?

Vogel: Keine Ahnung, wir kennen uns noch gar nicht richtig. Ist das die Voraussetzung, um zusammenzuleben? Kubetz: Ich kannte meinen Mitbewohner tatsächlich privat kaum, nur über die gemeinsame Arbeit beim Theater. Er ist 32 und mitten im Referendariat, hat also ein ganz anderes Leben als ich. Aber es klappt. Welche Rolle spielt das Alter? Kubetz: Für mich keine große. Am Theater bin ich mit Menschen ganz unterschiedlichen Alters zusammen, und dabei gefällt mir gut, dass alle gleichberechtigt sind. Wenn jemand einen guten Vorschlag macht, wird der akzeptiert, egal, ob er von einem jungen oder älteren Kollegen kommt. Frau Vogel, wie leben Sie? (lacht) In einer Wohngemeinschaft. Mit wem? Mit meinem Ex-Freund und meinem jetzigen Freund. Oh, das ist unkonventionell. Finden Sie? Für mich ist das ganz normal. Wir sind schon dreimal zusammen umgezogen. Also zwei Männer und eine Frau wie in „Wir sind die Neuen“. Haben Sie eigentlich den Film gesehen? Vogel: Ja, damals, als er im Kino war. Aber jetzt gucke ich ihn mir bewusst nicht noch mal an. Ich will lieber meine eigene Anna spielen als die von Gisela Schneeberger. Kubetz: Ich habe ihn tatsächlich vor nicht allzu langer Zeit gesehen. Und ich bin so gar nicht wie meine Rolle Barbara. Die Jungen sind ja erst einmal die Unsympathischen. Kubetz: Genau, wir haben auch gleich gehört: Traut euch, Arschlöcher zu sein, die anderen anzufahren. Kennen Sie diesen Studenten-Typus, der da verkörpert wird? Kubetz: In Heidelberg gibt es wahnsinnig viele Jura- und Medizin-Studenten. Die entsprechen schon dem Klischee der Polohemden-Träger. Aber das sind ja Äußerlichkeiten. Kubetz: Da sind total viele sympathische, liebe dabei. Aber ich arbeite auch in der Gastronomie und muss sagen, dass ich schon öfter von oben herab behandelt werde. Und dieses Karrieremäßige? Kubetz: Ich behaupte, der Wunsch in meiner Generation ist auf jeden Fall da, straight zu sein. Es gab ja noch nie so viele Studenten wie heute. Und viele bekommen Druck von Zuhause oder überlegen schon am Anfang des Studiums, wie sie das Bafög zurückzahlen können. Vogel: Den Druck gab es schon immer. Ich denke, das ist auch eine Frage des Fachs. Als ich in den Achtzigern an der FU Berlin Lateinamerikanistik studiert habe, war niemand straight. Mit welchem Gefühl denken Sie an diese Zeit? Vogel: Da waren schon noch die Alt-68er. Und die Ausläufer waren zu spüren mit der Friedens- und Frauenbewegung. Ich habe auch gegen die Startbahn West demonstriert, aber eine Zeit lang habe ich das alles völlig gehasst. Ich war früher der schüchternste Mensch und wollte gar nicht auf die Bühne, sondern viel lieber Regie machen. Das Theater hat mich übrigens auch mal eine Nacht in den Knast gebracht. Im Ernst? Vogel: Wir haben Plakate geklebt für ein Stück gegen Pinochet. Das durfte man in Würzburg wohl nicht. Ich kam ins Gefängnis, wo mich der Theaterleiter am nächsten Morgen rausgeholt hat. Gibt es heute weniger Engagement? Vogel: Ich habe das Gefühl, alles ist ichbezogener geworden, jeder ist der absolute Mittelpunkt der Welt. Und rücksichtsloser, es wird schneller weggeschaut. Kubetz: Es fehlt aber auch eine Unbeschwertheit. Rente und Vorsorge sind zum Beispiel Themen, die viele meiner Altersgenossen beschäftigen. Ich persönlich würde gerne wahnsinnig vieles ausprobieren. Ich mache Musik und Theater, würde gern mal ein Praktikum bei einem Schreiner machen, aber andererseits muss man sich das auch erst mal leisten können. Vogel: Schreiner oder Bildhauer – das würde mir auch gefallen. Im Stück sitzen ja am Ende die Jungen und die Alten alle in einem Boot. Vogel: Ja, es entwickelt sich. Irgendwann bröckelt die Fassade. Und die Themen, um die es geht, die betreffen ja eigentlich alle: Wohnungsnot, Leistungsdruck, Überteuerung. Kubetz: Ich persönlich mag Stücke nicht, in die man reingeht, lacht und wieder geht. Unser Stück ist eine Komödie. Aber es regt auch dazu an, sich Gedanken zu machen. Termin „Wir sind die Neuen“, Premiere im Theater Alte Werkstatt Frankenthal am Donnerstag, 11. Januar, 20 Uhr. Tickets gibt es unter Telefon 06233 354826 und im Internet unter www.tawfrankenthal.de. | Interview: Nicole Sperk

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