Ludwigshafen Quietschbunte Kirchen und Kinos

Die Alankar Cinema Hall in der Stadt Madurai im Bundesstaat Tamil Nadu.
Die Alankar Cinema Hall in der Stadt Madurai im Bundesstaat Tamil Nadu.

Kirchen und Kinos in Indien: Die Mannheimer Fotogalerie Zephyr zeigt in einer ebenso lehrreichen wie vergnüglichen Ausstellung Aufnahmen der pittoresken Bauten, die die Fotografinnen Sabine Haubitz und Stefanie Zoche gemacht haben.

Nichts Neues unter der Sonne? Jeder Winkel der Erde kartiert, ausgemessen, fotografiert? Nicht ganz. Dahinten in Südindien gibt es Filmpaläste und Kirchen von bestrickender Originalität. Die als „Haubitz+Zoche“ zusammenarbeitenden Fotografinnen Sabine Haubitz und Stefanie Zoche haben zwischen 1950 und 1970 entstandene Beispiele der sogenannten postkolonialen Architektur auf ihren Reisen entdeckt, fotografiert und in einem preisgekrönten Fotobuch (Hybrid Modernism, Movie Theatres in South India, erschienen bei Spector Books, Leipzig) publiziert. Kirchen, deren Fassaden mehr fröhlich zusammengebastelten Kulissen gleichen als seriösen Sakralbauten; Filmpaläste, die keinen Zweifel daran lassen, dass sie wirklich als Paläste gemeint sind. Die Fantasie der indischen Architekten scheint grenzenlos. Bauvorschriften? Fehlanzeige bei dieser quietschbunten Architektur, in der sich westliche Stilelemente vom Art Déco über den Internationalen Stil bis hin zum Brutalismus fast lustvoll mit lokalen Traditionen mischen. So schräg, kitschig und ästhetisch abseitig das Ganze auch anmutet, einen bizarren Charme hat es doch. Die 2016 erschienene Publikation war 2017 unter den zehn mit dem Architectural Book Award des Deutschen Architekturmuseums Frankfurt ausgezeichneten Fotobüchern, ein großer Erfolg für die inzwischen allein arbeitende Stefanie Zoche und eine posthume Ehrung für Sabine Haubitz, die drei Jahre zuvor bei einer Ski-Tour im Engadin den Tod fand. Es bleibt eine bemerkenswerte Zusammenarbeit in der Tradition deutscher Architekturfotografie, die sich durch Präzision und frontale Sachlichkeit auszeichnet und im Buch wie in der Ausstellung durch reportageartige Aufnahmen des quirligen Alltagslebens in den Straßen Südindiens aufgelockert wird. Man lernt den „hybriden Modernismus“ dieser Architektur als Befreiungsschlag von kolonialer Bevormundung kennen. Vor allem die Kirchen sind von einer Fabulierlust, die mögliche Einwände gegenstandslos werden lässt. Da ist die Fassade einer Kapelle von einem monströsen fünfzackigen Stern beherrscht, ein Motiv, das sich am Gitter der Einzäunung wiederholt. Eine andere Kirche sieht aus wie eine pinkfarbene Keksdose. Eine besonders schöne Fassade besteht aus zwei gen Himmel gerichteten Händen, die eine Marienstatue, eine Weltkugel und eine kopfartige Bekrönung umschließen. Bei den Filmpalästen sind die Anklänge an westliche Vorbilder deutlicher. Selbst wenn sich Assoziationen wie Kaufhaus und Wohnblock einstellen, ist die blühende Filmindustrie von Bollywood mit ihren umwerfenden Soaps und wie Heilige verehrten Stars mit Händen zu greifen. Womit sich der Kreis zu den Sakralbauten schließt. Beide Architekturformen scheinen so wirkmächtig, dass man sich fragt, warum diese Varianten postkolonialer Architektur Indiens nicht schon früher die Fotografie und damit auch die Museen erreicht hat. Termin Bis 26. August in Zephyr – Raum für Fotografie der Reiss-Engelhorm-Museen Mannheim, C 4,6. Täglich außer Montag, auch an Feiertagen, 11 bis 18 Uhr .

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