Frankenthal Plötzlich Autor

Der Leser muss sich in die Figuren hineinversetzen können, erklärt Jugendbuchautorin Andrea Liebers (links) den Schülern der Kla
Der Leser muss sich in die Figuren hineinversetzen können, erklärt Jugendbuchautorin Andrea Liebers (links) den Schülern der Klasse 6f – hier im Gespräch mit Maximilian Matern (Mitte) – und Lehrerin Sylvia Bohrmann.

In Raum 312 der Friedrich-Schiller-Realschule plus ist am Donnerstagvormittag die Luft raus: Nach drei Stunden Textarbeit rauchen die Köpfe der Schüler der 6f. Doch das große Ziel – ein eigenes Buch – ist greifbar nah und mobilisiert neue Energien. Weiter geht es also mit Kapitel zehn von „Erkenberts magischer Drachenturm“. Das zehnte Kapitel ist ein besonders wichtiges. Denn hier treten die mutigen Romanhelden Lena, Hannah und Tim eine Zeitreise ins Mittelalter an. Das Kapitel hat Maxi verfasst. Nachdem er den Inhalt seiner zwei vollgeschriebenen Heftseiten vorgetragen hat, klatschen alle Beifall. Die Jugendbuchautorin Andrea Liebers bittet um Textkritik. Sie leitet die dreitägige Schreibwerkstatt. Heute ist der zweite Tag, und man merkt, dass die Klasse von der Schriftstellerin schon viel gelernt hat. Etwa, dass Texte kritisch bewertet werden müssen, damit man sie verbessern kann. „Maxi sollte den Mittelaltermarkt genauer beschreiben“, sagt Mehrdad. Liebers will wissen, warum das nötig ist. Robin antwortet: „Der Leser soll den Zeitsprung bemerken – von unserer Zeit ins Mittelalter.“ Liebers nickt, „das hätte ich auch gesagt, ist ganz wichtig“. Der Leser müsse sich in die Perspektive der Figuren hineinversetzen können, dazu sei es nötig, alles genau zu beschreiben. Das fällt einigen Schülern jedoch noch nicht ganz so leicht. Etwa ein Drittel der Sechstklässler spricht Deutsch nicht als Muttersprache. Wie ist es, in einer anderen Sprache eine Geschichte zu schreiben? „Schwer ist das“, meint Soraya, die vor zwei Jahren aus Afghanistan hergekommen ist. Doch sie bekommt Hilfe von Xheua, ihrer Banknachbarin, die auch von dort kommt. Und da sitzt auch Mehrdad, der vor vier Jahren aus Afghanistan gekommen ist und fließend die neue Sprache beherrscht. Nun melden sich weitere Schüler und erzählen von ihren multikulturellen Wurzeln – und davon, wie es ist, wenn Deutsch die Muttersprache ist und man in der Heimat der Eltern in deren fremder Sprache radebrechen muss. Vanessas Mutter hat polnische und russische Elternteile. Ihre Geschichte haben die Schüler bereits am ersten Tag der Schreibwerkstatt in ihren Grundzügen entworfen. Vorgabe von Liebers war es, dass sie auf dem vierten Band ihrer Jugendbuchserie „Das Gold der Nibelungen“ aufbauen müsse. „Als sich die Klasse gemeinsam die Geschichte ausgedacht hat, haben die Köpfe geraucht, die Kids waren Feuer und Flamme“, berichtet Sylvia Bohrmann, die die Sechstklässler im Fach Deutsch unterrichtet. „Jeder hat eigene Ideen eingebracht, und dann wurde es eine große Idee von uns allen“, ergänzt Vanessa. Ihre Geschichte beginnt mit der Frankenthaler Jubiläumsausstellung anlässlich des 900-jährigen Bestehens des Augustiner Chorherrenstifts, das die Sechstklässler als Erkenbertruine kennen. Dass der Adlige Erkenbert den Grundstein für das Kloster legte, wussten vor der Schreibwerkstatt nur zwei Schüler. Jetzt kennen ihn alle, denn er spielt in ihrem Buch eine tragende Rolle: In der Ausstellung hängt ein Porträt Erkenberts, das plötzlich lebendig wird. Der Adlige bittet die drei jungen Protagonisten des Buchs um Hilfe. Nach dem Raub des Nibelungenschatzes seien die Zwerge und Drachen von den Menschen enttäuscht und würden verhindern, dass er das Chorherrenstift bauen könne. Lena, Hannah und Tim bekommen den Auftrag, die Zauberwesen davon zu überzeugen, dass die Menschen nicht schlecht sind. In dieser Mission reisen die drei Freunde zurück ins Jahr 1119. Das Tor, durch das sie in die Vergangenheit eintreten, steht noch heute. Es ist das Portal zur Erkenbertruine, das im Roman Drachentor heißt. Denn auf dem roten Sandstein des Portals befinden sich kleine Drachen. Liebers hat es fotografiert und zeigt die Bilder der Klasse, die beeindruckt von den historischen Schätzen Frankenthals ist. Schon am ersten Tag ging es für die Schüler ans Schreiben der Geschichte. „Uns hat die Hand ganz schön wehgetan“, berichtet Kilian. Bohrmann ist beeindruckt, mit wie viel Fantasie ihre Schüler die insgesamt elf Kapitel des Buchs gefüllt haben: „So gute Aufsätze habe ich noch nie gesehen.“ Am dritten Tag der Schreibwerkstatt dürfen die Schüler ihre Geschichte dann auf dem Computer tippen. Wenn Liebers das Manuskript lektoriert hat, kümmern sich die Schüler der höheren Klassen um die Illustrationen und das Layout. Im April soll „Erkenberts magisches Drachentor“ dann in Druck gehen, um am 7. Mai in der Stadtbücherei vorgestellt zu werden.

x