Frankenthal Nichts für Miles-Davis-Puristen

„Our Kind of Blue“ nennt das Martin Auer Quintett seine Version von Miles Davis’ Modal-Jazz-Stücken.
»Our Kind of Blue« nennt das Martin Auer Quintett seine Version von Miles Davis’ Modal-Jazz-Stücken.

Zwei Konzerte in einem gab es beim Besuch des Martin Auer Quintetts am Freitagabend im Wormser Kulturzentrum. In der ersten Hälfte spielte die Combo aus dem aktuellen Album „So Far“, die zweite Hälfte hieß „Our Kind of Blue“ und war eine Neuinterpretation des Miles-Davis-Albums. Dazu hatte Veranstalter Blue Nite schon im vergangenen Jahr eingeladen, doch da musste Auer das Konzert absagen.

Ein solcher Abend ist aus vielen Gründen spannend. Trompeter Martin Auer genießt seit Jahren hohes Ansehen und stellt ein neues Album vor. Aber für die eingefleischten Jazz-Fans ist es fast noch wichtiger, zu hören, wie Auer und seine Mitmusiker mit dem „Kind of Blue“-Material umgehen. Das 1959 erschienene Album ist bis heute der meistverkaufte Tonträger des Jazz. Aber vom kommerziellen Erfolg abgesehen ist es ein Meilenstein in der Entwicklung des Jazz, denn es verhalf einer besonderen Auffassung von Harmonie und Tonleitern zum Durchbruch: dem Modal Jazz. Bis dahin galt im Jazz, dass Akkorde bestimmte Funktionen haben. Der Tonika-Akkord wirkt ruhend und definiert eine Tonart, der Dominant-Akkord klingt spannungsvoll und instabil und soll zur Entspannung der Tonika führen. Im Modalen Jazz gilt das nicht mehr. Da können Akkorde für sich allein stehen und Klangräume definieren, in denen sich die Solisten bewegen. Das Stück „So What“ ist dafür ein Beispiel. Es besteht erst aus D-Moll und der zugehörigen dorischen Tonleiter. Dann rückt alles einen Halbton höher, später wieder zurück. Fast alle Stücke auf „Kind of Blue“ sind betont minimalistisch. Das stellt Auer und seine Musiker vor ein Problem: Weglassen kann man nichts. Folglich hat das Quintett hinzugefügt – nämlich Akkorde und Erweiterungen der melodischen Themen – und auch das Zusammenspiel der Instrumente verändert. Während man die Originale aus dem Stegreif auf Sessions spielen kann, sind die Arrangements des Auer Quintetts deutlich komplexer. Und jetzt kommt der ein oder andere Hörer in ein Dilemma: Die Interpretationen verändern genau das, was den Reiz der Originale ausmachte. Aus dem coolen Swing von „So What“ wird ein straighter Groove, Bei „Freddy Freeloader“ gab es im Original den Witz, dass ein Bluesschema am Ende die Tonart „verfehlt“, das wird jetzt systematisch so harmonisiert. Kurz gesagt sind die Neuinterpretationen alle gut gemacht und für sich genommen tolle Stücke – aber das geht im Kopf des Hörers nur auf, wenn man die Originale nicht für sakrosankt hält. Sicher unstrittig ist der erste Teil des Konzerts. Da nämlich spielten Auer und Kollegen eigene Kompositionen. Die sind kunstvoll komponiert und arrangiert. Die Band zeigte sich als ein eingespieltes Team mit viel Interaktion – auch wenn von der Stammbesetzung Saxofonist Florian Trübsbach fehlte. An seiner Stelle spielte Oliver Leicht, und der fügte sich nahtlos ein. Das Martin Auer Quintett besteht seit 20 Jahren und ist bekannt für einen Stil, der die Vielfalt aktueller Musik widerspiegelt.

Ihre News direkt zur Hand
Greifen Sie auf all unsere Artikel direkt über unsere neue App zu.
Via WhatsApp aktuell bleiben
x