Frankenthal Musik in der dritten Dimension

Christoph Stiefels 3-D-Grooves machen Freude.  Foto: Hans-Joachim Maquet/frei
Christoph Stiefels 3-D-Grooves machen Freude.

Eigentlich zählt nur das: Die Musik von Christoph Stiefel ist ein großes Vergnügen. Die Zuhörer im Konzertsaal des Wormser Theaters waren hellauf begeistert vom Trio des Schweizer Pianisten. Dass so selbstverständlich klingt, was in Wahrheit sehr komplex ist, hat einen tieferen Grund.

Die Musik von Christoph Stiefel zu erklären, ist wesentlich trockener, als sie einfach zu genießen. Aber es lohnt sich auch, ein bisschen hinter die Kulissen zu schauen und zu erkunden, wo die Energie der Musik herkommt, die so elektrisierend auf die Zuhörer wirkt.

Viele Stücke fangen mit einer melodischen Figur an, die wiederholt wird und eine Schleife bildet. Die Hörer grooven sich ein. Dann setzt ein anderes Instrument ein, vielleicht das Schlagzeug – und spielt anders, als man erwartet hätte. Das passt trotzdem, ist aber eine andere rhythmische Auffassung der ursprünglichen Figur. Jetzt merken die Hörer, dass der erste Groove noch da ist, aber auch der andere, der zweite Groove. Stiefel hat das im Gespräch mit der RHEINPFALZ als eine „dritte Dimension“ beschrieben, die entsteht. Für die Hörer ist das ein prickelndes Gefühl: Rhythmus ist etwas Körperliches und wirkt auf das motorische System der Hörer. Wenn Stiefels Musik mehrere Rhythmusebenen kombiniert und dabei komplexe Muster erschafft, merkt man als Hörer, wie es in den Synapsen kribbelt.

Ausbruch aus der Monotonie

Das geradlinige Eins-Zwei-Drei-Vier wird in populärer Musik umso aufdringlicher geklopft, je mehr Leute man erreichen will. Im Schlager wie in der Tanzmusik ist es eine Maschine, die „Four-to-the-Floor“ klopft. Und es ist kein Zufall in unserer Gesellschaft, dass Maschinen Massen bewegen. Stiefel dagegen wählt ganz bewusst ungerade Rhythmen, arbeitet mit Fünfer-, Siebener-, Neuner-Takten, und legt darüber noch Figuren, die Muster über mehrere Takte bilden. Das kann man als Ausbruch aus der Monotonie verstehen, es hat aber trotzdem Struktur. Auch als Hörer hat man die Freiheit, auf verschiedene Art diese Rhythmen wahrzunehmen.

Was sich hier wie höhere Mathematik liest, lässt sich ohne Mühe erleben. Und auch Stiefels Mitspieler, Lukas Traxel am Bass und Tobias Backhaus am Schlagzeug, vermitteln den Eindruck, ganz selbstverständlich ohne Anstrengung zu spielen. Sie Improvisieren so natürlich und flüssig, dass man nicht ahnt, was da an Übung dahintersteckt.

Es sind nicht nur „3-D-Grooves“, die Freude machen. Stiefel ist ein modern klingender Pianist, der alle Finessen beherrscht. Ungewöhnliche und spannende Farben kann man besonders bei den Balladen genießen, die einen wesentlichen Anteil am Repertoire haben.

Berührendes Erlebnis

Die Musik als Ganzes wirkt immer schlüssig und stimmig und trotzdem immer wieder überraschend. Es ist Musik, die den Kopf frei macht, die dazu einlädt, sich dem Fluss hinzugeben. Wer, wie der Rezensent, erst versucht, mit dem Hirn zu hören und Rhythmen mathematisch zu zählen, wird das bald aufgeben. Dann jedoch beginnt man, Muster, Figuren und Zyklen zu fühlen, merkt, wo sich Kreise schließen, weil man das hören kann.

Ganz wichtig ist, dass Stiefel und seine Musiker genügend Raum und Zeit lassen. Es wird nichts „totgespielt“. Man wird nicht überfahren, man wird eingeladen. Und das ist ein sehr schönes und berührendes Erlebnis.

Die nächste Blue Nite Saison beginnt im September im Wormser Theater.

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