Rheinpfalz „Mit eigenen Händen getötet“

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Frankenthal

. Sein Kopf ist auf die Tischplatte gesunken, seinen schwarz gekleideten Körper schütteln Weinkrämpfe. Was der Angeklagte am ersten Verhandlungstag sagen will, liest sein Verteidiger für ihn vor: dass er sein „kleines süßes Baby mit eigenen Händen getötet“ habe. Und dass er eine weitere, sechs Jahre alte Tochter schwer mit einem Messer verletzt hat. Und dass er das Gericht dafür „um eine gerechte Strafe“ bittet. Wie die aussehen soll, bleibt damit offen. Denn die Erklärung verschweigt, was den 32-Jährigen antrieb. Und ob er noch Herr seiner selbst war. Und ob er wirklich tun wollte, was er in der verhängnisvollen Mai-Nacht tat. Die Staatsanwaltschaft hat für diese juristisch entscheidenden Fragen schon Antworten formuliert. Wer sie im Gerichtssaal hören will, muss strenge Kontrollen über sich ergehen lassen: Beamte durchsuchen vorab die Besucher, nehmen ihnen ihre Handys ab. Und alles, was sich als Wurfgeschoss auf den Angeklagten schleudern ließe. Als er, mit Handschellen gefesselt, in Sitzungssaal 20 geführt wird, hat er sich eine schwarze Kapuze über den Kopf gezogen. Mit zitternden Händen drückt er sich einen blauen Schnellhefter vors Gesicht, bis die Justizbeamten vier Fernsehteams und ein halbes Dutzend Fotografen vor die Tür geschickt haben. Dann trägt Oberstaatsanwältin Doris Brehmeier-Metz das Unfassbare vor, das am Ende dieses Verfahrens mit einer gerechten Strafe geahndet werden und in der Nacht vom 13. auf den 14. Mai in einem ganz normalen Frankenthaler Wohnviertel passiert sein soll. Der 32-Jährige saß demnach mit einem Bekannten im Wohnzimmer, während seine Partnerin im Schlafzimmer lag – zusammen mit zwei seiner Kinder, die aus einer früheren Beziehung stammen. Und mit Senna, der gemeinsamen, zwei Monate alten Tochter. Den Vater überfällt gegen 2 Uhr wieder einmal eine Eifersuchtsattacke. Er stürmt ins Schlafzimmer. Drückt seiner Partnerin ein Messer mit Zehn-Zentimeter-Klinge an den Hals. Sticht zu: viermal, in Schulter und Rücken. Dann geht der Besucher dazwischen. Die Frau kann aus der Wohnung fliehen, ihr Retter wird ihr gleich darauf folgen. Doch ehe er mit diversen Blessuren entkommt, hört er laut Anklage noch, wie der tobende Vater etwas sagt: „Jetzt mach’ ich den Rest.“ Und er sieht, wie der 32-Jährige etwas tut: Er packt die schreiende Senna, stürmt mit ihr auf den Balkon, schleudert sie in die Tiefe. Anschließend soll er seine beiden anderen Kinder – das eine ist vier, das andere sechs Jahre alt – als Geiseln genommen haben. Der mittlerweile alarmierten Polizei droht er, jetzt auch noch diese beiden Mädchen zu erstechen. Als die Beamten trotzdem in die Wohnung stürmen, hat sich das Messer des Vaters zweimal in den Bauch der sechsjährigen Joana gebohrt. Ihr Leben können Ärzte in einer Notoperation retten, weil die Klinge eine Schlagader knapp verfehlt hat. Das Baby hingegen starb sofort, als sein kleiner Körper auf dem Boden aufschlug. Die Staatsanwältin sagt: Der Frankenthaler wusste, was passiert, wenn sein Baby aus dem zweiten Stock stürzt. Doch er habe den Tod des Mädchens gewollt. Weil die Mutter so viel Zeit mit dem Kind verbrachte, anstatt sich um ihn zu kümmern. Eine ganz und gar egoistische Eifersucht hätte den 32-Jährigen demnach angetrieben. Wenn dieses Gefühl derart abscheuliche Züge annimmt, gilt es Juristen als „niederer Beweggrund“. Für sie geht es dann nicht mehr um einen mit mindestens fünf Gefängnisjahren zu ahndenden Totschlag, sondern um Mord. Dafür sieht das Gesetz als gerechte Strafe eine lebenslange Haft vor. Doch ob der Prozess tatsächlich mit einem solchen Urteil endet, ist offen. Ein Psychiater wird den Angeklagten während der Verhandlungen beobachten, am Ende seinen Geisteszustand beurteilen. Entscheidend könnte sein, wie sich das Kokain ausgewirkt hat, das der Angeklagte vor der Tat genommen hatte. Ein Vorab-Gutachten des Experten gibt es schon. Was dort steht, bleibt einstweilen geheim. Doch es lässt sich erahnen. Denn die Vorsitzende Richterin gibt einen amtlichen Hinweis, verpackt in eine Paragrafennummer aus dem Strafgesetzbuch. Im Klartext bedeutet das: Die gerechte Strafe für den 32-Jährigen könnte eine abgemilderte sein. Weil er im Drogenrausch nicht mehr die volle Kontrolle über sich selbst hatte, als er mit eigenen Händen sein kleines süßes Baby tötete.

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