Frankenthal Körperlich spürbare Stille

„Liebe kennt kein Warum“ – das scheint schon im Mittelalter bekannt gewesen zu sein. Unter diesem Titel jedenfalls stellte das Stuttgarter Ensemble Cosmedin sein Programm mit Texten der Mystik und Musik und Gesängen aus der Zeit Meister Eckharts (1260-1328). Am Donnerstagabend feierte es Premiere in der Wormser Dominikanerkirche St. Paulus.

In 15 Musikstücken spannten Sängerin Stephanie Haas und ihr Ehemann Christoph Haas einen weiten Bogen über 1000 Jahre von der Spätantike (um 400) bis in die Zeit Meister Eckharts. Im Zentrum des bewusst subjektiv ausgewählten Repertoires standen die „Erfurter Rituale“ (1301), eine erst vor Kurzem wiederentdeckte musikalische Sammlung aus der Zeit, als Meister Eckhart Prior im Dominikanerkloster Erfurt war. In dem gut einstündigen Programm wechselten sich seelenvoller Gesang mit sensibler Instrumentaluntermalung und rezitativen Lesepassagen ab. Dabei gelang es dem Künstlerpaar, fernab von musealer Rekonstruktion die Botschaften ins Heute zu übersetzen und dabei die geistige Authentizität der Texte zu bewahren. Im bodenlangen dunkelgrünen Gewand betrat Stephanie Haas den Chor und erfüllte den Kirchenraum mit ihrer klaren Naturstimme. Phrasierung und Rhythmik ihres Gesanges leitet die Sängerin von der natürlichen Rhythmik der lateinischen und mittelhochdeutschen Sprache ab. Ihr Singen wirkt ganzkörperlich, es erscheint der Natur, den Amseln und Mauerseglern abgelauscht und besticht durch frei gestaltete harmonische Melodielinien und Melismen. Adäquate Ergänzung zu Stephanie Haas’ nuancenreichen Vokalmodulationen waren die instrumentale Untermalungen durch ihren Ehemann Christoph Haas. Der von Jazz und Weltmusik beeinflusste Multiinstrumentalist spielt auf Nachbauten historischer Saiteninstrumente: Langhalslaute, Tenorfidel, indischer Tanpoura und dem an die arabische Zither (Qanun) erinnernden Streichpsalter – mit zwei simultanen Bögen liegend gespielt – entlockte er warme schwebende Klänge. Die Alte Musik ergänzte Haas mit eigenen Stücken wie „Cruzar“, „Diapason“, „Nach innen“ und „Rubin“, bei denen sich zirpende Saiten mit rhythmischen Fußglocken, hängenden Röhrenglocken und dem Klangstab Chime zu betörenden filigranen Klangbildern ergänzten. Besonders gefiel das behutsam vorgetragene mittelhochdeutsche Gedicht „in dem begîn“ (Basel, um 1320), das das Genesisthema „Am Anfang war das Wort“ variiert. Darin findet sich das zeittypische Ideal der Unio Mystica, des Einsinkens der Seele in die Allgegenwart Gottes. Die seelische Bedürftigkeit des Menschen wurde im Symbol des Wassers und des – physischen und spirituellen – Durstes benannt: „sink in dî grundelôzê vlût“. Musikalisch wurde das von den Künstlern akustisch verblüffend einfach umgesetzt mittels Wasserschale und Schöpfkelle. Die stets aktuelle Friedens-Bitte „Da Pacem“ aus der ambrosianischen Tradition (Mailand, nach 400) beschloss den kontemplativen Abend. Mit ihrem Meister-Eckhart-Programm „Liebe kennt kein Warum“ geht das Ensemble Cosmedin ab Herbst auf Tour durch Dominikanerkirchen. Eine CD mit ebendiesem Programm hat das Duo Cosmedin kürzlich zu seinem 20-jährigen Bühnenjubiläum herausgebracht. Die rund 30 Zuhörer wurden Ohrenzeugen einer hohen Qualität lebendiger, nahezu körperlich spürbarer Stille. Der kontemplative Konzertabend klang aus im Kreuzgang des Klosters bei angeregten Gesprächen zwischen Gästen, Künstlern und Mönchen.

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