Frankenthal Klare Feindbilder bei Bands

Timo Büchner beim Vortrag im AEG. Da der Autor wegen seiner Aufklärungsarbeit von Extremisten bedroht wird, möchte er auf Fotos
Timo Büchner beim Vortrag im AEG. Da der Autor wegen seiner Aufklärungsarbeit von Extremisten bedroht wird, möchte er auf Fotos nicht erkennbar dargestellt werden; daher haben wir sein Gesicht verpixelt.

„Rechtsrock ist die Einstiegsdroge Nummer eins in die Neonazi-Szene.“ Davor hat Timo Büchner, Autor des Buches „Weltbürgertum statt Vaterland“, Schüler der zehnten und elften Jahrgangsstufe des Albert-Einstein-Gymnasiums (AEG) und des Pfalzinstituts für Hören und Kommunikation (PIH) am Mittwoch in seinem Vortrag „Antisemitismus im Rechtsrock“ gewarnt.

Über die Musik und Auftritte einschlägiger Bands suchten Rechtsradikale den Kontakt zu Jugendlichen, sagte der Referent, der aus Schutzgründen unter einem Pseudonym arbeitet. Dabei spielen Sprachcodes eine große Rolle. Textzeilen wie „Wetzt die langen Messer auf dem Bürgersteig, lasst die Messer flutschen in den Judenleib“ oder „Er ist kein Mensch, er ist ein Jud, drum denk nicht nach und schlag ihn tot“ gehen unter die Haut. Sie stammen aus Alben der Bands Tonstörung und Macht & Ehre aus den 90er-Jahren, die frei verkäuflich waren. „Mit heimlich in dunklen Ecken getauschten Schulhof-CDs hatte das nichts zu tun. Damals drückten sich Rechtsrocker noch ganz offen antisemitisch aus“, berichtete Büchner in der Aula des AEG. Rund 230 Rechtsrock-Alben hat der 26-Jährige auf antisemitische Feindbilder hin untersucht. Weil immer mehr Platten wegen ihrer volksverhetzenden und gewaltverherrlichenden Texte indiziert wurden, setzen Bands antisemitische Botschaften heute eher codiert ein, erklärte Büchner. Als Beispiel eines solchen Sprachcodes nannte er die Ratte, eine Tiermetapher, die seit dem Mittelalter von Antisemiten verwendet wird. Auch von einer „Neuen Weltordnung“ sei in vielen Rechtsrock-Texten die Rede, oft abgekürzt als „NWO“. Gemeint sei das „Weltjudentum“, das der größte Feind von freien Volksgemeinschaften sein soll. „So bezeichnet sich die rechte Szene gerne selbst. Die Rechtsrocker Blutzeugen und andere singen davon“, berichtete Büchner. Der Autor, der Politik, Soziologie, European Studies und Jüdische Studien in Heidelberg und Hongkong studiert hat, definiert Rechtsrock als „Musik mit extrem rechter Botschaft“ und dem „Bekenntnis zur Rechtsdiktatur“. Die Feindbilder seien klar in „Arier als Freunde“ und „Juden als Feinde“ unterteilt. Der Holocaust werde relativiert oder sogar geleugnet, so Büchner. Oft sei von dunklen und geheimnisvollen Mächten sowie von Verschwörungen die Rede, hinter denen angeblich Juden steckten. Hinzu kämen sexistische und homophobe Elemente. Eine Gefahr liege darin, dass rechtsgerichtete Musik immer poppiger und damit eingängiger werde. Sie bediene sich ganz unterschiedlicher Stilrichtungen von Rock über Metal bis zu Hip-Hop. Dabei setzten die Musiker mit dem Internet auf moderne Vertriebswege. Büchner verwies auf schätzungsweise jährlich rund 100 Neuproduktionen. Der Antisemitismus bleibe jedoch ein verbreitetes Motiv, das Büchner in vier Gruppen unterteilt: den christlichen Antijudaismus, den Rassenantisemitismus, den sekundären Antisemitismus (Judenfeindschaft aus der Erinnerungsabwehr heraus) sowie den speziell auf Israel bezogenen Antisemitismus, der das Land der Kriegstreiberei bezichtige. Wie komplex das Thema ist, zeigte sich bei der anschließenden Diskussion mit den Schülern. Büchner verdeutlichte, dass sich antisemitische Parolen nicht nur im Rechtsrock finden, sondern auch in politischen Reden und Vorträgen. Und das nicht allein im rechten politischen Spektrum, sondern auch im linken. „Jeder einzelne von uns ist aufgefordert, im Alltag genau hinzuschauen und auch in sich selbst hineinzuhören“, unterstrich der Autor. Hinzu komme ein tief verwurzelter Antisemitismus, den muslimische Migranten aus ihrer Heimat mit nach Deutschland brächten. Hier klangen in der Diskussion die antisemitischen Al-Quds-Märsche an, bei denen in Berlin israelische Fahnen verbrannt wurden. Auf Nachfrage eines Schülers stellte Büchner klar: „Kritik an der israelischen Regierung ist erlaubt.“ Das Existenzrecht Isreals als sicherer Rückzugsort für Juden aus aller Welt dürfe aber nicht infrage gestellt werden. „Das ist in Deutschland Staatsräson.“ Der in Kooperation mit Dieter Burgard, dem Beauftragten für jüdisches Leben und Antisemitismusfragen der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz, und dem Förderverein für jüdisches Gedenken Frankenthal initiierte Vortrag, der am Abend in der Stadtbücherei wiederholt wurde, machte deutlich: Der demokratische Rechtsstaat darf sich von keiner Seite aushöhlen lassen.

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