Frankenthal Die Nichte war die Mörderin

Mit seinem Gehabe und mit schrecklichen Eigenkompositionen nervt Mortimer Chalke (Claus Peter Leonhardt) seine Familie. Das Publ
Mit seinem Gehabe und mit schrecklichen Eigenkompositionen nervt Mortimer Chalke (Claus Peter Leonhardt) seine Familie. Das Publikum stimmte am Samstag dafür, dass Nichte Amy (Laila Fechner) ihn um die Ecke bringt.

Extrem unfriedlich ging es in der Friedenshalle von Großniedesheim am Samstag zu. Außer dem Opfer kamen sämtliche Akteure auf der Bühne als Mordkandidaten in Frage. Denn: „Jeder kann es gewesen sein“, hieß die Kriminalkomödie, bei der die Zuschauer Schicksal spielen und den Mörder selbst bestimmen durften. Gelegentlich wird das Stück des britischen Dramatikers Alan Ayckbourn als Ratekrimi bezeichnet. Tatsächlich ist es eine Krimikomödie, die zwar im ersten Teil zahlreiche verwirrende Spuren legt, welche den Betrachter dazu animieren, den Mörder zu erraten – ganz im Stil des klassischen Krimigenre „Whodunit“. Es bedeutet frei übersetzt: „Wer hat es getan?“. Vor dem zweiten Teil lässt Ayckbourn jedoch das Publikum entscheiden, wer das Opfer getötet hat. So gibt es insgesamt drei unterschiedliche Lösungen, eine davon wird per Mehrheitsbeschluss aus den Zuschauerreihen auf der Bühne gezeigt. An diese sehr aufwendige Inszenierung hat sich die Laienspielgemeinschaft (LSG) 1975 Beindersheim herangetraut. Zusätzlich zu der Herausforderung des offenen Ausgangs gab es zahlreiche Hürden während der Proben, berichtete der LSG-Vorsitzende Herbert Hügenell, der im Stück Regie führte. Die für September geplante Aufführung im Heßheimer Bürgerhaus musste wegen Starkregens ausfallen. Der Ausweichtermin im Oktober in der Großniedesheimer Friedenshalle fiel flach, da der Termin doppelt belegt war. Erschwerend kam hinzu, dass während der Proben ein Hauptdarsteller krankheitsbedingt länger ausfiel und eine Mitspielerin ausschied und ersetzt werden musste. „Letztendlich hatte die aktuelle Besetzung nur drei Monate, um das Stück einzustudieren“, so Hügenell. Von diesen vorausgegangenen Komplikationen bemerken die rund 70 Gäste in der Friedenshalle nichts, als der Vorhang aufgeht. Dafür ist das, was bis zur Pause geschieht, äußerst knifflig: Schauplatz ist ein abgelegenes englisches Herrenhaus, in dem die Familie Chalke in Unfrieden lebt. Der Hausbesitzer Mortimer Chalke (Claus Peter Leonhardt) hält sich für einen begnadeten Komponisten und quält seine Familie mit schauerlichen Eigenkompositionen am Klavier. Die Sippe besteht aus seiner Schwester, der erfolglosen Schriftstellerin Jocelyn Polegate (Bettina Schüttler), ihrer an Ess-Sucht leidenden Tochter Amy (Laila Fechner) sowie seinem Bruder, dem hypersensiblen, unproduktiven Möchtegern-Maler Brinton Chalke (Jan Schüttler). Jocelyn lebt zu Mortimers Missfallen auch noch in wilder Ehe mit Norris Honeywell (Uwe Krause), einem Kunstbanausen und gescheiterten Versicherungsvertreter. Schließlich treibt Mortimer den Kleinkrieg auf die Spitze, als er ankündigt, er habe die Familie enterbt. Als neue Erbin habe er seine ehemalige Klavierschülerin Wendy Windwood (Sarah Hammer) eingesetzt. Kurz vor der Pause kommt Mortimer unter mysteriösen Begleitumständen ums Leben. Verdächtig sind alle. Auch Wendy, die auf Einladung Mortimers kommt, allerdings selbst drei Mordanschlägen entrinnt. Denn plötzlich sind die Bremsen ihres Wagens defekt, und sie wird fast von einem Kleiderschrank erschlagen. Außerdem enthält ihr Champagnerglas ein Gift. Das Glas wandert zufällig in die Hände Mortimers. Woran der Hausherr dann stirbt, ist ein Schlag mit einem Pokal gegen die Schläfe. In der Pause stimmen die rund 70 Besucher per Zettel darüber ab, wer der Mörder war: Einer von Mortimers Geschwistern oder seine Nichte Amy? Um die Spannung zu erhalten, wird das Ergebnis nicht verraten. Das Publikum erfährt erst durch die sich zuspitzende Handlung, wie die Mehrheit gestimmt hat: Für Amy, die von Wendy als Mörderin entlarvt wird. Laila Fechner nimmt die Herausforderung sichtlich gern an und treibt ihre neue Hauptrolle der nunmehr mordlustigen Amy auf die Spitze. Auch das übrige Ensemble packt den Schwenk auf diesen Handlungsfaden, nur gelegentlich verstolpert sich ein Akteur im Text. Nach dem Schlussapplaus sagt die 14-jährige Gymnasiastin im Gespräch: „Ich wollte die Bühne rocken und Amy als Mörderin spielen. Das war mein Wunsch und daher war ich nicht aufgeregt, als er wahr wurde und ich voll durchstarten konnte. Und schließlich haben wir alle Ausgänge des Stücks zur Genüge geprobt.“ Auch Hügenell zeigt sich zufrieden. „Keiner im Ensemble wusste, was auf ihn zukommt. Das ist ja der Reiz des Stücks. Es ist ein Abenteuer, auf das wir uns eingelassen und das wir erfolgreich bestanden haben.“

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