Donnersbergkreis Wie man in der Fasnachts-Diaspora Hamburg wehmütig an zu Hause denkt

Isabel Fisch war freie Mitarbeiterin der RHEINPFALZ in Rockenhausen und lebt seit drei Jahren im Fasnachts-Exil: Hamburg. Hier h
Isabel Fisch war freie Mitarbeiterin der RHEINPFALZ in Rockenhausen und lebt seit drei Jahren im Fasnachts-Exil: Hamburg. Hier hat sie gelernt, was die Narren-Zeit wirklich bedeutet: eine große Gemeinschaft.

Es gibt genau fünf Tage im Jahr, an denen ich mir nichts sehnlicher wünsche, als zu Hause zu sein: Fasnacht. Dabei war ich nie ein riesen Jeck. Ich jubelte nicht im 11.11. um 11 Uhr 11, ging nie auf den Rosenmontagszug in Mainz, stand nie in der Bütt und schwang auch nicht das Tanzbein als Funkenmariechen. Wie fest die Fasnachtstage dennoch in meiner Identität verwurzelt sind, stellte ich erst fest, als ich 500 Kilometer von zu Hause entfernt wohnte: In Norddeutschland, wo wirklich keiner auch nur ansatzweise versteht, was Fasnacht bedeutet oder warum das Rheinland im Ausnahmezustand ist.

Seit drei Jahren wohne ich nun in Hamburg – und nie ist mein Heimweh so groß wie an diesen närrischen fünf Tagen. Heimweh bedeutet, sich nach Hause zu sehnen. Vor allem, wenn etwas unbekannt ist oder man sich einsam fühlt. Dann wächst die Sehnsucht nach der Heimat. Genau dieses Gefühl beschleicht mich Jahr für Jahr klammheimlich an Fasnacht – man realisiert, dass in jedem von uns von Haus aus ein kleiner Narr steckt, ob man will oder nicht.

Der Zustand, in dem sich diese Region an Fasnacht befindet, ist Norddeutschen nur schwer zu erklären. Ich versuche das immer so: Das Gemeinschaftsgefühl an diesen Tagen ist vermutlich nur mit dem an Tagen wie dem WM-Finale 2014 zu vergleichen. Oder der Meisterschaft des HSV – oder zumindest dem Wiederaufstieg in die Erste Bundesliga. Nur eben Jahr für Jahr, fünf Tage am Stück. Es heißt ja nicht umsonst „fünfte Jahreszeit“.

 

 

Der Welt wird eine bunte Narrenkappe übergestülpt

Nach dem Winter kommt Fasnacht, und dann kommt der Frühling. Das ist so verlässlich wie das Amen in der Kirche. Wildfremde Menschen liegen sich feiernd in den Armen, grölen zu Liedern, die sie die restlichen 360 Tage im Jahr nie hören würden und essen Krapfen und Grumbeersupp bis zum Umfallen. Tanzgruppen studieren über Monate Choreographien ein, Büttenredner durchforsten die Zeitungen des letzten Jahres, Kreative lassen sich Kostümideen einfallen, Jahr für Jahr ausgefallener. Jeder feiert mit, ob vor dem Fernseher, auf der Straße, in der Bütt oder als passiver Zuschauer. Kinder, Teenies, Alte, Schwangere. Der Welt wird eine bunte Narrenkappe übergestülpt, politische Probleme und Alltagssorgen werden mit einer Ladung Konfetti und einer ordentlichen Portion Humor übergossen. Jeder nimmt sich und das Leben ein kleines Stückchen weniger ernst – das ist es die restlichen Tage vom Jahr ja schon genug.

Wie unwirklich genau das für Norddeutsche ist, erlebe ich Jahr für Jahr. Schon Tage zuvor entbrennen regelmäßige Streitereien zwischen meiner Kollegin aus Bingen, mir und den übrigen Hamburger Redakteuren. Karneval, Fasnacht, ist doch alles das gleiche. Und wieso macht man das überhaupt? Nur Betrunkene in billigen Kostümen unterwegs. Und der ganze Müll. Wieso erreiche ich Rosenmontag niemanden da unten, im Süden (Süden ist alles südlich von Hamburg)? Da frag ich mich doch: Wer ist hier der Narr?

 

 

Schunkelnd im Auto

Fünf Tage lang Abwesenheitsnotizen aus dem Rhein-Main-Gebiet und quietschbunte Instagram-Feeds voller Fotos aus der Heimat übermannten mich: Von Sehnsucht getrieben, fuhr ich letztes Jahr freitags mit einer Mitfahrgelegenheit in die Pfalz – am Sonntag musste ich wieder zurück nach Hamburg. Die Sitzung am Samstag wollte ich mir aber auf keinen Fall entgehen lassen. Zu lange habe ich schon keine Fasnacht mehr gefeiert.

Zu fünft sitzen wir also in einem VW Golf auf dem Weg Richtung Heimat. Ich, drei mir unbekannte Mädels aus Mainz und der Fahrer, ein Hamburger. Es ist viertel nach acht, seit zwei Stunden verharren wir im Auto, haben im Schnecken-Tempo aber gerade mal 30 Kilometer geschafft. Stau. Draußen ist es stockdunkel, jeder will nach Hause. Die Stimmung ist bescheiden. Da kommt Lisa, der Ehefrau des Fahrers, eine Idee. Sie schaltet das Navi auf dem Handy aus und lässt dafür den Livestream vom ZDF laufen. „Wir stehen zwar im Stau, aber Meenz bleibt Meenz, wie’s singt und lacht“, sagt sie. Wir singen und schunkeln und lachen über die Büttenreden – und ernten genervte Blicke von ihrem Mann. Ab und zu kommt die verwirrte Frage: „Was hat er gerade gesagt, ich habe ihn nicht verstanden?“

Aber ich verstand: Fasnacht ist mehr als Kostüme, Umzüge oder Musik. Es ist Gemeinschaft. Es schweißt zusammen. Ob Karneval oder Fasnacht, ob Kamelle oder Gutsjer. An fünf Tagen im Jahr halten die Rheinländer zusammen. Sie sind ein eigenes, kleines Völkchen – egal, wo sie sich gerade befinden: ob in Mainz, Düsseldorf oder auf einer Autobahn irgendwo zwischen Hamburg und Seevetal.

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