Donnersbergkreis Wein, Mord und Totschlag

Hat bislang 13 Bücher veröffentlicht: Andreas Wagner.
Hat bislang 13 Bücher veröffentlicht: Andreas Wagner.

«KIRCHHEIMBOLANDEN.» In ihrer Begrüßung hatte es Sabine Stöckel, die als Leiterin der Stadtbibliothek die Lesung organisierte, bereits versprochen: „Sie werden heute Abend einen literarischen und alkoholischen Genuss erleben.“ Andreas Wagner, Krimiautor und Winzer aus Essenheim in Rheinhessen, löste am vergangenen Samstag vor ausverkauftem Haus in der Orangerie dieses Versprechen voll und ganz ein.

Wagner – der auch Weine aus seinem Weingut vorstellte – fesselt seine Zuhörer zum einen damit, dass er spannend schreibt. Zum anderen schlüpft er durch seine Sprachmelodie, seinen Tonfall und seine Mimik quasi in die Rollen seiner Protagonisten und nimmt sein Publikum mit in die Geschehnisse, die sich während der Weinlese in Essenheim abspielen. Eine Reihe mysteriöser Todesfälle erschüttert das beschauliche Dorf. Da ist zunächst der betagte Winzer August Schlamp, der seit seinem Schlaganfall ein Pflegefall ist. Als er morgens tot in seinem Sessel gefunden wird, schöpft kaum jemand Verdacht. Dass er am Vorabend von einem Mann mit einem Kissen erstickt wurde, weiß nur der Leser beziehungsweise der Zuhörer. Einige Tage später sterben zwei weitere Winzer: Gerd hat bei einer Reparaturarbeit unter seinem Mulcher gelegen und hat vergessen, ihn ordentlich abzustützen. Man findet ihn schließlich tot, von dem Gerät erschlagen. Klaus ist mit seinem Transporter und zwei Kisten Trockeneis unterwegs. Im Gegensatz zu Rotwein werden bei grünen Trauben (für Weißwein) die Schalen, die das meiste Aroma besitzen, nicht verwendet. Mit Hilfe von Trockeneis werden sie nach dem Stampfen, aber noch vor dem Keltern eine Zeit lang kühl gehalten, um noch etwas mehr Aroma zu extrahieren. Trockeneis hat aber die unangenehme Eigenschaft, sich auszudehnen und Kohlendioxid abzugeben. Dieses Szenario führt bei Klaus zum Ersticken, da vermutlich die Eisbehälter in seinem Wagen nicht ganz dicht waren. Unter den Dorfbewohnern gibt es zwei klassische Gruppen. Da sind zunächst die „lebenden Gardinen“, das sind ältere Frauen, die hinter ihren Gardinen am Fenster stehend alles beobachten, was sich auf der Straße abspielt. Neugierige ältere Männer machen das nicht, sie werden auch nur als Winzer i. R. bezeichnet. Ein Prototyp dieser Spezies ist Kurt-Otto Hattemer, der mit Hilfe von Gucklöchern im Klappladen seiner Neugier frönt. Er hat sich auch noch einen kleinen Wingert erhalten, um sich öfters von seiner Frau Renate absetzen zu können. Sie traktiert ihn in unregelmäßigen Abständen mit „Ernährungsexperimenten“ wie zum Beispiel mit diversen Körnerspeisen oder mit Tofu in allen Variationen statt Fleisch. Sie gönnt ihm nicht einmal seine geliebte Dosenbratwurst, die er als Grundnahrungsmittel täglich zum Frühstück verzehrt. Verächtlich meint sie: „Schappi für die Reblaus.“ Das Revier von Hattemer ist die Hauptstraße; er spricht die Passanten an, und mit einer gewissen Aufdringlichkeit begleitet er sie auch des Öfteren ihres Weges. Was die Todesfälle angeht, versucht er eine in der Vergangenheit liegende Verbindung zwischen den Opfern zu finden. Bis 1945 gibt es eine klare Sozialstruktur unter den rund 900 Einwohnern im Dorf. Einige wenige reiche Familien mit großen Anwesen, eine etwas größere Mittelschicht und sehr viele arme Leute, die bei anderen mitarbeiten müssen. Bei Heiraten wird speziell von den Wohlhabenden genau darauf geachtet, dass man sich nicht „schlechter“ stellt. Zwei passende Sprüche von Wagner dazu: „Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich auch Hektar zu Hektar findet“ sowie „En Buckel kann se han, Hauptsach de Acker is grad!“ Eine ganz neue Situation entsteht, als mit Kriegsende rund 90 verarmte Flüchtlinge ins Dorf kommen, die gar nichts haben; sie werden keineswegs freundlich aufgenommen und schon ihre Unterbringung führt zu Konflikten. Darunter befindet sich eine junge Frau aus dem Osten mit einer kleinen Tochter. Dieser wird rund 20 Jahre später ein Verhältnis mit Günther Schlamp, dem Sohn des erwähnten August Schlamp, nachgesagt. Der alte Schlamp wehrt sich jedoch vehement gegen diese Verbindung. Eines Tages ist die junge Frau verschwunden, die Gerüchte im Dorf lassen ein Verbrechen vermuten. Neben den Schlamps sollen mit Gerd und Klaus auch die beiden anderen unlängst Verstorbenen beteiligt gewesen sein. Die Ermittlungen verlaufen allerdings im Sande. Aufgrund dieser Überlegungen sieht Hattemer nun den Günther in Todesgefahr und versucht, ihn zu beschützen. Nach der chaotischen Beerdigung von Gerd – die Sargträger lassen den Sarg fallen – ist der jedoch verschwunden. Hier endet die Lesung, der Schluss bleibt für die Zuhörer offen. Wagner erzählt, dass er zu Beginn seiner „Karriere“ einmal den Fehler gemacht hatte, bei seinem ersten Krimi „Herbstblut“ das Schlusskapitel vorzulesen, was ein Stagnieren der Verkaufszahlen zur Folge hatte. Deshalb werde er diesen Fehler nicht ein zweites Mal begehen.

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