Donnersbergkreis Wasser von hinten, Wasser von vorne

In einer „Opfer-Serie“ wollen wir über Einzelschicksale der Hochwasserkatastrophe berichten. Heute geht es um das Ehepaar Gillmann in Obermoschel. Zwei Stunden lang stand das Wasser in ihrem Erdgeschoss und in der Garage – mit verheerenden Folgen.

Der lange, hellbraune Schmutzrand zieht sich an der Wand entlang, einmal im kompletten Wohnzimmer herum. Sieben Familienfotos mit lächelnden Kindern an der Wand erinnern noch an die ursprüngliche Bestimmung des Raumes: eine einst gemütliche Stube – „mit Kirschbaumschrank“, wie Wilma Gillmann erzählt. Jetzt steht der Raum komplett leer, bis auf Heizlüfter und Raumentfeuchter in der Mitte des Zimmers. Die Nässe muss raus, vorher ist eine Sanierung nicht möglich. Etwa drei Wochen, schätzen die Eheleute, wird das dauern. Dann können sie mit dem Streichen beginnen, auch ein neuer Fußboden ist dringend notwendig. Walter Gillmann steht mit starrem, leerem Blick im Türrahmen – die Tür selbst musste die Familie ausbauen: Das Wasser hat alles angegriffen, die Materialien quellen auf. Während Gillmann in sein leeres Zimmer auf den kaputten Fußboden schaut, berichtet Tochter Evelyne Nagel, wie der Vater am Abend des 20. September bei ihr angerufen hat. Erst habe sich das alles gar nicht so schlimm angehört. Umso größer war der Schock für sie, als sie am nächsten Morgen das Haus ihrer Eltern betrat. Bei Gillmanns hat es das gesamte Erdgeschoss getroffen. „Unser Problem ist, dass wir zwei Eingangstüren haben“, sagt ihr Vater. Das Wasser sei von hinten und von vorne ins Haus gekommen. Das sei etwa um 18 Uhr an diesem verhängnisvollen Samstag gewesen – zwei Stunden habe das Wasser in der Wohnung gestanden. Zuvor war die Feuerwehr noch durch Obermoschel gefahren, hatte die Anwohner gewarnt. Walter Gillmann reagierte schnell, brachte 40 Zentimeter hohe Bretter außen am Haus an. Geholfen hat es nichts mehr. Seine Frau erinnert sich: „Wir haben gesehen, wie das Wasser steigt und steigt. Das ging ruckzuck, da konnten wir nicht viel sichern.“ „Dass ich so blöd war und das Auto nicht rausgefahren habe!“, wirft Walter Gillmann ärgerlich und gleichzeitig entmutigt ein. Das Fahrzeug stand in der Garage. Das Wasser kam. Totalschaden. Seit 1958 lebt das Ehepaar in seinem Haus in Obermoschel. Erst kürzlich hatten sie renoviert. Jetzt sitzen sie in der Küche, sind mit dem Mittagessen viel später dran als sonst, weil es einfach so viel zu organisieren gibt im Moment. Das Hochwasser hat alles aus dem Rhythmus gebracht. „Ich kann das nicht mehr“, sagt der 80-Jährige resigniert. „Wenn die Arbeit nachlässt, fängt der Kopf an zu arbeiten“, sagt die Tochter und meint damit: Erst nach und nach wird ihnen das ganze Ausmaß der Katastrophe bewusst. „Wir dachten, wir könnten die Küche retten“, ergänzt sie. Aber hier sind die Holzmöbel ebenfalls durchweicht und plustern sich, wassergetränkt, nach einigen Tagen auf. Bald werden auch diese letzten Stücke aus dem Erdgeschoss entsorgt. Immerhin: Dank des unbeschädigten Obergeschosses kann das Ehepaar weiter im Haus wohnen bleiben. Wie viele andere Betroffene in der Region, sind auch die Gillmanns dankbar für die schnelle und umfangreiche Hilfe. Die Nachbarn haben direkt angepackt, das Gröbste weggeschafft, sagt Evelyne Nagel. Dabei hatte das Wasser viele nahe gelegene Häuser ebenso geschädigt. Auch aus dem Familien- und Bekanntenkreis haben sich Handwerker und Helfer ohne zu zögern auf den Weg nach Obermoschel gemacht. Gegen Hochwasserschäden versichert sind die Gillmanns nicht. Wer hätte auch mit einer solchen Flut gerechnet, sagen sie. Nun sitzen sie in der halbleeren Küche, gehen von Zeit zu Zeit ins komplett leere Wohnzimmer, können es immer noch nicht fassen. Auf etwa 50.000 bis 60.000 Euro schätzen sie den Schaden, wie Evelyne Nagel sagt. Es wird lange dauern, bis sich die Gillmanns – auch finanziell – von diesem Schock erholt haben. Der hellbraune Schmutzrand an der Wand im Wohnzimmer wird sie noch eine Weile daran erinnern.

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