Donnersbergkreis Strahlentherapie nach Maß

91-84187047.jpg

Beim Kampf gegen Krebs spielt die Strahlentherapie eine große Rolle. Dabei sehen sich die Ärzte einem Dilemma gegenüber: Die Strahlendosis, die nötig ist, um einen Tumor zu zerstören, greift auch das gesunde Gewebe an. Einen Strahlentherapieplan auszuarbeiten, ist dementsprechend kompliziert. Zumindest war das vor 20 Jahren der Fall, als Professor Karl-Heinz Küfer vom Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik (ITWM) dem Thema zum ersten Mal begegnete. Er war sich sicher: mit mathematischer Hilfe lässt sich die Planung deutlich verbessern. Aus dieser Überzeugung ist mittlerweile eine Software geworden, die an über 300 Kliniken weltweit eingesetzt wird, darunter einige Universitätskliniken in Deutschland. Neben den Spezialisten des ITWM waren Forscher und Mediziner des Universitätsklinikums Heidelberg, des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg, des Klinikums der Universität Münster und des Massachusetts General Hospitals in Boston (USA) an der Entwicklung der Software beteiligt. Das Besondere: Mit ihrer Hilfe lässt sich ein Strahlentherapieplan präzise, kontrolliert und zügig gestalten. Bisher habe der Mediziner seine Wünsche geäußert und ein Strahlenphysiker habe daraus einen Therapieplan nach dem Versuchen-und-Verwerfen-Prinzip entwickelt, wie Küfer erzählt. Auf diese Weise habe man sich Schritt für Schritt dem Optimum angenähert, was sehr viel Zeit beansprucht habe. Mit der Software können die Mediziner anders vorgehen. Am Beispiel eines Kopf-Hals-Tumors zeigt Küfer, wie das Programm funktioniert. Ausgangspunkt sind dabei der Tumor und die Strahlendosis, die nötig ist, um ihn zu zerstören. Bei allem anderen gehe es darum, Kompromisse auszuhandeln. Denn: Eine Bestrahlung ohne Nebenwirkungen gibt es nicht. In der Umgebung des Tumors liegen empfindliche Strukturen, so Küfer: das Rückenmark, das Kleinhirn, die Speicheldrüsen. Werde der Tumor bestrahlt, wirke sich das auch auf diese Strukturen aus. Wie genau, lässt sich mit Hilfe der Software simulieren. Das Zauberwort heißt Paretolösung. „Das ist eine Lösung, die nicht gleichzeitig für alle Kriterien besser werden kann. Wenn man ein Kriterium verbessert, muss sich ein anderes verschlechtern“, sagt Küfer. So sei es keine Seltenheit, dass bei einer Therapie zehn bis 15 sich widersprechende Planungsziele bestehen. Übersetzt auf das Tumor-Beispiel bedeutet das: wird die Strahlung an einer Stelle erhöht, zeigt das Programm sofort in Echtzeit, was das für das umliegende Gewebe bedeutet. Auf dieser Grundlage kann der Arzt nun entscheiden, welchen Kompromiss er machen muss, um den Tumor zu bekämpfen und wo er Gewebe schonen kann. So kompliziert es klingt, so einfach ist das Prinzip in der Umsetzung. Küfer zeigt, wie differenziert die Mediziner dabei vorgehen können. Sobald sie einen Parameter ändern, zeigt das Programm auf dem Bildschirm anhand von Kurven sofort die Auswirkungen auf die anderen. Jede Kurve steht dabei für eine Struktur, die erhalten werden soll: Rückenmark, Kleinhirn, Speicheldrüsen. Beim Austesten verschiedener Varianten wird rasch deutlich: Im Beispielsfall lassen sich Rückenmark und Kleinhirn komplett schonen, von den beiden Speicheldrüsen wird eine erhalten werden können. Mit wenigen Handgriffen sind die Mediziner so in der Lage, mehrere Therapiepläne zu vergleichen. Die Vorteile des Programms liegen für Küfer auf der Hand: Es ermöglicht nicht nur eine passgenaue Abstimmung, sondern spart auch Zeit und kann nach gründlicher Schulung selbst von jungen Ärzten direkt verwendet werden, wie Küfer schildert. Letztlich könnten sogar Patienten selbst mit ihren Ärzten anhand des Systems gemeinsam abwägen, wie ihre Strahlentherapie gestaltet werden sollte, entwirft Küfer eine Vision für die Zukunft. Den Markt hat das Projekt bereits überzeugt. Neben der schwedischen Firma RaySearch Laboratories hat seit Januar der Weltmarktführer Varian Medical Systems die Lizenz für das Softwaresystem erworben und plant, sie in seine eigene zu integrieren. Ab 2017 soll die Software dann an 20.000 Therapieplanungsplätzen, das sind etwa 60 Prozent aller Plätze weltweit, zum Einsatz kommen, wie Küfer schildert. So viel praktische Hilfe in der Medizin überzeugt auch Laudatoren: In der vergangenen Woche erhielt das Projekt den mit 50.000 Euro dotierten Preis des Stifterverbandes der Deutschen Wissenschaft, mit dem exzellente Verbundprojekte der Fraunhofer-Gesellschaft in der angewandten Forschung ausgezeichnet werden.

Ihre News direkt zur Hand
Greifen Sie auf all unsere Artikel direkt über unsere neue App zu.
Via WhatsApp aktuell bleiben
x