Donnersbergkreis „Manchmal fehlt mir das Selbstvertrauen“

Für ihr Buch „Wie ein unsichtbares Band“ wurde die argentinische Schriftstellerin Inés Garland im Oktober mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. Im Interview mit XXpress-Reporterin Anne Kirchberg erzählt die Autorin, was ihr dieser Preis bedeutet und weshalb Geschichten für Jugendliche für sie etwas ganz Besonderes sind.

Was bedeuten Ihnen Preise wie der Deutsche Jugendliteraturpreis?

Auszeichnungen helfen mir, mit meinen Unsicherheiten klar zu kommen. Manchmal fehlt mir beim Schreiben das Selbstvertrauen, und Preise wie dieser sind sehr nützlich, wenn meine innere Stimme mir wieder etwas über mein fehlendes Talent vorbrabbeln möchte. Ich kann dieser Stimme dann entgegenwirken, und sie verschwindet für einige Zeit. Wie ist Ihr Eindruck: Haben junge Menschen noch Interesse an Büchern? Einige ja, andere nicht. Die heutige Welt bietet so viele Arten der Unterhaltung, und sieht man Bücher nur als Unterhaltung, erscheinen sie im direkten Vergleich mit Videospielen, dem Internet oder Filmen vielleicht eher blass. Man sollte diese Orientierung hin zur Unterhaltung und der sofortigen Befriedigung untersuchen, denn sie macht uns unglücklich und neurotisch. Außerdem erwarten Eltern, die nicht lesen, dies auch nicht von ihren Kindern. In der Schule ist es ähnlich: Wenn Lehrer keine Bücher lieben und die Schüler zum Lesen zwingen, kann bei Kindern keine Leidenschaft für Bücher entstehen. Liest hingegen jemand, der Bücher liebt, laut eine gute Geschichte vor, sind alle gefesselt. Ich glaube nicht, dass sich das verändert hat. Finden Sie es gut, dass Bestseller wie „Harry Potter“ viele Jugendliche zum Lesen gebracht haben? Ich glaube, jedes Buch, das das Interesse von Lesern weckt, ist gut. Ich habe auch viele verschiedene Arten von Büchern gelesen, Emilio Salgars „Sandokan“ war eines meiner liebsten. Erst nachdem ich viele Stunden mit Lesen verbrachte, hatte ich die Geduld, etwas kompliziertere Bücher anzugehen. Ich denke, man muss zuerst das Lesen lieben, und dann findet man den Zugang zu anderen Büchern. Ein leidenschaftlicher Lehrer schafft es, dass junge Leute alles lesen. Deswegen sollten Lehrer Bücher wählen, die sie selbst lieben. Wie wurden Sie Schriftstellerin? Ich schrieb meine erste Geschichte im Alter von zehn Jahren: Damals wachte ich morgens auf und hatte diese Idee im Kopf, gemeinsam mit den Worten „Es war einmal…“. Die Geschichte handelte von einer Papier-Prinzessin, die in einer Papierwelt lebte und sich in einen Scheren-Soldaten verliebte. Ich wollte unbedingt wissen, wie das ausging, deshalb schrieb und zeichnete ich einen ganzen Vormittag, während meine Schwestern zum Strand gingen. Als meine Eltern nach Hause kamen und die Geschichte sahen, waren sie begeistert, und ich erhielt eine Menge Aufmerksamkeit. Da wusste ich: Ich will Schriftstellerin werden! War das dann ein einfacher Weg? Nein, mit 16 Jahren nahm ich an einem Workshop teil, und die Lehrerin war total kritisch. Sie gab mir das Gefühl, dass ich nicht talentiert genug bin – es ist eigentlich unfair, das so auszudrücken, weil sie mir sagte, dass ich talentiert sei. Aber ihre Kritik war dermaßen heftig, dass ich fast mit dem Schreiben aufhörte. Erst im Alter von 37 Jahren zeigte ich meine Werke anderen Menschen als meinen Freunden und meiner Familie. Und glücklicherweise bekam ich gleich für meine erste Kurzgeschichte einige Auszeichnungen. Wie entstand „Wie ein unsichtbares Band“, und war es von Anfang an als Jugendbuch geplant? Es begann als eine Kurzgeschichte, in der ich über zwei Mädchen schreiben wollte, die sich an den Wochenenden auf einer Insel am Fluss trafen. Eine kam aus der Stadt, die andere lebte auf der Insel. Ich wollte diese beiden Freunde eine glückliche Kindheit erleben lassen und beim Erwachsenwerden merken sie, welche unterschiedliche Möglichkeiten ihnen das Leben gegeben hat. Beim Schreiben spürte ich nach einer Weile, dass dies keine Kurzgeschichte ist, sondern ein Buch wird. Wie passend es für junge Leute sein könnte, war nicht mein Einfall, sondern der meines Verlegers. Junge Menschen sind sehr leidenschaftliche und ehrliche Leser, darum war ich sehr glücklich, als er dachte, ihnen könnte die Geschichte gefallen. Was ist anders, wenn Sie für Jugendliche schreiben? Beim Schreiben ziehe ich einen roten Faden, und die Geschichte entfaltet sich. Junge Charaktere unterscheiden sich von erwachsenen Figuren – und es sind immer die Charaktere, die die Geschichte vorwärts bringen. Das Schreiben aus Sicht der jungen Figur macht also den Unterschied. Dieser Blickwinkel ermöglicht einem den Sinn für die Wunder in der Welt, auch starke Ideale sind charakteristisch oder radikale Standpunkte, das Gefühl, jede Situation ist für immer ein „alles oder nichts“, und die Intensität von Gefühlen, die nicht durch das Leben gezähmt werden. Ich bin bis heute ein wenig so, als ob das Erwachsenwerden mich nicht völlig getroffen hat. Und ich genieße es, dieser Leidenschaft und dem Gefühl des Staunens beim Schreiben Raum zu lassen. Denken Sie beim Verfassen eines Buches daran, dass Sie gerade für ein junges Publikum schreiben? Nein, ich habe meine Leser nicht im Kopf, wenn ich schreibe. Für mich zählt dann nur die Wahrheit in dem, was ich sage. Also die Wahrheit in der gesamten Geschichte. Ich will keine Kompromisse eingehen oder den einfachen Weg aus Zwickmühlen finden, in denen sich meine Figuren befinden. Aber das ist genau das Gleiche beim Schreiben für junges oder älteres Publikum. Der „Bullshit-Detektor“ von jungen Leuten ist jedoch sehr genau, deshalb muss ich ehrlich bezüglich der wahren Gefühle meiner Charaktere sein. Verpacke ich irgendeine versteckte Botschaft an sie, würden sie es sofort merken, und niemand mag es, in Büchern etwas gepredigt zu bekommen. Geschichten sollen vielmehr die Tür zur Welt öffnen und das eigene Herz für die Gefühle von anderen zugängig machen. Bücher können einem Mitgefühl beibringen und zeigen, wie man sich in den Schuhen eines anderen fühlt. Aber all das kommt nur durch die ehrlich erzählte Geschichte. Unterscheiden sich dabei Jungen und Mädchen als Leser? Ich mag es weder, Bücher nach Altersgruppe noch nach Geschlecht zu kategorisieren. „Wie ein unsichtbares Band“ wird von Jungen und Mädchen gleichermaßen gemocht. Jungen identifizieren sich mehr mit Marito, und die Mädchen verlieben sich eher in ihn. Aber das geht sicher auch genauso andersherum. Es gibt so viele verschiedene Arten, wie Leser auf das Buch reagieren. Bücher können uns einen offenen Geist geben, die Welt ohne Vorurteile zu sehen. Wie stehen Sie in Kontakt mit Ihren jungen Lesern? Ich besuche häufig Schulen, und viele der Leser schreiben mir. Sie zeigen mir ihre gemalten Bilder, ihre Videos oder Theaterstücke, die auf meinen Geschichten beruhen. Für einige der Charaktere gibt es mittlerweile sogar eigene Facebook-Seiten. Ich mag es, mich mit den jungen Lesern zu unterhalten und mir ihre Geschichten anzuhören. Viele unterscheiden sich nicht von denen, als ich in ihrem Alter war. (akk)

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