Eisenberg Der letzte Ausweg „Abtreibung“

Der Paragraf 219a wird schon lange diskutiert.
Der Paragraf 219a wird schon lange diskutiert.

Schwanger – meistens ein Grund zur Freude. Aber nicht immer. Manchmal sind Frauen auch ungewollt schwanger. Was tun? Eine Betroffene und eine Ärztin über den letzten Ausweg „Abtreibung“.

Julia (Name von der Redaktion geändert) ist Mitte 30. Sie hat zwei Kinder und einen Lebensgefährten, gemeinsam lebt die Familie in einem eigenen Haus. Derzeit ist Julia noch in Elternzeit, da ihr zweites Kind erst im vergangenen Jahr geboren wurde. „Mein Freund und ich sind beide im Schichtdienst tätig“, sagt sie. Damit sie ihren Beruf weiter ausführen konnte, packen ihre Eltern mit an und helfen bei der Kinderbetreuung. „Als ich Spätschicht gearbeitet habe, habe ich meine Tochter kaum gesehen“, sagt sie. „Mama ist nicht da, Mama muss arbeiten“, diese Sätze habe ihre Tochter damals leider oft hören müssen. Ein zweites Kind sei damals nicht geplant gewesen. Umso größer sei der Schock gewesen, als sie schwanger wurde. „Ich war gerade aus dem Loch herausgekrabbelt, keine Zeit für meine Tochter zu haben. Alles hatte sich gut eingespielt – und dann sollte alles wieder von vorne losgehen?“, habe sie sich damals gefragt.

Viele Gespräche mit ihrem Lebensgefährten und ihrer Mutter seien gefolgt, wobei ihr Freund eher dazu geneigt habe, das Kind zu behalten, ihre Mutter ihr allein die Entscheidung überließ und sie selbst nach reiflicher Überlegung schweren Herzens für eine Abtreibung gewesen sei. „Ich war ganz am Anfang meiner Schwangerschaft, erst in der vierten, fünften Woche und dachte mir, das Kind, das in mir wächst, ist noch so klein“, erzählt Julia.

„Ich hatte ein total schlechtes Gewissen“

Beim Termin im Krankenhaus habe sie jedoch gemerkt, dass sich etwas vornehmen und etwas in die Tat umsetzen, zwei verschiedene Dinge sein können. „Im Krankenhaus habe ich nur geweint, in der Nacht vor- und nachher konnte ich nicht schlafen, war sehr emotional und hab nur geweint, geweint, geweint. Ich hatte total ein schlechtes Gewissen“, erinnert sie sich.

Der Eingriff wurde schließlich gemacht.

Mehrere Monate habe sie gegen ihre Gewissensbisse angekämpft und sie schließlich überwunden. Kurz darauf, Anfang 2020, sei sie trotz Einnahme der Pille erneut schwanger geworden. „Zunächst war ich wieder geschockt, aber durch das große Verständnis meiner Freundinnen, Kollegen und meiner Eltern habe ich mich für das Kind entschieden und Ende 2020 meinen Sohn geboren“, sagt sie strahlend. Sie sei sehr glücklich mit ihren beiden Kindern und schaue optimistisch auf die Zeit, in der sie wieder arbeiten müsse und ihre Mutter beide Kinder betreuen wolle.

Julia sagt: „Der Zeitpunkt meiner zweiten Schwangerschaft hat einfach nicht gepasst – deshalb habe ich mich damals für die Abtreibung entschieden.“

Abtreibung in Deutschland noch illegal

Abtreibung ist in Deutschland immer noch illegal. Der Paragraph 218 des Strafgesetzbuches (StGB) regelt das. „Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“, heißt es dazu im Gesetz. „Eine Schwangerschaft darf nur dann straffrei abgebrochen werden, wenn die psychische und physische Gesundheit der Frau beeinträchtigt würde, wenn ein Sexualdelikt vorliegt oder wenn eine Beratung durch eine Schwangerschaftskonfliktstelle, beispielsweise Pro Familia, stattgefunden hat und die Schwangerschaft noch nicht mehr als zwölf Wochen besteht“, erklärt Fitriaty Arsyad-Müller, die in Teilzeit als Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe sowie medikamentöse Tumortherapie am Kreiskrankenhaus Grünstadt beschäftigt ist und an zwei Tagen pro Woche in der Frauenarztpraxis von Bernd Rainer in Eisenberg arbeitet.

Die 40-jährige Medizinerin hat in Indonesien studiert und kam 2008 nach Deutschland, wo sie zunächst als Gastärztin am DRK Köpenick in Berlin arbeitete. Danach wechselte sie ins Krankenhaus nach Landstuhl, seit 2015 ist sie in Grünstadt beschäftigt. „Inzwischen führen immer weniger Gynäkologen in Deutschland eine Abtreibung durch, es ist nur noch einer unter zehn“, weiß die Fachärztin.

Prinzipiell gebe es zwei verschiedene Arten, eine Abtreibung durchzuführen. „Einmal nimmt man am Vortag eine Tablette, die die Gebärmutter weich macht und dadurch den Eingriff am Folgetag erleichtert. Die andere Methode ist rein medikamentös: diese Tablette lässt den Herzschlag des Kindes aussetzen und führt dazu, dass das Material dann ausgestoßen wird“, erklärt sie. Die Operation unter Vollnarkose dauere nicht länger als 15 Minuten und sei eine herkömmliche Ausschabung. Je nach Entwicklungsstand des Embryos seien in dem „Zellhaufen“, so ein allerdings umstrittener Begriff, sehr wohl kleine Arme, Beine und auch der Körper zu erkennen. „Die Kosten für eine Abtreibung übernimmt die Krankenkasse nur dann, wenn das Monatseinkommen der betroffenen Frau 1258,00 Euro nicht übersteigt, sonst muss sie die Kosten, die zwischen 300 und 500 Euro liegen können, selbst bezahlen“, so die Medizinerin. Die Abtreibung an sich würde prinzipiell immer im Krankenhaus durchgeführt, in Frauenarztpraxen fänden lediglich Beratungsgespräche statt.

„Die Entscheidung zur Abtreibung sollte gut überlegt sein und die Frau sollte nichts überstürzen“, ist ihre Meinung. Trotzdem gebe es ethische oder auch moralische Gründe für eine Abtreibung. „Auch eine Vergewaltigung oder eine persönliche Ausnahmesituation können eine Frau zur Abtreibung veranlassen“, meint die Ärztin mit indonesischen Wurzeln. In ihrem Geburtsland sei Abtreibung übrigens grundsätzlich verboten, ganz egal, aus welchem Grund. „Die Konsequenz ist dann natürlich, dass die Schwangerschaftsabbrüche illegal durchgeführt werden – in Deutschland sprach man früher von den Engelmachern – was häufig große Gefahren birgt“, betont sie. Ein Schwangerschaftsabbruch sei immer schade, aber es könne eben auch Gründe dafür geben.

Wann ist Information Werbung?

Der Paragraf 219a StGB verbietet bisher die „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“. Als „Werbung“ im Sinne des Gesetzes gelten aber schon ausführliche Informationen über verschiedene Methoden des Schwangerschaftsabbruchs sowie die damit jeweils verbundenen Risiken. Als Strafmaß drohen eine Geld- oder eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren.

Die Ampel-Regierung will das Werbeverbot nun aufheben. Ärzte und Ärztinnen sollen künftig straffrei über Abtreibungen informieren dürfen. Urteile, die aufgrund der bestehenden Norm gefällt worden sind, sollen aufgehoben werden. Im März 2022 wurde ein entsprechender Regierungsentwurf eines Gesetzes beschlossen, eine erste Lesung fand im Mai statt. Justizminister Marco Buschmann (FDP) verwies dabei auf den Umstand, dass zum Thema Abtreibung jede Menge Unsinn verbreitet werden könne, qualifizierte Ärzte aber kein Recht auf seriöse, sachliche Information ihrer Patienten hätten: „Das ist doch absurd.“ Unterstützung bekommt die Ampel derzeit von der Linkspartei. Auch der Frauenärzteverband schlägt sich auf die Seite der Regierung. „Die Auseinandersetzung des Gesetzgebers mit dem Werbeverbot war längst überfällig. Frauenärztinnen und Frauenärzten muss die medizinische und sachliche Information über die Methoden und Abläufe eines Schwangerschaftsabbruchs möglich sein. Im Informationszeitalter ist es überholt, hilfesuchenden Frauen den direkten Zugang zu diesen Informationen zu erschweren“, ließ sich etwa Klaus Doubek, Präsident vom Berufsverband der Frauenärzte, in einer Mitteilung zitieren. Union und AfD tun sich mit der geplanten Gesetzesänderung indes schwer, die CDU/CSU etwa befürchtet eine Vermischung vom Informations- und kommerziellen Interessen.

Immer weniger Schwangerschaftsabbrüche

Im Jahr 2020 wurden laut Statistischem Bundesamt deutschlandweit 99.948 Schwangerschaftsabbrüche gezählt, im Jahr 2021 waren es rund 94.600. Die Zahlen sind seit Jahren rückläufig. Laut Statistischem Bundesamt waren sieben von zehn Frauen, die 2021 einen Schwangerschaftsabbruch durchführen ließen, zwischen 18 und 34 Jahre alt, etwa jede fünfte Frau (19 Prozent) war zwischen 35 und 39. Rund acht Prozent der Frauen waren 40 Jahre und älter, drei Prozent waren jünger als 18 Jahre. Rund 41 Prozent der Frauen hatten vor dem Schwangerschaftsabbruch noch kein Kind zur Welt gebracht. 96 Prozent der im Jahr 2021 gemeldeten Schwangerschaftsabbrüche wurden nach der sogenannten Beratungsregelung vorgenommen. Indikationen aus medizinischen Gründen und aufgrund von Sexualdelikten waren in vier Prozent der Fälle die Begründung für den Abbruch.

Die meisten Schwangerschaftsabbrüche (52 Prozent) wurden laut Bundesamt mit der Absaugmethode durchgeführt, bei 32 Prozent wurde das Mittel Mifegyne verwendet. Die Eingriffe erfolgten überwiegend ambulant, zu rund 81 Prozent in gynäkologischen Praxen und zu 16 Prozent ambulant im Krankenhaus. Im europäischen Vergleich der Abbruchraten belegt Deutschland einen der hinteren Plätze.

Fitriaty Arsyad-Müller ist Frauenärztin in Eisenberg und im Kreiskrankenhaus Grünstadt.
Fitriaty Arsyad-Müller ist Frauenärztin in Eisenberg und im Kreiskrankenhaus Grünstadt.
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