Donnersbergkreis Das Ich und die chinesische Mauer

Die beiden Rockenhausener Lokalredakteure Rainer Knoll und Lorenz Hofstädter geben in einer kleinen RHEINPFALZ-Serie ihre Tipps zu den WM-Spielen der Deutschen Fußball-Nationalelf ab. Knoll ist das wandelnde Fußball-Lexikon, der alle WM- und EM-Spiele der Deutschen aus den vergangenen Jahrzehnten quasi als Mediathek im Kopf hat. Hofstädter dagegen vergisst eher schnell, tippt also notgedrungen aus dem Bauch heraus. „Ich hab’ jo schun drei Mol e WM-Endspiel velor un noch zwää EM-Finale – uff de anner Seit hab’ ich bloß zwää Mol gewunn. “ Mit „Ich“ meint das Lexikon (hoffentlich) nicht sich selbst, sondern die deutsche Nationalelf. Der Otto-Normaldeutsche wählt als grammatikalische Verbundenheit mit seinen Landesgenossen ja eher das „Wir“. So wie in „Wir sind Weltmeister“ oder „Wir sind Papst“. Dem Lexikon ist die 1. Person Plural aber offensichtlich zu unpersönlich, es muss die 1. Person Singular sein: „Ich“! Bevor aber nun selbst ernannte Hobby-Psychologen dieses ganz spezielle „Ich-Gefühl“ analysieren wollen – das „Ich“ des Lexikons ist sehr viel mehr als eine Reduzierung des Wir-Gefühls auf sein Ego. „Es“ macht damit deutlich, dass die Spiele der Deutschen seit dem Jahr 1982 gemeint sind. Seit das damals neun Jahre alte Lexikönchen mit den deutschen Fußballern bei großen Turnieren mitfiebert und automatisch in seiner Kopf-Mediathek abspeichert. Der Lexikon-Beitrag „Mer war bis heit gar net so bewusst, dass ich mit 2:5 so e negative Endspiel-Bilanz hann“, macht den für sein „Ich“ entscheidenden Zeitfaktor vielleicht deutlicher. Diese negative Final-Bilanz der Deutschen wertet das zweck-pessimistische Lexikon NATÜRLICH als schlechtes Omen für das Match gegen Argentinien. Ebenso das überragende 7:1 gegen Brasilien: „Noch mol so e glattes Spiel is vollkommen ausgschloss. So was hott’s noch nie zwää Mol hinnernannernoh gebb.“ Der Bauch hingegen zieht ganz andere historische Lehren und Parallelen: „Mit dem Romero hänn die Argentinier widder genau so en Linie-Zappler im Tor wie domols de Goicochea. Bei me Elfmeterschieße machen die vielleicht mol wie de wilde Watz, awer im normale Spiel gewe die Figure ab, do kännsche määne, des wären Synchronschwimmer uffm Truckene.“ Das Lexikon nickt, er hat ja das Finale Deutschland - Argentinien aus dem Jahr 1990 wie kein anderer vor seinem geistigen Auge. Und die 3:2-Endspiel-Niederlage gegen den gleichen Gegner vier Jahre zuvor. Aber auch das von den Argentiniern nach dem Elfmeterschießen angezettelte Handgemenge im Jahr 2006, in dessen Verlauf Frings die zweite Gelbe Karte gesehen hat und fürs Halbfinale gegen Italien gesperrt war. Die Mediathek des Lexikons wird wieder abgerufen: „De Klose hatt domols gege Argentinie neun Minudde vor Schluss noh ner Flanke vum Ballack de erlösende 1:1-Ausgleich geköppt. Wääsche des noch?!“ Dem Bauch ist heute überhaupt nicht nach solchen Kriwwelbisser-Details. Er sieht mehr das „Kroose“ Ganze: „Noh dem Endspiel werd net nur es Empire-State-Building Schwarz-Rot-Gold aageleucht, sondern aach die chinesisch Mauer – un zwar uff de ganz Läng.“ Diese Euphorie bereitet dem Lexikon fast körperliche Schmerzen. Er verzieht das Gesicht, wie wenn ihm der Bauch gerade ein drei Monate altes argentinisches Hüftsteak reingewürgt hätte: „So was denkt mer doch noch net emol – geschweige denn, dass mer’s saat. Des kann doch dann umeechlich in Erfüllung gehe.“ Das mag vielleicht für Lexikönner gelten, aber wir Bäuche können nun mal aus ihrem Fußballerherz keine Mördergrube machen: „Alländ de Klose gockelt zwää Mol ei – die Sitterscher kennen jo die Argentinier mol froh, ob se äner vun denne Gockele fer ehrn Kerchturm kriehn.“ Das Lexikon greift wieder das Stichwort Klose auf – der Zweck-Pessimist MUSS diesen Unglück bringenden Optimismus stoppen: „Wääsche noch, de Klose?! Heit isser ewischer WM-Torschützekönig, damals isser vun Blaubach-Diedelkopp iwwer Homburch uff de Betze kumm. De Rehhagel hatten dann es erschte Mol gege Eintracht Frankfurt ingewechselt. Ich mään, dass de FCK 1:0 derch e Dor vum Marco Reich gewunn hott.“ Das Lexikon hat’s mal wieder geschafft: Die Bauch-Euphorie ist verflogen. Stattdessen nur noch pure Fassungslosigkeit: „Wie kammer sich dann so was merke?! Des iss doch bestimmt 15 Johr her.“ Das Lexikon gibt sich mit solch diffusen Zeitangaben natürlich nicht zufrieden: „Des misst im Johr 2000 gewesst sinn Die Euphorie ist zwar weg, der Bauch bleibt aber dabei: „Ich tipp e klares 4:1.“ Auch das Lexikon bleibt seiner Linie treu: „Des gebbt e ganz unglücklichi 0:1-Niederlag. Durch en unberechtigte Elfmeder odder e Eigedor.“ Irgendwie verspürt der Bauch jetzt das Wir-Gefühl nicht mehr, das sich im Laufe der WM trotz aller Gegensätze innerhalb der kleinen Tippgemeinschaft entwickelt hatte. Das Lexikon soll sich nur mal trauen, nach dem Finale „seine“ aktuelle Statistik zu präsentieren: „Ich hab’ jetzt erscht drei Mol e Endspiel gewunn.“ Dann schickt ihn der Bauch an die chinesische Mauer

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