obermoschel Auf den Spuren der Obermoscheler Juden

Rainer Schlundt erklärt die Geschichte verschiedener ehemals jüdischer Wohn- und Geschäftshäuser.
Rainer Schlundt erklärt die Geschichte verschiedener ehemals jüdischer Wohn- und Geschäftshäuser.

Mit „Sie haben uns heute ein besonderes Geschenk gemacht“, dankte am Ende des Rundgangs Ruprecht Beuter dem aus Obermoschel stammenden Rainer Schlundt, der als profunder Kenner die Spuren jüdischen Lebens in der kleinsten pfälzischen Stadt für die rund 30 Teilnehmer nachgezeichnet hatte. Die Führung war Teil der Veranstaltungsreihe anlässlich des Gurs-Gedenkens.

In Obermoschel existierte bis zu ihrer Vernichtung eine jüdische Kultusgemeinde, deren Wurzeln bis ins Mittelalter zurückreichen. 1890 stellte sie mit 86 Personen 6,3 Prozent der Bevölkerung. In das Jahr der Stadtrechteverleihung 1349 fällt auch die erste Erwähnung von Juden.

Auf dem Marktplatz vor dem Rathaus begann der von Schlundt überaus kundig geführte Rundgang, bei dem er auch auf seine Quellen, vor allem die Veröffentlichungen zur Geschichte der Juden von Bernhard Kukatzki in der Obermoscheler Stadtchronik, hinwies. Hier wurden in der Pogromnacht 1938 Möbel und Gegenstände aus der geschändeten Synagoge verbrannt. Jüdische Bürger wurden am 20. Oktober 1940 von dort aus ins Lager Gurs, einige auch nach Auschwitz, deportiert. Nur wenige überlebten.

Anekdoten zeugen von gutem Miteinander

Schlundt zeigte aber anhand vieler Anekdoten, dass es auch ein gutes Miteinander jüdischer und nichtjüdischer Obermoscheler gegeben hatte: Als zum Beispiel der Inhaber der Firma Elektro-May als Wehrmachtssoldat in französische Kriegsgefangenschaft geriet, schickte ihm die frühere Nachbarin Frau Lorig ein Päckchen mit Brot. In einem beigefügten Brief schrieb sie: „Obwohl die Deutschen meinen Sohn und meinen Mann umgebracht haben, schicke ich Dir dieses Päckchen.“

Einmal brach der Räuberhauptmann Schinderhannes, der zwischen 1797 und 1802 die Region unsicher machte, bei dem jüdischen Eisenhändler Joel Elias ein. Auf seine Rufe hin kamen ihm auch viele christliche Obermoscheler zu Hilfe und vertrieben den Räuber samt Gefolge vor die Stadttore. Und der christliche Briefträger Klein trotzte dem Verbot von höherer Stelle, Briefe an Juden zuzustellen, indem er diese Aufgabe seiner Tochter übertrug.

In der Wilhelmstraße, auch als „Unnergass“ bekannt, wohnte in Hausnummer 30 der Viehhändler Strauß, im Volksmund als „Ochse-Strauß“ bekannt. Neben ihm gab es noch weitere jüdische Bürger dieses Namens, den „Uhren-Strauß“ (Wilhelm Strauß, Landsbergstraße 5 ), außerdem einen „Gaul-Strauß“ (Leopold Strauß, Wilhelmstraße 22). Daneben hatten weitere Juden Geschäfte in der Stadt, darunter Issak Schneider, Joseph Rheinstein, Josef Maier, Siegfried, Moritz und Friedrich Brück oder Ferdinand Loeb. Sie handelten mit Vieh, Kolonialwaren, Bekleidung oder auch Wein und anderen landwirtschaftlichen Produkten. Auch ein Metzger, Carl Lipold, war in der heutigen Richard-Müller-Straße tätig. Sie alle belebten das Wirtschaftsleben nicht nur in Obermoschel, sondern in der gesamten Region.

Lebenslanges Leid unter den Folgen von Auschwitz

Im „Hinnerumweg“, wie die Landsbergstraße im Volksmund heißt, ging es zur Hausnummer 5. Dort war der Uhren-Strauß mit seiner Familie zu Hause. Wie Schlundt berichtete, wurde dessen Frau samt der erst fünfjährigen Tochter nach Auschwitz deportier. Das Mädchen überlebte das Martyrium, kam später nach Obermoschel zurück und litt lebenslang an den Folgen des grausamen Lageraufenthaltes.

Auch der jüdische Friedhof wurde besucht. Im Urkataster 1844 wird erwähnt, dass der rund 580 Quadratmeter große Begräbnisplatz „Am Scheeb“ bereits seit urdenklicher Zeit jüdisches Eigentum sei. Heute sind noch rund 30 Grabsteine zu sehen. Die letzte Beerdigung fand vor rund 20 Jahren statt – auf besonderen Wunsch einer Frau. Ein Teilnehmer wusste zu berichten, dass der Verbindungsweg von der Baumgartenstraße zur Entengasse/Ringmauergasse als „Judenpfad“ bezeichnet wurde, weil er die kürzeste Verbindung zwischen Friedhof und Synagoge war.

Die Synagoge wurde 1841 errichtet, hatte eine Treppe und ein Rundbogenportal mit der hebräischen Inschrift „Dies ist das Tor des Herrn, die Gerechten selbst werden in dasselbe eintreten“. Im Obergeschoss befand sich der Beetsaal mit 35 Männerplätzen und 20 Plätze auf der Frauenempore. Die Decke war mit einem Sternenhimmel ausgemalt. Im Erdgeschoss befanden sich die Wohnungen des Vorbeters und des Lehrers, ebenso ein Lehrsaal der jüdischen Schule.

Synagoge wird zum Mietshaus

In der Pogromnacht wurde die Synagoge geschändet und im Innern demoliert, aber nicht in Brand gesetzt, da man wohl Angst hatte, dass das Feuer auf die Nachbargebäude übergreifen würde.

Anfang der 1940er Jahre wurden in dem Gebäude französische Kriegsgefangene untergebracht. 1952 wurde es an die Jüdische Kultusgemeinde zurückgegeben und 20 Jahre später verkauft und zu Mietwohnungen umfunktioniert. Das Portal mit der hebräischen Inschrift wurde Bestandteil des jüdischen Mahnmals an der evangelischen Kirche. Schlundt verlas die Namen der mindestens elf Obermoscheler Juden, die in den Lagern umgebracht wurden. Eine Tafel mit diesen Namen sei das Einzige, das noch ergänzt werden müsse, sagte Rainer Schlundt zum Schluss.

Zur Person: Rainer Schlundt

Rainer Schlundt, 1947 in Obermoschel geboren und dort aufgewachsen. Studium der Germanistik, Geschichte, Theologie und Philosophie, Staatsexamen für das Lehramt an Realschulen. Nach der Promotion 1982 Aufstiegsprüfung für das Lehramt am Gymnasium, 1993 Wechsel als Dozent für Landes- und Heimatkunde an die pädagogische Hochschule – später Universität – Erfurt. 1998 Habilitation, ab 2004 außerplanmäßige Professur. Schlundt veröffentlichte zahlreiche Artikel zur Montan-, Regional-, Kirchen- und Sportgeschichte, ebenso zum Quecksilberbergbau. Verantwortlich für etliche Chroniken in der Region. Er lebt in Mainz.

Ihre News direkt zur Hand
Greifen Sie auf all unsere Artikel direkt über unsere neue App zu.
Via WhatsApp aktuell bleiben
x