Donnersbergkreis 46 000 Kilometer auf der Flucht

Wunderschöne Landschaften haben Lena Wendt und Ulrich Stirnat in Afrika durchquert, worüber sie in der Doku „Reiß aus“ berichten
Wunderschöne Landschaften haben Lena Wendt und Ulrich Stirnat in Afrika durchquert, worüber sie in der Doku »Reiß aus« berichten.

Er hatte Burnout, sie bekam die Krise: Die Norddeutschen Ulrich Stirnat und Lena Wendt, beide Jahrgang 1985, wollten sich ein halbes Jahr Auszeit nehmen und in einem Land Rover von Hamburg nach Südafrika fahren. Dort kamen sie nie an, stattdessen tourten sie zwei Jahre lang rund 46.000 Kilometer ausschließlich durch Westafrika. Von ihrer abenteuerlichen Reise berichtet das Paar in der Dokumentation „Reiß aus“, die am 23. Februar in der Filmwelt Grünstadt gezeigt wird. Die beiden Protagonisten stehen den Besuchern Rede und Antwort. Anja Benndorf wollte vorab schon mal einiges wissen.

Lena, Ulli, was fasziniert euch so an Afrika, dass ihr unbedingt dorthin wolltet? Lena:

Seit ich klein bin, zieht dieser Teil der Erde mich magisch an. Wir kommen alle aus Afrika. Wenn ich dort bin, fühle ich mich zu Hause. Ulli: Ich war gar nicht unbedingt heiß darauf, speziell nach Afrika zu fahren. Ich wollte einfach nur los, Abenteuer, Weltreise. Wie habt ihr euch auf die Reise vorbereitet? Ulli: Bevor wir los sind, hatte ich das Gefühl, mir alles bis ins Detail überlegen zu müssen. Ohne zu wissen, dass viele Vorbereitungen zu großen Erwartungen führen, die am Ende für mehr Stress als Entspannung sorgen können. Das ging ein halbes Jahr vor der Reise los. Mit Impfungen, nach einem Auto suchen und es ausbauen, sich über die Länder informieren… Habt ihr eure Jobs und die Wohnungen gekündigt? Wenn ja, war das ziemlich mutig… Lena: Wir waren gerade erst zusammengezogen, hatten viel Geld für Makler, Kaution und neue Möbel ausgegeben, als wir entschieden, dass wir abhauen. Und so haben wir uns einen Zwischenmieter gesucht. Ich war vorher als feste Freie beim NDR, und als ich gesagt habe, dass ich reisen gehen möchte, hat mein Chef den Vertrag gekündigt. Das war das Beste, was mir passieren konnte. Ulli: Die Geschichte meiner Kündigung ging Anfang 2014 los. Ich bin jeden Tag drei Stunden nach Lübeck gependelt, hatte kaum mehr Zeit für mich, funktionierte nur noch im Alltag. Dann bin ich zusammengebrochen, lag zwei Stunden auf dem Boden und habe geweint. Konnte mich nicht bewegen und bekam kaum Luft. Die Diagnose: mittelschwere Depression – Burnout. Ich habe eine Therapie angefangen und erkannt, dass sich in meinem Leben etwas ganz gehörig ändern muss. Ich kündigte den Job, eine sehr schwere Entscheidung, aber die richtige. Ihr wolltet nicht eher umkehren, bevor sich eure Einstellung zum Leben grundsätzlich geändert hat. Was war falsch an eurer Einstellung? Lena: Es war kein Platz mehr zum Leben, ich war produktiv und perfektionistisch und dabei habe ich kaum noch geatmet. Ulli: Ich hatte zu Beginn der Reise nicht gewusst, was falsch an meiner Einstellung war. Die Erkenntnis kam erst sehr viel später. Ihr kamt am Reiseziel nie an. Was war passiert? Lena: Eine ganze Menge. Wir sind überall so lange geblieben, wie wir uns danach gefühlt haben. In zwei Jahren haben wir 46.000 Kilometer zurückgelegt, mehr als einmal um die Welt, aber eben „nur“ in Westafrika. Der Weg wurde zum Ziel. Gab es Situationen, bei denen ihr an eure Grenzen gestoßen seid? Lena: Ulli hat seine Grenzen meist beim Reparieren des Autos zu spüren bekommen. Und ich darin, mich und Ulli auszuhalten. Sich auf engstem Raum permanent den Spiegel vorzuhalten, das hat uns sehr oft an unsere Grenzen gebracht. Ulli: Es waren zumeist persönliche Grenzen. Die Depression haben wir beide unterschätzt. Ihr wart in 14 Ländern: Wo hat es euch am besten gefallen, wo gar nicht? Lena: Jedes Land ist wunderschön! Das Tollste waren jedoch die Menschen. Ulli: Es gibt keinen Ort, den ich nicht wieder besuchen würde. Wie finanziert man so eine Tour, die dann auch noch viermal so lange dauert wie geplant? Lena: Wir hatten beide vorher ganz gute Jobs, und ich habe schon immer jeden Cent fürs Reisen gespart. Die Lebenshaltungskosten waren unfassbar gering. Das Teuerste waren Sprit, Visa und Ersatzteile fürs Auto. Ich glaube, ich habe zirka 8000 Euro ausgegeben pro Jahr. Wie habt ihr den Kulturschock bei der Rückkehr erlebt? Lena: Es hat lange gedauert, sich wieder zurecht zu finden. Ulli: Was mich sehr geschockt hat, war die Eile, der Stress, den ich hier sofort spüren konnte. Was wollt ihr mit dem Film erreichen? Lena: Wir wollen Westafrika etwas zurückgeben, danke sagen für all die Gastfreundschaft. Und die Distanz verringern, mehr Gefühl und Verständnis schaffen. Auch wollen wir Mut machen, den eigenen Status quo in Frage zu stellen. Ulli: Ich hatte vor der Reise sehr viele Vorurteile und Befürchtungen. Ängste gehen nicht weg, außer du läufst los und begegnest ihnen. Was kostet die Produktion so eines Films? Lena: Wir können den Film nur machen, weil alle unsere Freunde uns unterstützen. Ulli: Wir haben per Crowdfunding 18.000 Euro eingesammelt und uns seitdem mit Tauschen – wie auf der Reise – durch alle Herausforderungen manövriert. Habt ihr in eure Jobs zurückgefunden? Lena: Für mich gibt es keine Definition von „mein Job“ mehr. Ich mache alles, worauf ich Lust habe. Unterrichte Yoga, mache Ausstellungen, hab einen Imkerschein gemacht, ein Buch geschrieben, einen Film produziert, jetzt sind wir zu unserem eigenen Verleih mutiert ... Das Leben ist so bunt, warum sich für eine Farbe entscheiden? Ulli: Mein Traum ist es, in meinem Leben immer das tun zu können, was mir Spaß macht. Ich habe eine Ausbildung zum Hundetrainer absolviert, eine Surflehrer-Lizenz erworben. Ich mache mir überhaupt keine Sorgen und Gedanken darüber, was als nächstes mein Job sein wird. TERMIN Die Doku „Reiß aus“ wird gezeigt am Samstag, 23. Februar, 15.30 Uhr, in der Filmwelt Grünstadt. Die Protagonisten und Produzenten sind vor Ort. Tickets über www.filmwelt-gruenstadt.de

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