Bad Dürkheim Schindler: Schon gelassener geworden

„Hänn ehr se noch all?“ Norbert Schindlers häufig selbstzitierte Art, in internen Gremien und Gesprächsrunden Missbilligung auszudrücken, wird seinem politischen Slogan vollauf gerecht: pfälzisch, pragmatisch, profiliert. Wenn es speziell um die Praxistauglichkeit von Entscheidungen und seine Überzeugung dazu ging, nahm der sechsmal direkt gewählte Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Neustadt/Speyer in seinen 23 Jahren in Berlin hinter den Kulissen selbst vor der Kanzlerin selten ein Blatt vor den Mund. „Kritisch, aber loyal“ nennt der Bobenheimer selber sein Verhältnis zu Angela Merkel – und immerhin gab sie gegen ihre Natur vor zehn Jahren seinem Werben für einen Besuch auf dem Wurstmarkt nach – eine in mehrfacher Hinsicht einmalige Sache. Nein, der jetzt 68-Jährige war mit der Bundeskanzlerin und mehr noch mit der CDU-Bundesvorsitzenden nicht immer einer Meinung, unter anderem in der Flüchtlingspolitik. Die schnelle Entscheidung „aus Menschlichkeit am Budapester Bahnhof“ habe er mitgetragen, „aber danach hat sie aus Trotz die Grenzsicherung nicht ausreichend betrieben – das hat die Rechtsaußen beflügelt.“ Abgesehen davon sieht Schindler gerade auch aktuell keine geeignete Nachfolge für „die Merkel“. Mit seiner eigenen dagegen ist er auf allen Feldern voll zufrieden – angefangen bei Sohn Stephan im mehrgleisigen landwirtschaftlichen Familienbetrieb über Markus Wolf im CDU-Kreisvorsitz bis hin zu Johannes Steiniger, der ihn als Wahlkreisabgeordneter wie auch im Finanzausschuss des Bundestags beerbt hat. Denn obwohl Schindler von seiner Herkunft her mehr als Agrarpolitiker wahrgenommen wird, war er fast noch lieber und ähnlich kompetent Finanzexperte. Und sicherlich einer der am meisten unterschätzten Politiker aus der Pfalz, gemessen an seinem Einfluss. Man hat ihn eher mal belächelt, meist zu unrecht. Neulich hat es sein Konterfei sogar noch einmal in die satirische „Heute Show“ geschafft, als das ZDF seine zehn Jahre alte Schnapsidee vom Bundeswehreinsatz gegen Schwarzwild ausgrub. Und auch über seine konsequente Weigerung, sich Sozialen Medien und speziell der Internetplattform „abgeordneten-watch“ zu unterwerfen, hat man sich mehrfach öffentlich mokiert. „Das interessiert mich nicht. Da lasse ich mich gerne vorführen“, winkt er ab. Was nicht heißt, dass Norbert Schindler nicht bestens vernetzt ist, unter anderem mit den SPD-Kollegen Andrea Nahles, mit der er sich duzt, und Sigmar Gabriel. Beide haben seine hohe Wertschätzung – vielleicht weil sie mit ihrer zupackenden, bisweilen hemdsärmeligen, häufig unverblümten Art geistesverwandt mit ihm sind. Den Pfälzer politisch vorzuführen, hat in seinen Metiers jedenfalls kaum einer geschafft. Er selbst weiß, was er vorzuweisen hat. So sei er „ganz stolz“ auf die Einführung des Euro: „Da war ich ganz maßgeblich mit dabei.“ Ebenso setzt er den gestaffelten Einkommensteuertarif aus den 90ern und zuletzt die Erbschaftssteuerreform von 2014, zu der er vor dem Verfassungsgericht plädiert hat, mit auf seine Erfolgsliste. „Dagegen bedaure ich sehr, dass wir die internationalen Geldflüsse innerhalb Europas nicht stärker unter Kontrolle bekommen haben. Das hat mein Gerechtigkeitsempfinden immer belastet.“ In der Landwirtschaft, seinem eigentlichen Metier als langjähriger Vorsitzender der Bauern- und Winzerschaft Rheinland-Pfalz Süd, trieb ihn insbesondere die alltagstaugliche Umsetzung von Gesetzen und Maßnahmen um. Die Nähe zum Pfälzer Helmut Kohl war da hilfreich. „Die Saisonarbeitsregelung für Wein- und Gemüseanbau wurde samstagmorgens von Kohl, Blüm und Schindler im Bundeskanzleramt in Bonn beschlossen.“ Und wie sehen Plus und Minus der persönlichen Bilanz vor Ort im Wahlkreis aus? Positiv nennt der Bobenheimer die Fortführung der B271 als neue Weinstraße („trotz des Egoismus in manchen Dörfern“) sowie die gelungene Konversion der Militäreinrichtungen von Bundeswehr und Franzosen in Speyer und Neustadt. Auch die Oberfinanzdirektion in Neustadt als eine von fünfen bundesweit „wäre ohne mein Zutun“ – und dank des guten Kontakts zum damaligen Finanzminister Theo Waigel – „nicht mehr da.“ Dass dagegen die Strukturentwicklung in Neustadt vom Bahnhof ins Tal, für die er 26 Millionen Euro bei CSU-Bundesbauminister Peter Ramsauer lockergemacht hatte, nicht zum Erfolg geführt habe, weil sie „von prominenten Bürgern verhindert“ worden sei, „betrachte ich als große Niederlage. Das tut mir bis heute weh.“ Aber: „Mer muss losse kenne ...“ In dem knappen halben Jahr seit seiner letzten Bundestagssitzung im September hat sich Norbert Schindler mit dem neuen Privat- und Pensionärsleben arrangiert. Gerade ist er von zwölf Tagen auf den Seychellen heimgekehrt, dem ersten der Urlaube, die er künftig mit seiner Frau Sigrid regelmäßig vorhat. Ihr sei er sehr dankbar, dass sie ebenso wie Sohn und Schwiegertochter all seine Abwesenheit hilfreich mitgetragen habe. Die drei Enkelinnen zwischen sieben und neun Jahren schauen regelmäßig vorbei, und seine Modelleisenbahn laufe hervorragend. „Ich lasse mir keine frühen Termine mehr festlegen, weil ich es genieße, erst ab halb neun oder neun zu frühstücken“ und dabei die RHEINPFALZ und die „Welt“ zu lesen. Kommunalpolitisch aktiv bleiben – auch in dritter Reihe – will Schindler im Dürkheimer Kreistag. Doch, er sei schon gelassener geworden, behauptet er. Über Brandthemen der Tagespolitik rege er sich nicht mehr auf, und bei „Quasselrunden im Fernsehen zappe ich weiter.“ Dennoch blieb seine Meinung gefragt. Schon während der Jamaika-Sondierung erreichten ihn ständig fachspezifische Nachfragen speziell zu Energie und Landwirtschaft, sogar aus der Landes-FDP. Im Dezember war er als wiedergewählter Präsident der Landwirtschaftskammer zweimal in Berlin, im Januar viermal, fast jede Woche habe er Kontakt mit dem Europaparlament für sein letztes großes Anliegen, den Bio-Mix für schadstoffärmere Treibstoffe zu forcieren. Klar, dass der Interessensvertreter von Bauern und Winzern mit der Personalie Julia Klöckner als Landwirtschaftsministerin „hochzufrieden“ ist. Die seit Jahren eng vertraute Parteifreundin habe sich in den letzten drei Wochen viermal bei ihm gemeldet, sagt Schindler. Dafür setzt er sich dann auch mit Whatsapp auseinander ...

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