Grünstadt Pfarrer Norbert Schlag über zwei Begegnungen und ein offenes Fenster
Vor einigen Wochen. An einem Sonntag. Ich komme aus dem Gottesdienst nach Hause und vor meiner Wohnung steigt ein Ehepaar aus dem Auto. „Sie gehen bestimmt auch zum Gottesdienst“, fragt mich die Frau. „Nein, ich komme gerade aus einem Gottesdienst!“ ist meine Antwort. „Ich gehe zur Stadtmission“, erklärt sie mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht. „Und ich war im katholischen Gottesdienst“, erkläre ich. Wir wünschten uns einen schönen Sonntag und jeder ging seinen Weg.
Einige Tage später saß ich in der Fußgängerzone und genoss ein Glas Riesling (als Pensionär hat man Zeit dafür). Da spricht mich jemand an: „Guten Morgen, wie geht es Ihnen?“ Ich blicke hoch und erkenne den Mann, dem ich schon an verschiedenen Stellen in Grünstadt begegnet bin. Er gehört zu den Zeugen Jehovas und schon oft haben wir uns über „Gott und die Welt“ unterhalten. Zwei Begegnungen mit Menschen, die an Gott glauben. Und obwohl unser Glaube verschieden ist und wir in verschiedenen Häusern beten, war so etwas Himmlisches in diesen von Respekt und Wertschätzung erlebten Begegnungen.
Das lässt mich an meine Fahrt nach Indien denken. Ich lag im Gästezimmer eines Klosters in Südindien und hatte das Fenster geöffnet. Morgens erklang als erstes die Stimme des Muezzin, der die muslimischen Schwestern und Brüder zum Gebet rief. Dann hörte ich die hell und fein klingenden Glöckchen aus dem Nahen hinduistischen Tempel und zum Schluss die Kirchenglocken des Klosters. Und alles kam durch das eine Fenster. So muss es sein, denke ich. Trotz aller Berichte über religiöse Fanatiker und Extremisten, es gibt auch die andere, bessere Welt, in der wir uns begegnen können. Und ich kann nur jedem von uns solche Begegnungen wünschen, die helfen, daran zu glauben, dass Gott auch heute gut in unsere Welt und unser Leben hineinwirkt.
Norbert Schlag ist Pfarrer i.R. in Grünstadt