Bad Dürkheim Mit Frei-SMS in den Bundestag
Berlin war „Schnee von morgen“ als Frank Lüdecke vergangenen Freitag mit seinem gleichnamigen Programm in Wachenheim gastierte. Denn bevor er tags darauf im Theater der renommierten Wühlmäuse in der Hauptstadt auftrat, begeisterte der Berliner Kabarettist das Publikum in Wachenheims ausverkaufter Lutherischer Kirche.
Mit Lüdecke ist es dem Kulturverein nach Christian Ehring und Christoph Sieber erneut gelungen, einen Kabarettisten der ersten Garde an die Weinstraße zu bringen. Politischen Kabarettisten bietet die Gegenwart ein wahres Füllhorn an Themen an. Und Frank Lüdecke, Autor, Schauspieler, Kabarettist und, ja, Gitarrist, bedient sich reichlich daraus. Korruption und Filz sind solche Themen, die er mit feinem Wortwitz und pointierten Beobachtungen bearbeitet. Dass Franz Beckenbauer für sein ehrenamtliches Engagement als Organisationschef für die Fußball-WM 2006 nun doch 5,5 Millionen Euro erhalten hat, bringt Lüdecke zur Einschätzung, „dass zu solchen Bedingungen doch wohl viel mehr Menschen bereit wären, ein Ehrenamt auszuüben“. Er erinnert daran, dass Politikverdrossenheit kein neues Phänomen ist. „Schon bei der letzten Wahl haben über 70 Prozent der Wahlberechtigten Merkel nicht gewählt“, erinnert er. Viele hätten aus Verzweiflung auch Vodafone in den Bundestag gewählt, da sie sich sagten: „Lieber 50 Frei-SMS als gar keine Rente.“ Lobbyismus macht er als einen Grund für die Verdrossenheit aus. Politik sei ja inzwischen die Ausbildung, um später in der Wirtschaft Fuß zu fassen. Wie etwa der ehemalige Verkehrsminister Wissmann, der als Cheflobbyist der Automobilindustrie, flankiert von Spenden an die CDU, die Kanzlerin dazu bewegte, die strengen EU-Pläne zur Verbrauchsbegrenzung von Autos zu verhindern. Schließlich gehe es um die Artenvielfalt der deutschen Autos. „Soll denn der BMW X6, der erste Panzer mit Straßenzulassung, aussterben?“, fragt Lüdecke. Auch der aktuelle Verkehrsminister sorgt für Heiterkeit. Lautes Gejohle in Wachenheim, als Lüdecke Horst Seehofers Drohung wiederholt, Alexander Dobrindt aus dem Kabinett abzuziehen. „Berlin ohne Dobrindt? Das wäre ja wie Leipzig ohne die Semper Oper.“ Lüdecke setzt die Summen für die Bankenrettungen ins Verhältnis zu denen, die für die Integration von Flüchtlingen aufgebracht werden. „Nicht die Flüchtlinge belasten unsere Sozialsysteme, so richtig teuer wird es erst, wenn Manager, die in Cambridge Wirtschaft studiert haben, unsere Sozialsysteme zu unterwandern beginnen.“ Die digitale Revolution ist Lüdeckes zweites großes Thema. Wie verändert sie die Gesellschaft? Er bekennt, noch Zeitung zu lesen, also „veraltete Teile des Internets, für die Bäume gefällt werden“, wie seine Tochter sagt. Die Schwarmintelligenz, die bei „Wer wird Millionär“ Zürich mit 62 Prozent zur Schweizer Hauptstadt macht, zweifelt er ebenso an, wie den Wert, in Internetforen alles kommentieren zu können. „Das ist wie früher der Stammtisch. Bloß saßen am Stammtisch nur drei Deppen, die ziemlich schnell voll waren. Und die Kneipe machte um 23 Uhr zu.“ Passionierten Scrabble-Spielern sei noch das Wort „Flachbildschirmrückseitenberatung“ ans Herz gelegt. Damit beschreibt Lüdecke das Phänomen, dass Menschen fortgeschrittenen Alters zum Beispiel Reisen nicht übers Internet buchen möchten, stattdessen ins Reisebüro gehen, wo dann Berater die Reisen für sie übers Internet buchen. Lüdeckes beachtliche Fähigkeiten auf der Gitarre treten bei seinen musikalischen Zwischenspielen hinter den pointierten Texten in den Hintergrund Beachtung. Nicht so bei seiner dritten und letzten Zugabe. Nach einer instrumentalen Fingerstyle-Nummer aus eigener Feder entlässt der Hauptstadtsatiriker das enthusiastische Publikum mit einem Augenzwinkern ins pulsierende Wachenheimer Nachtleben. |awg