Bad Dürkheim In den Vorzimmern der Macht
Lobbyisten, das ist das erste, was man bei Bernhard Wellers Historienkomödie „Von einem, der auszog ...“ lernt, gab es schon im Mittelalter. Da nannte man sie Gesandte, doch die Strategie, durch möglichst dauerhafte Präsenz in den Vorzimmern der Macht quasi einen Ermattungssieg beim politischen Entscheidungsträger zu erzielen, war bereits da. Allerdings wurde auch schon damals der große Aufwand nicht immer von Erfolg gekrönt.
Wellers Stück, das den nicht eben eingängigen, aber dafür selbsterklärenden Untertitel „Die Reise des Speyerer Domvikars Bernhard Russ 1482 an den Kaiserhof in Wien“ trägt, war am Sonntag im Hambacher Schloss zu sehen – ein Heimspiel für den Hambacher, der mit seinem Freund und Kollegen Götz Valter und dem gemeinsamen Projekt „Spitz und Stumpf“ zwar inzwischen in Speyer beheimatet ist, aber nach wie vor Neustadt als zweites Standbein sieht. Kein Wunder also, dass die erste Aufführung seiner extra für die Aktion „Die Pfalz liest für den Dom“ geschriebenen Komödie nach der Speyerer Premiere im Februar nun auf Neustadter Gemarkung stattfand. Und kein Wunder auch, dass die Hütte dabei richtig voll war. Das kann angesichts der Thematik allerdings schon ein wenig überraschen. Denn Wellers auf authentischen Quellen fußendes Stück führt in eine Epoche und eine politische Konstellation, die selbst bei Geschichtskundigen nicht eben „angesagt“ ist. Man schreibt das Jahr 1482. Im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation herrscht seit über 40 Jahren der Habsburger Friedrich III., der schon den Zeitgenossen nicht eben als Muster besonderer Dynamik galt. Das 19. Jahrhundert prägte dann den unschönen Begriff der „Reichserzschlafmütze“. Ausgerechnet bei diesem Herrscher nun soll der Speyerer Domvikar Bernhard Russ im Auftrag seines Bischofs gut Wetter machen, denn man liegt wegen Rechts- und Steuerfragen über Kreuz, und dem Kirchenfürsten droht ein Prozess wegen Ungehorsams. Mehrere Gesandte sind vor Russ schon an der Aufgabe gescheitert, denn der Kaiser ist ein Meister des Aussitzens, weiß andererseits aber genau, was er will. Genau das, die von Friedrich begehrten Speyerer „Stuhlbrüderpfründen“, gehören für Russ aber gar nicht zur Verhandlungsmasse. So setzt – das ist Wellers Grundidee – ein gegenseitiger Zermürbungswettbewerb zwischen Kaiser und Gesandtem ein, aus dem sich für die beiden „Spitz und Stumpf“-Darsteller, die dabei ständig zwischen acht verschiedenen Rollen hin- und herhüpfen, jede Menge Funken schlagen lassen. Russ, von Weller als pflichtschuldiger, aber auch arg übereifriger Beamter angelegt, verfolgt dabei die Strategie, sich „einem Wurme gleich“ mit seinem Anliegen im Kopf des Kaisers einzunisten, doch der Habsburger – von Götz Valter wunderbar mit bräsigem Wiener Schmäh gegeben –, lässt den zunehmend als lästig empfundenen Pfälzer gar nicht erst wirklich an sich heran. Desillusioniert versackt der so hoffnungsvoll Gestartete deshalb nach Monaten des Wartens beim Wein in den Wiener Heurigen-Wirtschaften – bis ausgerechnet sein bauernschlauer Begleiter Wendel die Lösung präsentiert. Man lernt dabei: Es kommt eben immer darauf an, mit den richtigen Leuten zu trinken. Valter und Weller erweisen sich in diesem Stück darstellerisch als unglaublich wandlungsfähig. Eine neue Kopfbedeckung, ein Umhang oder ein Schal – und schon sind sie von einer Rolle in die andere geschlüpft, was der Handlung große Dynamik verleiht. Dazu tragen auch die ständigen Wechsel zwischen Hochdeutsch, Pfälzisch und gekonnt vorgetragenem Wienerisch bei. Im Temperament sind Valter und Weller dabei gar nicht so weit weg von ihren Paraderollen Eugen Stumpf und Friedel Spitz. Weller weiß zwar auch als einheimischer Saufpartner im Heurigen-Lokal zu überzeugen, besticht aber in erster Linie als gewissenhafter Domvikar. Valter gibt neben dem wunderbar phlegmatischen Kaiser vor allem die genussfreudigen Volkstypen Pfälzer wie Wiener Provenienz und darf als weinseliger Wendel zudem auch noch sein „Kurpfälzer Weltmodell“ vortragen, so dass wir nun endlich auch wissen, wie Nikolaus Kopernikus auf die komische Idee mit der Sonne und den Planeten kam. Dass bei dem Stück vielleicht nicht jede Pointe zündet und manches doch ein bisschen straffer gefasst hätte werden können, kann angesichts der spröden, rechtshistorischen Thematik im Grunde nicht überraschen. Trotzdem bleibt das Verdienst, eine fast vergessene Episode der Pfälzer Geschichte witzig auf die Bühne und damit ins Bewusstsein unserer Zeit gehoben zu haben. Für die passende Musik sorgten der Neustadter Chor „Perpetuum Cantabile“, der unter anderem den Kanon „Innsbruck, ich muss dich lassen“ beisteuerte, und der Gitarrist und Musikproduzent Carsten Egger mit seiner „Dritter Mann“-Variation zur Untermalung der Heurigen-Szenen. Info Das Stück wird in unserer Region nach derzeitigem Stand als nächstes am 29. April im Alten Kaufhaus in Landau, am 30. April im „Capitol“ in Limburgerhof und am 1. Mai in der Festhalle Emichsburg in Bockenheim aufgeführt. Karten und weitere Infos unter www.spitzundstumpf.de.