Bad Dürkheim Herxheim am Berg: Diskussion über Hitlerglocke geht weiter

95160283__1_.jpg

Auch nach der Entscheidung des Gemeinderats, die umstrittene „Hitler-Glocke“ im Turm der Herxheimer Jakobskirche hängenzulassen, geht die Debatte um den richtigen Umgang mit ihr weiter. Die Podiumsdiskussion vor 60 Besuchern, darunter rund 75 Prozent Herxheimer Bürger, im Dorfgemeinschaftshaus am Donnerstagabend hat gezeigt, dass es die einzig richtige „Lösung“ gar nicht geben kann. Überspitzt formuliert, traf an diesem Abend der eher außen geführte akademische Diskurs einerseits auf die emotionale Verbundenheit eines Dorfes mit dem Objekt andererseits.

Zur Versachlichung der Debatte beizutragen, das war das erklärte Ziel von Moderator Klaus Koch, der sich als Redakteur des Evangelischen Pressedienstes und des Kirchenbotens vorstellte. Mit ihm am Tisch saßen Christoph Picker, als Theologe und Direktor der Evangelischen Akademie, der Autor, Lyriker und Journalist Michael Bauer aus Herxheim (Südpfalz), und Ortsbürgermeister Georg Welker (parteilos).

Ausführlich diskutiert 

Einen Anspruch auf Vollständigkeit, kann dieser Artikel nicht erheben, dazu war die Diskussion zu facettenreich und ausführlich. Es kann an dieser Stelle nur um die wesentlichen Aussagen gehen, die zunächst darin bestanden, dass Georg Welker sich wiederholt dafür aussprach, die Glocke wieder zu läuten. „Zur Provokation vor Ort“, sagte er, sich mit dem Thema Holocaust auseinanderzusetzen. Die heutige Schülergeneration lerne die Geschichte des Nationalsozialismus auf diese Weise im eigenen Ort kennen und nicht durch Besuche beim Holocaust-Mahnmal in Berlin, wo das eher beiläufig geschehe. Michael Bauer vertrat eine ganz andere Ansicht: „Ich bin heilfroh, dass die Glocke nicht läutet“, sagte er auch mit Blick auf das anstehende Oster- und Pessach-Fest. „Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass jemand die Glocke heute hören kann, ohne an Adolf Hitler zu denken.“ Widerspruch kam dazu von einem Zuhörer aus dem Publikum, der sich erinnerte, dass das Läuten der Glocke für ihn in seiner Kindheit einfach ein Signal gewesen sei, eine Zeitangabe quasi, vom Feld auf den heimischen Hof zurückzukehren. „Für die Herxheimer klingt da nicht Adolf Hitler“, stellte auch Christoph Picker fest. Die Glocke sei außerhalb von Herxheim inzwischen aber symbolisch aufgeladen. Der Direktor der Evangelischen Akademie unternahm in längeren Redebeiträgen tatsächlich den Versuch, einer Versachlichung und erörterte die Frage: „Was steht eigentlich auf der Glocke und welche Wirkung hat das heute?“ Da stehe ein Aufruf, dass Herxheimer alles fürs Vaterland tun sollten. Im Namen Adolf Hitlers bedeute das, „ihr sollt Menschen ausgrenzen, ihr sollt Eltern und Nachbarn bespitzeln und im Extremfall sogar morden“. Als Theologe ist Picker der Ansicht, dass die Glocke nicht für den liturgischen Gebrauch geeignet ist. „Alles fürs Vaterland – das ist Gotteslästerung“, sagte er. Die Glocke solle nicht mehr läuten. Auch durch das Fehlen einer Glocke im Gesamtgeläut, quasi einem Missklang, könne man zum Nachdenken provozieren, Die Frage sei, ob die Herxheimer das aushalten könnten, sagte Picker, sinngemäß. Letztlich sei es aber die Entscheidung der Kirchengemeinde und des Presbyteriums, die Glocke zu läuten oder nicht.

"Dorn" im Kirchturm

Weniger eindeutig waren die Einschätzungen zum weiteren Umgang mit der Glocke, sollte sich herausstellen, dass der Kirchturm ausschließlich der Kirche gehört. Bisher regelt ein Vertrag aus dem Jahr 1983, dass sich politische und kirchliche Gemeinde jeweils hälftig um diese Belange kümmern. Es war zuvorderst Michael Bauer, der sich dafür aussprach, die Glocke in einer Art Kunstwerk zu inszenieren, das deutlich sichtbar positioniert ist. Sie in ein Museum zu bringen, diesen Weg unterstützt keiner der Diskutanten. Bauer empfindet die Glocke als „Dorn“ im Kirchturm. Dieser Dorn müsse herausgezogen und „uminszeniert“ werden. Man solle nicht darüber hinwegsehen können. Das sei aber der Fall, wenn sie verschlossen im Kirchturm hinge. Der Herxheimer Erik Giersberg schlug später vor, den Klöppel aus der Glocke herauszunehmen und vor der Kirche auszustellen. Auch Picker sprach sich dafür aus, die Glocke in Herxheim zu lassen.

Als „rechtes Dorf“ diffamiert

Kritisch hinterfragt wurde beim Streit um die Glocke auch die Rolle der Medien, insbesondere der Kontraste-Sendung der ARD. Das Thema sei „aufgebauscht“ worden, empfanden einige. Einige fühlen sich diffamiert als „rechtes Dorf“, obwohl Ungstein und Kallstadt auch nicht anders seien. Welker sagte sogar, – und er meinte wohl die RHEINPFALZ - dass durch das Glockenthema von viel wesentlicheren Dingen abgelenkt werden soll. Zum Beispiel von der B271. Dass die Landeskirche bisher einen adäquaten Umgang mit dem Thema gefunden hat, stellte Picker zumindest in Frage. Bisher beharrte die Landeskirche auf der Position: „Wir geben Euch Geld, hängt die Glocke ab.“ Aber warum kam die Glockendiskussion jetzt auf und nicht schon 2005, als das Thema schon mal kurz präsent war in Herxheim? Eine weitere Frage, mit der sich Christoph Picker beschäftigt hat. Seine Erklärung: Die Zeitzeugengeneration sterbe gerade aus, das sei eine Situation, in der in der Öffentlichkeit die Frage entstehe, ob nun ein Schlussstrich unter die deutsche NS-Vergangenheit gezogen werden soll. „Das fände ich ganz falsch“, sagte Picker als Historiker. In seinem Fazit appellierte Moderator Koch an die Zuhörer, sich auch einmal zu überlegen, ob in der Argumentation des jeweils anderen nicht vielleicht auch etwas Nachvollziehbares sein könne.

Ihre News direkt zur Hand
Greifen Sie auf all unsere Artikel direkt über unsere neue App zu.
Via WhatsApp aktuell bleiben
x