Bad Dürkheim Frauenpower an den Saiten

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Frauenpower ist beim diesjährigen Gitarrenfestival in Weisenheim am Berg angesagt. „Als ich das Programm gesehen habe, dachte ich, das ist ein Hammer“, sagte Martin Müller, der künstlerische Festivalleiter, als er Anika Hutschreuther am Samstagabend ankündigte. Am Abend zuvor spielte Nora Buchmann in der ehemaligen Synagoge.

Nora Buschmann legte den Schwerpunkt auf zeitgenössische lateinamerikanische Werke, Anika Hutschreuther hatte den Fokus auf barocke Musik gerichtet. In diesem Jahr besetzte Müller das Festival mit Musikerinnen. Solche „Frauenprogramme“ stellt er in unregelmäßigen Abständen vor und achtet dabei darauf, Musikerinnen mit unterschiedlichen Stilen und Interessen zu präsentieren. Nora Buschmann eröffnete ihr Programm mit der Fantasie d-Moll von David Kellner, einem Lautenisten des Barock. Gleich fiel ihr klarer Ton auf. Von da entführte sie die Zuhörer nach Brasilien, wo Heitor Villa-Lobos Anfang des 20. Jahrhunderts als Komponist wirkte. Typisch für ihn ist die Verbindung von europäischer Klassik und brasilianischer Folklore. Die besondere Stimmung eines Choro, ursprünglich ein brasilianisches Gesangsstück, stellte die Gitarristin gefühlvoll vor. Auch das folgende Stück des Komponisten, eigentlich eine Etüde, bekam unter ihren Händen viel Ausdruck. Bemerkenswert ist die oben liegende Tremolostimme, im Bass liegt ein rhythmischer Pedalton, dazwischen bewegen sich Oktaven. Nora Buschmann stellte hier sehr souverän den musikalischen Gehalt heraus und ließ die Zuhörer die technischen Ansprüche vergessen. Die aus Berlin stammende Gitarristin konzertiert regelmäßig in Argentinien und hat dort Freundschaften geschlossen. Komponisten haben ihr Stücke gewidmet, von denen sie einige in Weisenheim vorstellte. Die Werke verbinden lateinamerikanische Rhythmen, farbige Harmonien und moderne Spielweisen, die ebenso anspruchsvoll wie unterhaltsam sind. Das kam beim Publikum bestens an. Ganz andere Klänge und Stimmungen brachte Buschmann mit Koyunbaba, einem Werk des in Berlin lebenden Komponisten Carlo Domeniconi. Der Titel bezeichnet einen mystischen Schafhirten im Südwesten der heutigen Türkei. Das Stück ist sehr atmosphärisch. Manche Abschnitte erinnern mit vielen Schleifern und Verzierungen an die Saz, die türkische Laute. Anika Hutschreuther stellte einen romantischen Komponisten aus Spanien und zweieinhalb barocke Komponisten vor. Wir zählen Silvius Leopold Weiss und die Ouvertüre, die auch Hutschreuthers Konzert eröffnete, als halb-barock. Denn tatsächlich schrieb das Stück Manuel Maria Ponce, ein mexikanischer Komponist des 20. Jahrhunderts im Stil des barocken Lautenisten. Aber Harmonie und Kontrapunkt klingen authentisch barock und die Gitarristin stellte die Stimmführung auch sehr schön dar. Dann kamen die Stücke, die Müller als „Hammer“ bezeichnete: Bachs Präludium, Fuge und Allegro (BWV 998) wird oft als Suite für Laute gehandelt, die Forscher sind sich aber noch nicht einig. Die ungewöhnliche Satzfolge und die Struktur deuten auf einen Bach, der in Experimentierlaune war. Die Gitarristin arbeitete beim Präludium mit ausdrucksvoller Tempogestaltung. Die Fuge hat eigentlich ein eher kleines Thema, das aber mit Raffinesse mehrstimmig verarbeitet wird – was Hutschreuther auch sehr gut darstellte, denn die Einsätze der Stimmen waren deutlich. War die Polyphonie der Fuge schon beeindruckend, setzte das virtuose Allegro zum Schluss noch einen drauf: Die Zuhörer waren zu Recht begeistert. Nach Werken von Domenico Scarlatti und, im Kontrast zur barocken Musik, von Enrique Granados kam der schwerste „Hammer“ zum Schluss: Die Chaconne aus Bachs Partita Nr. 2 (BWV 1004). Eigentlich ist das Werk für Solovioline geschrieben. Yehudi Menuhin hat es als „die großartigste Struktur, die je für Solo-Violine geschrieben wurde“ bezeichnet. Eine Viertelstunde lang entwickelt Bach eine Musik, die einerseits unglaublich komplex ist, aber zugleich emotionale Tiefe hat. Das brachte Hutschreuther ganz exzellent zum Ausdruck. Sie zog die Zuhörer in einen geradezu hypnotischen Bann. Bach soll das Stück in tiefer Trauer über seine plötzlich verstorbene erste Frau geschrieben haben. In Hutschreuthers Interpretation war eine Fülle von Emotionen zu hören. Die kontinuierlich steigende Intensität und Dichte der Musik machte sie erlebbar. Wenn nach einem hoffnungsvolleren Dur-Teil die Musik mit absteigender Chromatik in Trauer zurückfällt, geht das den Zuhörern unter die Haut. Der Gitarrenklang und die Ausdruckskraft der Musikerin waren tief beeindruckend. Anika Hutschreuther studierte Gitarre in Stuttgart, Kassel und Hamburg, wo sie 2010 ihr Konzertexamen mit Auszeichnung ablegte. Mit einem Stück, das einer ihrer Lehrer, Michael Tröster, geschrieben hat, fing sie das von der Chaconne erschütterte Publikum wieder ein: Sein Prelude Nr. 1 verarbeitet das Maria-Thema aus der West Side Story, den berühmten Tritonus, auf unterhaltsame und pfiffige Art. Und auch hier glänzte die Gitarristin.

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