Bad Dürkheim Die vielen Facetten des Jazz

Gewohnt rockig: das Tingvall Trio.
Gewohnt rockig: das Tingvall Trio.

Zwei Abende mit großer Musik bot das Festival „Palatia-Jazz“ an diesem Wochenende auf der Limburg. Drei Klaviertrios und ein großartiges amerikanisches Quartett boten dem Publikum bei trefflichem und regenfreiem Wetter bestens Genuss in der gutbesuchten Klosterruine.

Dass die Limburg die schönste und beliebteste Spielstätte dieses Festivals ist, darüber sind sich das Publikum und auch die gastierenden Musiker einig. Den Anfang am Freitagabend übernahm das Florian Favre Trio. Der junge westschweizer Pianist überraschte mit einer ganz erfrischenden Musik, welche neue Nuancen und eigene Sichtweisen des Klaviertrio-Jazz erkundete. Über dissonanzengeschärften kreisenden Harmonien ließ der Pianist seine Melodien tanzen. Kluge Kompositionen waren dies, mit subtilen Spannungen erfüllt. Federleicht dahinfliegende Läufe ließ der Pianist tanzen, über flottem Groove, den Manu Hagmann (Kontrabass) und Paul Ammerer (drums) drunterlegten. Zum dritten Mal gastierte das Tingvall Trio bei Palatia Jazz, und es wird von Jahr zu Jahr besser und berühmter. Schöne Melodien und rockige Rhythmen vereint die in Hamburg residierende Formation, die ihr jüngstes Album „Cirklar“ präsentierte. Hymnisch-ohrwurmhafte Klavier-Melodien wurden von einem rockig treibenden Schlagzeug in Fahrt gebracht. Und Bandchef Martin Tingvall ließ seine gesanglichen Klaviermelodien gleichfalls nur zu gerne rockig werden. Dabei bevorzugt er einen kraftvoll vitalen, oft repetitiven Stil. Mit kräftigem Anschlag gab er seinen träumerischen Melodien energiereiche Substanz. Klangsatte Ereignisse von orchestraler Kraft entwickelten die drei Musiker. Skandinavische Folkloremotive greift der schwedische Pianist gerne auf in seinen Kompositionen, intensiviert deren ruhige Harmonik zu rasender Virtuosität und schillernden Arabesken. Überhaupt hat der Pianist großen Gefallen am Ornamentalen: Furios treibende Läufe und Repetitionen ließ der Pianist aus den Tasten tremolieren, um dann mit wohlig aufrauschenden Harmonien eine ruhig schwebende Poesie zu entwerfen. Große Gesanglichkeit ließ Omar Rodriguez Calvo aus seinen Kontrabasslinien sonor ausschwingen mit wunderschön vibrierenden Tönen. Warme Klänge, gezupft oder mit dem Bogen gestrichen, und dabei setzte er expressive Kontrapunkte zu den Klaviermelodien. Große Gefühle tönten in diesem Triospiel, entstanden große Klanggemälde wie in dem elegischen „Zwischen den Wolken“. Starke Fahrt gewann das Triospiel nicht zuletzt durch die vital pulsierenden Rhythmen des Drummers Jürgen Spiegel und solche Lebhaftigkeit intensivierte das Trio immer mal gerne zu ekstatischen Verdichtungen. Ein drittes Klaviertrio eröffnete den Samstagabend: das Omer Klein Trio. Eine wunderbar verschmolzene Trio-Einheit war dabei zu erleben mit dem Bassisten Haggai Cohen Milo und Drummer Amir Bresler. Fein aufeinander reagierend, die fröhlichen Melodien wunderbar tanzen lassend. Offene, nicht alltägliche Harmonien waren dies. Pianistisch ist Omer Klein mit allen Wassern gewaschen. Lebensfroh tanzende Melodien und Rhythmen gab er Fahrt, entlockte daneben dem Flügel Melodien mit großer Seele und Expression. Eine wunderbar entspannte Musik war zu hören, das Publikum genoss es, mit einem Weinglas in der Hand, auf den Stühlen oder auch auf dem Boden sitzend. Eine perkussive Einlage des Trios nutzten die Hörer nur zu gerne, um selber rhythmisch mitzuklatschen. Sehr anspruchsvoll wurde es nach der Pause, als das Ambrose Akinmusire Quartet das Podium betrat. Der afroamerikanische Trompeter ist ein Shooting-Star der Jazzszene. Von Steve Coleman und Wayne Shorter wurde er gefördert, mit Vijay Iyer und Jason Moran spielte er, und in diesem Umfeld ist auch seine eigene Musik zu verorten. Akinmusire gehört zu den jungen intellektuellen Jazzern, die avancierte Wege aufsuchen. Die Hardbop-Tradition überformt und übermalt er mit neuen, ungewöhnlichen Ideen. Weite Intervallsprünge und unwegsam-aparte Harmonien bestimmen sein Spiel. Gleichzeitig sind diese schwer greifbaren Melodien von unbändiger Ausdruckskraft durchdrungen. Unablässig färbt, formt und feilt er an den Tönen, mit Lippenspannung, leisem Einpressen und Growling. Oder er nutzt das Mikrofon als Dämpfer. In Verbindung mit den ungewöhnlichen Melodien ergibt dies eine surreale Qualität von magischer Kraft. Seine Virtuosität, die hochtourig stürzenden Katarakte, impulsreich stürmenden und wirbelnden Phrasen sind nie Selbstzweck, sondern starke Ausdrucksbekundung. Eine eigene Kunst macht Akinmusire aus den Tonrepetitionen oder aus einer Art Tonleiterübungen, die er expressiv und sehr modern weitet. Exzellente Musiker hat der Trompeter an seiner Seite. Etwa den Pianisten Sam Harris, der romantische Akkordverbindungen zerstäubt oder polytonal ausweitet, in rhythmisch komplexe Verdichtungen führt. Wie Wasserfälle lässt er seine Töne herabstürzen. Marcus Gilmore ist der Enkel von Drummer-Legende Roy Haynes: große Kunst, wie er das Spiel fein auffächert. Zwischen ruhiger Abgeklärtheit und lustvollen Stürmen, großer Hymnik, Eleganz und abstrakten Klangmodellen pendelt das Spiel des Quartetts immer wieder stark aus – eine ganz eigene, eigenwillige Bereicherung der aktuellen Jazzszene.

Gefragter Musiker: Ambrose Akinmusire.
Gefragter Musiker: Ambrose Akinmusire.
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