Bad Dürkheim Der Herr des Turms

Es ist nicht verwunderlich, dass Bücherregale als erstes die Besucher begrüßen. Gleich im Eingangsbereich seines Turms in der südlichen Ringstraße hat Özdemir nicht nur eine kleine Garderobe eingerichtet, sondern demonstriert auch eindrucksvoll, was in seinem Leben wichtig ist: Literatur. Hinter den Glasscheiben der drei Bücherschränke sind Werke von Thomas Mann, Johann Wolfgang von Goethe, Martin Walser, Wilhelm Busch und weitere namhafte Kollegen fein säuberlich aufgereiht. Özdemirs Liebe zu literarischen Werken zieht sich durch alle Wohnebenen. Damit macht er deutlich, welche Aufgabe er sich für sein Zuhause überlegt hat, denn Özdemir schwebt vor, einen „Literaturm“ zu etablieren. Das war jedenfalls sein Konzept, mit dem er sich vor drei Jahren bei der Stadt als Mieter beworben hat. „Als ich erfahren habe, dass der Turm vermietet wird, habe ich diese Idee eingereicht, denn man sollte ein Konzept haben, was man mit dem Turm gerne machen möchte“, berichtet Özdemir, der nach der Trennung von seiner Frau auch räumlichen Abstand gesucht hat. So hat es ihn vor fünf Jahren von der Großstadt Ludwigshafen ins beschauliche Freinsheim verschlagen. Damals wohnte er etwa 50 Meter von seinem jetzigen Zuhause entfernt. „Ich mag historische Orte mit Vergangenheit“, erzählt der 50-Jährige bei einer Tasse Kaffee, die er bei schönem Wetter gerne im Freien vor seinem Domizil genießt. Dabei kommt er auch oft mit vorbeilaufenden Passanten ins Gespräch, die „neugierig und interessiert“ sind. „Es kommt ja nicht oft vor, dass jemand in einem Turm wohnt“, sagt der Vater zweier Söhne lachend. Auch die Plakate, die an der Tür hängen und auf die Veranstaltungen der „Literarischen Lese“ hinweisen, ziehen die Blicke aller auf sich, die am Turm vorbeimarschieren. Vor fünf Jahren hat Özdemir das Literaturfest in Freinsheim als Initiator ins Leben gerufen. Sein Hahnenturm wird der Schlusspunkt seines Weinbergspaziergangs am 23. Mai sein. Dann gewährt er den Teilnehmern auch einen Blick ins Innere seines kleinen, aber gemütlichen Reiches. Auf etwa 45 Quadratmetern hat der Autor, der als Jugendlicher von der Türkei nach Deutschland kam, alles, was man von einem Zuhause erwartet. Die Küche samt Essplatz, auf dem sich meist auch jede Menge Bücher tummeln, findet sich im ersten Stockwerk. Eine Etage höher gibt es ein kleines Bad mit Dusche sowie eine Abstellkammer. Direkt unter dem Turmdach befindet sich das Schlafgemach, das auch eine kleine Ecke für einen Schreibtisch zum Arbeiten bietet. „Von hier aus habe ich einen tollen Blick über die Rheinebene, das ist auch nachts eine sehr schöne Aussicht“, schwärmt Özdemir von seinem Wohnturm, der 1471 erbaut und 1979 saniert wurde. Das sei genau der richtige Ort, um Gedichte zu schreiben und Gedanken nachzuhängen. Einige seiner Gedichte zieren die Turmwände, laden beim Erklimmen der engen Wendeltreppen zum Verweilen ein. Wenn Stadtführer mal wieder vor seiner Wohnung Halt machen, „öffne ich schon mal das Küchenfenster und höre zu, was sie so erzählen“, meint Özdemir. Richtig wohl und heimisch fühle er sich in seiner „schnuckeligen“ Bleibe, die er gerne zum „Literaturm“ umfunktionieren würde. An einen Stadtschreiber habe er beispielsweise gedacht. „Wenn ich 5000 Euro zur Verfügung hätte, könnte jemand hier im Rahmen eines Stipendiums drei Monate wohnen und schreiben“, erklärt der Dichter seine Idee. Er selbst war 1994 Stipendiat des Schriftstellerhauses Stuttgart, weiß demnach, wovon er spricht, und was möglich ist, wenn die finanziellen Mittel vorhanden sind. Außerdem schwebe ihm vor, eine Art Literaturgesprächskreis im Turm abzuhalten. „Etwa zehn Leute sollen sich hier treffen und über Literatur austauschen können. Es soll hier ein Ort entstehen, an dem die Literatur Zuhause ist“, berichtet der 50-Jährige, der mittlerweile fast das ganze Jahr über in Freinsheim lebt. An seinem Erstwohnsitz in Ludwigshafen bleibt er nur über Nacht, wenn „ich am nächsten Morgen dort unterrichte“, so Özdemir. Dann sei es einfach praktischer von seinem Job im Briefzentrum in Ludwigshafen in seine dortige Wohnung zu fahren, um morgens zu seinen Schülern aufzubrechen. Er unterrichtet Deutsch als Fremdsprache. Dieses Fach hat er zusammen mit Germanistik und Philosophie an der Heidelberger Universität studiert. Seinen Job bei der Deutschen Post hatte er schon während seines Studiums. Aus einem ehemaligen Ferienjob ist ein festes Arbeitsverhältnis geworden, das ihn abends stundenweise in die Stadt am Rhein führt. „Eigentlich wollte ich nur drei Wochen bleiben, aber seitdem ich dort angefangen habe, bin ich nicht mehr weggekommen“, sagt Özdemir lachend.

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