Bad Dürkheim Wenn das Euphonium groovt

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Nur ein paar über der Bühne aufgehängte Girlanden wiesen am Freitagabend in der Weisenheimer Musikkneipe „Adler“ darauf hin, dass wir uns mitten im Fasching befinden. Mit Ulk und Unsinn hatte der Auftritt von Lucie M. & das Tribunal des Escargots dann auch überhaupt nicht zu tun. Dennoch war die Musik der Band vollkommen außergewöhnlich.

Für alle, die mit der fünften Jahreszeit nichts am Hut haben – und davon scheint es in der Ortsgemeinde von Freinsheim ziemlich viele zu geben –, veranstaltete dort der Verein „Musik und Kultur Weisenheim am Sand“, kurz „MuK“ genannt, außerhalb seiner immer am ersten Freitag eines Monats organisierten After Work-Partys ein „Special“, bei dem die Gruppe Lucie M. & das Tribunal des Escargots auf der Bühne stand und eine hörenswert rockige Alternative zur Fastnacht bot. Die Band trägt nicht nur einen außergewöhnlichen Namen, sondern ist auch musikalisch sehr schwer in eine Schublade zu pressen. Im Mittelpunkt des Quartetts steht die Sängerin, Gitarristin und Banjospielerin Lucie Mackert. Die in Bobenheim am Berg geborene Künstlerin lebt heute in München, unterhält aber immer noch Kontakte in ihre alte Heimat, was es dem „MuK“ letztendlich möglich machte, sie und ihr „Schneckentribunal“ für einen Auftritt im „Adler“ verpflichten zu können. Mackert tritt normalerweise solo als Singer/Songwriterin auf. Erst als sie eines Tages auf den Tübinger Gitarristen Thomas Maos stieß, entstand die Idee, eine gemeinsame Band zu gründen und den Stücken der Liedermacherin ein rockiges Gewand überzustreifen. Diese Aufgabe übernahm Maos, der Mackerts Stücke neu arrangierte und mit dem Bremer Bassisten und Euphonium-Spieler Uli Sobotta sowie dem ebenfalls aus Tübingen stammenden Schlagzeuger Julian Konzmann auch gleich noch das passende Line-Up zusammenstellte. In dieser Besetzung spielten die vier Musiker das Album „Kreuzweise“ ein, das sie nun im „Adler“ bei ihrem erst sechsten öffentlichen Auftritt, neben ein paar neuen, noch nicht aufgenommenen Songs, fast komplett vorstellten. Mit „Was war & Was ist“ eröffneten sie ihre Show. „Es wär’ zumindest schön, wenn uns der Lauf der Zeit vergisst, dann ändert sich vielleicht niemals, was war und was ist“, heißt es in dem Stück um eine gescheiterte Beziehung, zu dem Thomas Maos mit seiner E-Gitarre gleich ein fettes Solo beisteuerte und Uli Sobotta einen erstaunlichen Groove mit seinem Euphonium erzeugte, während Julian Konzmann auf seinem Drumkit die solide Ausgangsbasis für solistische Alleingänge seiner Frontleute trommelte. Schon hier wurde klar, woher der musikalische Wind an diesem Abend wehen wird: Anspruchsvolle Texte, oft beinahe im Sprechgesang vorgetragen, untermauert von einem auf den ersten Blick nicht zusammenpassenden Instrumentarium und gewürzt mit harten, manchmal an die 1970er-Jahre erinnernden Riffs von der E-Gitarre. Blickfang auf der Bühne ist Sobotta mit weißem Kittel, Brille mit schwarz-umrahmtem Krankenkassengestell und vor allem seinem Euphonium, einem Bügelhorn, dessen Einsatz man eher mit klassischen Werken von Schostakowitsch oder Strawinski in Verbindung bringen würde als mit einer zeitgemäßen Rockband. Der Norddeutsche spielt so virtuos auf diesem Instrument, das man auch das „Violoncello der Blasmusik“ nennt, dass er seinen Höfner-E-Bass (den gleichen, den Paul McCartney bei den „Beatles“ spielte) während des Programms nur selten auszupacken brauchte, um für die tiefen Töne zu sorgen. Lucie Mackert wechselte derweil öfter zwischen Banjo und Akustikgitarre hin und her und verstand es mit entsprechender Mimik und Gestik, ihren Zuhörern die von ihr verfassten intelligenten Texte auch optisch verständlich zu machen. Damit die so vorgetragene Kost auf Dauer aber nicht allzu schwer verdaulich wurde, lockerte sie den Programmablauf mehrfach auf, indem sie selbstgeschriebene humorige Gedichte rezitierte, die meist in irgendeiner Form mit ihrer Affinität zu Schnecken zu tun hatten. Das Intro zu „Kleine Kreise“ spielte sie auf einer Nasenflöte, Maos ließ seine Gitarre hier wie die in Blue Oyster Cults „Don’t Fear The Reaper“ klingen. Das Titelstück seines Debütalbums „Kreuzweise“, mit dem sich Lucie Mackert zuvor als Solistin in der „Liederbestenliste“, einer Art Hitparade der Liedermacher, auf Platz sechs, und damit sogar noch vor dem berühmten Reinhard Mey platzieren konnte, hob sich die Combo fast bis zum Schluss ihres Konzertes auf, durfte sich dafür aber über umso heftigeren stürmischen Beifall freuen. Als eine von mehreren geforderten Zugaben ragte ein brandneues Stück der Formation mit dem Titel „Rakete“ heraus, bei dem sich alle Bandmitglieder noch einmal total verausgabten. Als Fazit der Veranstaltung bleibt festzuhalten: Lucie M. & das Tribunal des Escargots sind hervorragende Newcomer, von denen man in Zukunft sicher noch häufiger hören wird. Der „MuK“ darf sich dann bestimmt freuen, als einer der ersten Kulturvereine überhaupt das Talent der Kapelle erkannt und gefördert zu haben.

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