Bad Dürkheim Vermauerte Seelen

Das Böse kann mit offener Brutalität zuschlagen oder seine Schlingen heimtückisch auslegen. Welch dunkle Spannweite dazwischen liegt, zeigt die Produktion des Theaters an der Weinstraße (TadW): Mit „Oliver Twist“ nach dem Roman von Charles Dickens begibt sie sich in eine vermauerte, entseelte Menschenwelt. Am Samstag wurde auf der Freilichtbühne der Klosterruine Limburg Premiere gefeiert.

Der Aufbau der Bühne ist schematisch gegliedert, wie es das menschliche Leben nur sein kann. So grau und inhaltsleer, wie er vor der Limburgkulisse aufragt, lässt sich der gerüstartige Betonbau auch in heutigen Großstädten ansiedeln, in der zersplitterten Welt einer bedrohlichen Zukunft oder im verwüsteten Land vergangener und aktueller Kriege. Überall, wo Menschlichkeit verfällt, kann dieses Gefüge erstehen – von Menschen bewohnt und doch kalt und unwirtlich. Die Inszenierung unter Regie von Hans Dreyer setzt den Gedanken von Verfall und Vermauerung mit ihren Darstellern fort. Während Romanautor Dickens mit einigen seiner Romanfiguren noch Hoffnung macht, scheinen auf der TadW-Bühne die unmenschlich trennenden Schranken schier unüberwindbar. Die Parzellierung dieser Gesellschaft wirkt erstarrt und eisig und die Figuren bleiben ohnmächtig darin gefangen. Ihr masken- und puppenhaftes Aussehen, für das Thomas Giel zuständig ist, ist da nur konsequent. Große und auffallend umrandete Augen, die ohne Ausdruck bleiben, gehören ebenso dazu wie die Perücken, mit deren Farbigkeit oder Farblosigkeit der Zuschauer ihren Träger sofort zuordnen kann. Die Allerärmsten und die Kriminellen tragen zumeist schwarze Perücken. Die etwas besser Situierten sind weißhaarig, etwa der Sargmacher Sowerberry (Ralf Nuß), seine Frau (Annika Nuß) oder Mrs. Bumble (Silke Schmidt). Auch Monks, dessen finstere Habgier Raphael Grüner verkörpert, gehört zunächst zu dieser Schicht. Zwischen Handlung und Zuschauer lässt die Regie die zeitgenössisch gekleidete Figur des Mr. Grimmwig Fäden knüpfen. Als Erzähler geht Reiner Meiler erklärend durch die Szenen und nimmt das Publikum auf Zeitsprünge mit. Ein guter Einfall, ihn zuweilen mit Oliver ins Gespräch zu bringen. In der Rolle des armen Waisenjungen tritt die 13-jährige Cora Neubauer-Pfaehler auf. Mit ihr ist das Problem, Olivers rechtschaffenes Wesen nicht irreal wirken zu lassen, gut gelöst. Unaufdringlich spielt sie einerseits seine schüchterne Verstörtheit und zugleich seine entschlossene Ehrlichkeit, auf die der graue Schmutz der Umgebung (noch) nicht abfärbt. Die Kluft zu seiner Umgebung kommt wirkungsvoll in den Szenen mit Fagin (Walter Bengel) und dessen Bande von Straßenkindern zur Geltung. Mit Wertungen halten sich all diese Bilder zurück. Eher werfen sie Fragen auf. Wie vorgeprägt sind Lebenswege in der jeweiligen Gesellschaftsschicht? Wie steht es um die menschliche Gemeinschaft, wenn sich tiefe Risse durch sie ziehen? Es gibt einen Moment, der eine kleine Brücke bauen könnte, als sich Nancy (eindringlich gespielt von Flora-Lu Kubetz) im Haus der Maylies für Oliver einsetzt. Doch letztlich grenzt sich die Oberschicht mit gekünstelter Affektiertheit und schriller Buntheit ab. So farblos und trist auf der Bühne die Welt der Armen wirkt, so wunderlich grotesk erscheinen die Reichen. Ihr Gehabe wirkt gespreizt und ihr Sprechen verrutscht merkwürdig in der Tonlage. So bringt die Inszenierung Figuren wie Mr. Brownlow gefährlich nah an die Grenze zur Lächerlichkeit, indem sie ihre Seriosität allzu plakativ aufweicht. Dennoch bemerkenswert, wie glaubhaft die Darsteller die hochtönende Geziertheit umsetzen, etwa Gerd Faber als Brownlow, Esther Dreyer als Mrs. Maylie, Franz Leiß als diensteifriger Giles und Simone Allbach als Beamtin und Rosa. Musikalisch bereichert Mario Fadani die Darbietung, dessen Songs die Handlung mehrfach brechen. Mit zunehmender Dunkelheit verstärkt ausgefeilte Lichttechnik (Lars Henkes) die szenische Wirkung. Die versinkt gleichwohl im erbarmungslosen Dunkel, als Sikes zum Mörder wird. In seiner Rolle bringt Elias Peschke das brutal Böse zum Ausdruck. Info Weitere Aufführungen am 26. und 27. Juni und 3., 4., 10. und 11. Juli jeweils um 20.30 Uhr. Kostenfreier Buspendelverkehr vom Wurstmarktplatz und Busbahnhof.

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