Bad Dürkheim Heimat oder die Liebe zum Kaff

„Heimaten“ , so lautet das Motto der diesjährigen Literarischen Lese in Freinsheim. Nicht eine Heimat, sondern mehrere. Die, der man entstammt, und die, die man gefunden hat – oder auch nicht. Am Donnerstagabend las Jan Böttcher im Barocksaal des Alten Rathauses in Freinsheim aus seinem neuen Roman „Das Kaff“.

Es ist nicht anzunehmen, dass die Freinsheimer den Titel auf sich bezogen haben – dazu ist das Selbstwertgefühl viel zu gut entwickelt. Aber leider waren nicht viele Zuhörer gekommen. Die aber gekommen waren, erlebten einen interessanten Abend. Viel Resonanz bekam Böttcher bei seinen Bemerkungen zur eigenen Situation und seinem Leben in Berlin und seiner Herkunft aus einer norddeutschen Kleinstadt. Der Roman erzählt nicht seine eigene Geschichte, er kann aber auf ähnliche Erfahrungen zurückgreifen und dadurch wirkt der Text sehr authentisch. Der Ich-Erzähler ist ein Mann, der einer Kleinstadt entstammt, dann aber in die große weite Welt nach Berlin „ausgewandert“ ist und dort etwas aus sich gemacht hat. In der alten Heimat hat er eine Tischlerlehre absolviert, in Berlin wurde er Architekt. Der Titel „Das Kaff“ zeigt seine Geringschätzung für den Ort seiner Herkunft. Als er mit einem Auftrag als Bauleiter zurückkommt, wird er mit seinem früheren Leben und natürlich auch mit sich selbst, mit seiner Prägung und seinen Einstellungen, vielleicht auch seinem Snobismus konfrontiert. Erzählt wird sehr lebhaft und anschaulich, es sind Szenen, die man sich gut vorstellen kann. Schon am Anfang des Romans fährt er mit einem laut quietschenden alten Fahrrad durch den Wald, am Fluss entlang, steigt in den Fluss, wird mit der Dorfjugend konfrontiert – alles wirkt sehr greifbar. Bei einem Besuch auf dem Fußballplatz trifft er auf alte Sportkameraden und wird ganz selbstverständlich vereinnahmt. Er soll eine Jugendmannschaft trainieren. Man ahnt schon, das könnte was werden. Der Besuch bei seinem alten Lehrmeister, einem Tischler, ergibt, dass er ihm bei der Herstellung von Türen für sein Bauprojekt helfen kann. Seine alte Welt geht mit ihm um, als gehöre er selbstverständlich dazu, man macht nicht viel Aufhebens, man kennt sich, man hilft sich, man beansprucht einander. Das alles geht in norddeutscher Tonlage vonstatten. Die Erzählung ist im Standard-Hochdeutsch, die Sprache der Einheimischen aber hat deutlich Lokalkolorit. Das kam auch in der Art, wie Böttcher vorlas, voll zur Geltung. Die Kürze der Ausdrucksweise und der Ton der Sprache machten die Lesung sehr unterhaltsam. Eine ganz andere Art zu sprechen wendet der Erzähler beim Gespräch mit seinen Auftraggebern an. Die hält er sich vom Leibe mit ihren Ansprüchen und Zumutungen mit Allgemeinplätzen und Textbausteinen. Die Sprache der Einheimischen hingegen ist sehr direkt, keinerlei Umschweife. Es arbeitet in ihm. So großartig ist sein Leben in Berlin auch nicht, die Auftraggeber kommen ihm vor wie „Dienstleister, die Schikanen anbieten“, es ist anstrengend. Im „Kaff“ kommen ihm die Selbstverständlichkeiten sehr entgegen, er hadert aber mit anderem, was ihm begegnet, er hat eine unterdrückte Wut, da muss sich etwas entwickeln. Nach der Lesung wusste man natürlich nicht, wie der innere Konflikt des Protagonisten ausgeht, ob er bleiben wird? Ob er zurückflüchtet in die Anonymität der Großstadt? Es ist spannend, man wird neugierig, wie es weitergeht. In kurze Kapitel habe er das Buch eingeteilt, berichtete der Autor. Es lasse sich vor dem Schlafengehen in kleinen Portionen zu lesen, wie er etwas selbstironisch bemerkte. Ganz sicher kann man es auch in einem Rutsch lesen. Der Autor, der auch Musiker ist, sang zum Schluss zur Gitarre ein Lied, das er als Schüler geschrieben hat für seine frühere Band „Herr Nilson“. Der Text zeigt seine frühe Vorliebe für sprachliche Akrobatik und Humor. Vielleicht, so Organisatorin Waltraud Amberger, kommt Jan Böttcher mal zurück nach Freinsheim, wenn die Verbindung von Musik und Literatur das Motto der Literarischen Lese sein wird. Der Autor schien nicht abgeneigt.

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