Neustadt Erst Studium, dann Handwerk

„Eigentlich war ein anderer Werdegang geplant“, sagt Matthias Paul (rechts). Er und Caroline Schollek haben erst nach ihrem Stud
»Eigentlich war ein anderer Werdegang geplant«, sagt Matthias Paul (rechts). Er und Caroline Schollek haben erst nach ihrem Studium den Weg ins Handwerk gefunden – und die Gesellenprüfung mit »sehr gut« abgeschlossen.

Eigentlich war alles ein bisschen anders geplant – das berichten Caroline Schollek aus Bad Dürkheim und Matthias Paul aus Ruppertsberg. Doch jetzt ist es viel passender. Wären die beiden Uni-Absolventen ihren eingeschlagenen Weg weitergegangen, würde der 35-jährige Paul heute wohl an einem sozialwissenschaftlichen Lehrstuhl arbeiten oder irgendwo anders im akademischen Betrieb. Die 27-jährige Caroline würde Deutsch und Englisch unterrichten. Stattdessen haben beide am vergangenen Donnerstag erneut Abschlusszeugnisse entgegengenommen. Sie sind ausgebildete Elektroniker, Fachrichtung Energie- und Gebäudetechnik. „Ich bin niemand, der nur kognitiv an Dinge geht. Ich begreife gerne“, berichtet Matthias Paul, als wir uns im Rheingönheimer Gewerbegebiet bei Kamb Elektrotechnik treffen. „Das Erfahren, das Anfassen hat mir im Studium gefehlt“, ergänzt der Ruppertsberger. Er und auch Schollek haben einen derzeit noch ungewöhnlichen Weg eingeschlagen und sind nach einem abgeschlossenen Hochschulstudium ins Handwerk gewechselt und haben eine Ausbildung gemacht. Geschäftsführer Georg Ludwig Kamb kann die Vorteile des Handwerks nachvollziehen: „Wenn Sie mit der Arbeit fertig sind, sehen Sie einen Erfolg“, sagt der 67-Jährige. „Das bringt eine ganz andere Erfüllung.“ Doch er und sein Mitarbeiter Michael Raimer (57), zuständig für die Ausbildung, sehen auch, für viele Schüler und vor allem Eltern gelte immer noch die Formel: Wer Abitur macht, geht danach studieren. Dabei biete auch das Handwerk viele Chancen für Abiturienten. Die Betriebe suchen händeringend Fachkräfte, darunter auch solche, die Führungsaufgaben übernehmen können. Und vielleicht sogar für eine Betriebsnachfolge in Frage kommen. „Sie brauchen Leute, die sich artikulieren können und ein gewisses Auftreten haben“, sagt Raimer. Unter 100 bis 120 Bewerbungen, die pro Jahr bei Kamb eintreffen, seien inzwischen auch immer mehr Abiturienten oder frühere Studenten. Raimer beobachtet ein langsames Umdenken. „Ich habe schon als Kind gerne handwerklich gearbeitet“, sagt Schollek und ergänzt, dass sie es gerne mag, den Umgang mit neuen Materialien zu erforschen – ein fester Bestandteil der Ausbildung zum Elektroniker. Auch ihr war das vorherige Studium zu theorielastig. Als sie sich fürs Handwerk entschieden habe, seien da natürlich auch Zweifel gewesen. Ob sie das schaffe und ob sie als Frau gleichwertig aufgenommen wird. „Ich wurde so akzeptiert wie ich bin“, sagt sie. Und in der Berufsschule konnten sich einige Mitschüler über Nachhilfe in Mathematik von der lehramtserfahrenen jungen Frau freuen. „Auch meine Eltern waren am Anfang etwas geschockt“, gibt Schollek lächelnd zu. „Aber mit der Zeit fanden die wirklich gut, was ich mache. Jetzt sind sie stolz darauf.“ Was die beiden Ex-Azubis auch schätzen, ist die Vielfältigkeit des Berufsbilds. „Von der einfachen Hausinstallation bis zum Computernetzwerk“, sagt Schollek. Abteilungsleiter Raimer ergänzt: „Sie haben jeden Tag eine neue Aufgabenstellung.“ Auch allgemein entwickle sich der Beruf immer weiter. Dazu nennt er ein Stichwort: Digitalisierung. Kamb Elektrotechnik hat 220 Mitarbeiter, davon 47 Auszubildende. Auch in diesem Jahr seien wieder alle Auszubildenden übernommen worden, berichtet Georg Ludwig Kamb. Auch Matthias Paul und Caroline Schollek. „Man macht nicht etwas ins Ungewisse hinein“, sagt Matthias Paul. „Hier kann man seine Kompetenz schrittweise abtasten.“ Beide konnten ihre Ausbildung verkürzen. Ob die beiden etwas vom Studium in die Ausbildung übernehmen konnten? „Wie man sich selbst Dinge aneignet, und wie man sich selbst organisiert“, sagt sie. Paul ergänzt: „Man hat gelernt, zu lernen.“ Da nickt Raimer begeistert. Genau diese Fähigkeit fehle manchem Azubi am Anfang: kontinuierlich am Lernen dranzubleiben. Doch das sei entscheidend. Wie es für die beiden im Betrieb weitergeht? Schollek möchte noch etwas Praxiserfahrung sammeln. Paul strebt einen Meister an. Und der Chef ergänzt, dass die Meister- und Technikerprüfung nach dem Deutschen Qualifikationsrahmen auf derselben Stufe ist wie ein Bachelorabschluss an der Universität. Das sagt er gerne denjenigen, die eine Handwerksausbildung immer noch als etwas Minderwertiges ansehen.

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