Grünstadt Einsatz mit kostspieligen Folgen

In einer Dekontaminationsdusche – wie hier im Landkreis Kusel – werden Menschen und Ausrüstungsgegenstände abgespült. Eine Schle
In einer Dekontaminationsdusche – wie hier im Landkreis Kusel – werden Menschen und Ausrüstungsgegenstände abgespült. Eine Schleuse ist auch auf dem Süd-Müll-Gelände aufgebaut worden.

Stellen Sie sich vor, Sie treffen als erste bei einem brennenden Haus ein. Sie wissen, dass sich noch Menschen darin aufhalten, aber schwarzer Qualm strömt Ihnen entgegen. Würden Sie hineinrennen? Hoffentlich nicht. Tatsächlich gilt bei der Erstrettung, dass sich die Helfer nicht selbst in Gefahr bringen sollen. Was aber, wenn Sie zwei Menschen bewusstlos vor sich liegen sehen, kein Feuer, keine sichtbare Gefahr – aber ein Atemgift liegt vielleicht noch in der Luft. „Man neigt dazu, zu den Verletzten hinzugehen. Für die Einsatzkräfte ist das ein hochmoralisches Problem“, weiß Stephan Theis, Leiter der Integrierten Leitstelle beim Deutschen Roten Kreuz. „Vor Ort muss jeder individuell einschätzen, wie sicher die Situation ist.“ Und mit dieser Situation waren die Helfer vor vier Wochen bei Süd-Müll konfrontiert. Wie berichtet, waren zwei Mitarbeiter vermutlich mit Blausäure und Schwefelwasserstoff in Kontakt gekommen und an den Folgen gestorben. Die Freiwilligen Feuerwehrleute waren nach eigener Aussage mit Pressluftatmer und Brandschutzkleidung ausgerüstet. Die ersten, die jedoch laut Feuerwehr eintrafen, waren Mediziner und Sanitäter des Deutschen Roten Kreuzes, die nicht gegen Atemgifte gewappnet sind. Ihre Ausrüstung ist vor allem auf den Schutz vor Viren und Bakterien ausgelegt: „Man kann sich zwei Paar Handschuhe überziehen und etwas Langärmliges, um keinen Hautkontakt zu bekommen. Eine Brille schützt vor Spritzer von Blut, Speichel oder Erbrochenem“, erläutert Theis die Möglichkeiten der medizinischen Rettungskräfte. Sie würden ihre Schutzausrüstung und deren Grenzen kennen. „Es hilft nichts, wenn man einfach irgendwo reinrennt.“ Negative Beispiele seien Unfälle mit Gärgasen in Weinkellern oder Silos, bei denen unbedachte Helfer bewusstlos zusammengebrochen sind und ebenfalls gerettet werden mussten. Der Gefahrstoffunfall bei Süd-Müll sei nichts Alltägliches, doch im Rettungsdienst sei man für den Umgang mit Giften sensibilisiert – etwa bei Vergiftungen mit Pflanzenstoffmitteln. „Man darf dann keine Mund-zu-Mund-Beatmung machen.“ An diesem Tag in Heßheim konnte die Feuerwehr die Kollegen vom Deutschen Roten Kreuz bei der Menschenrettung noch unterstützen, erzählt Carlo Randazzo, Wehrleiter bei der Verbandsgemeinde Lambsheim-Heßheim. Er ist beim Alarm gleich in den Feuerwehrmodus umgesprungen und hat das Programm abgespult, für das er und seine Kameraden in Planspielen geschult wurden. Für jedes Szenario gebe es Vorgehensweisen. Immer aber gilt die GAMS-Regel: Gefahren erkennen, Absperren, Menschen retten soweit möglich, Spezialkräfte nachfordern. Der Gefahrstoffzug des Rhein-Pfalz-Kreises war vorausschauend mitalarmiert worden. „Nach der Menschenrettung hatte das Dekontaminieren oberste Priorität“, sagt Randazzo. Dafür wurde eine Schleuse, eine aufblasbare Dusche, aufgebaut und – gedanklich – ein Schwarz-Weiß-Bereich aufgeteilt. Im Schwarzbereich blieben Kleidung und Ausrüstungsgegenstände zurück, die mit Giften verschmutzt sein könnten. Unter der Dusche mit Auffangbecken wurden die Menschen mit Wasser abgespült und mit Hilfe der Kameraden in einem festgelegten Verfahren entkleidet, damit keine Haut mit der Außenseite der Stoffe in Berührung kommt, erläutert Randazzo. Die kontaminierten Sachen seien gleich vor Ort in einem Container fest verschlossen bei Süd-Müll gelagert worden. „Die Ausrüstung – alle Kleidung und die Gerätschaften – werden komplett entsorgt und ersetzt“, versichert VG-Bürgermeister Michael Reith (SPD). „Niemand würde mir garantieren, dass es wirklich keine Giftrückstände mehr gibt.“ Wie hoch die Kosten sind, könne noch niemand sagen (wir berichteten auf der Seite Südwest). Derzeit sammele die Verbandsgemeinde aus allen Wehren und vom Gefahrstoffzug die Rechnungen für die Neuanschaffungen. Rund 1000 Euro für Jacke und Hose gibt Wehrleiter Randazzo den Wert einer neuen Brandschutzgarnitur an. Für neue Schutzausrüstungen sei schon am Folgetag gesorgt worden, damit die Wehr einsatzfähig bleibt. Das sei nicht ungewöhnlich: Auch nach vergangenen Einsätzen wie dem Lagerhallenbrand in Lambsheim oder dem Dachstuhlbrand in Heßheim musste Kleidung ersetzt werden. Weil man in der dicken Montur ins Schwitzen gerät, werden sie auch aus hygienischen Gründen viel gereinigt und öfter ausgetauscht. Die beiden schwer verletzten und später verstorbenen Mitarbeiter von Süd-Müll mussten wegen des hochgiftigen Stoffs laut Randazzo ebenfalls erst in der Schleuse dekontaminiert werden, bevor sie vom DRK ins Krankenhaus gebracht wurden. Trotzdem wurden beide Rettungsfahrzeuge sicherheitshalber vorerst außer Betrieb genommen. Derzeit sind zwei Ersatzfahrzeuge im Einsatz. Denn Geschäftsführerin Anna Meinhardt will erst eine Unbedenklichkeitsbescheinigung von Experten: Es solle gemessen und geprüft werden, ob das Reinigen der Wagen ausreiche oder ob sie ersetzt werden müssten. Es geht um viel Geld: rund 90.000 Euro für einen Rettungswagen. Dazu kommen die Kosten für jeweils zwei Beatmungsgeräte und Defibrillatoren, die auf jeden Fall ersetzt werden, für rund 100.000 Euro, ebenso wie alle Medizinprodukte in den Rettungswagen. „Die Summe bewegt sich im sechsstelligen Bereich“, sagt Meinhardt. Wer zahlt? Das ist noch nicht klar. Es gibt Versicherungen. Allerdings kann auch der Verursacher des tödlichen Unfalls zur Rechenschaft gezogen werden. Der steht allerdings noch nicht fest. Wie berichtet, ermitteln die Behörden, ob und wo die Fässer falsch beschriftet wurden und wie die Arbeitsabläufe waren. Dafür gab es laut Frankenthaler Staatsanwaltschaft Durchsuchungen bei dem Zulieferer Evonik in Worms und bei Süd-Müll. „Wir haben das unserem Anwalt übergeben, der sich mit den Rechnungen an Süd-Müll wendet, auf deren Gelände der Unfall passiert ist. Wir sind in einem Zivilverfahren“, sagt Meinhardt. Das Verfahren müsse abgewartet werden, meint auch Bürgermeister Reith. Die Gesundheit der Einsatzkräfte wollen die Verantwortlichen ebenfalls im Blick behalten: 17 Menschen – Mitarbeiter und Helfer – waren vorsorglich ins Krankenhaus gebracht und 24 Stunden medizinisch überwacht worden. Den fünf Kameraden gehe es gut, sagt Wehrleiter Carlo Randazzo, der gleich nach dem Einsatz zu ihnen ins Krankenhaus gefahren war. „Es ist wichtig, dass man über alles redet. Wir nehmen kein Blatt vor den Mund. Die Situation war für uns schwierig und eine Erfahrung, die man mitnimmt.“ Daher würden die Ehrenamtlichen bei Bedarf noch psychologisch und bei einer Nachsorgeuntersuchung medizinisch betreut. Den Einsatz hat die Feuerwehr penibel dokumentiert und Revue passieren lassen. „Es war ein großes Teamplay, und von der Abwicklung her gut“, resümiert Randazzo und bedauert: „Vom Ausgang her leider nicht.“ Die beiden Mitarbeiter – ein 29-Jähriger und ein 43-Jähriger – haben trotz des Einsatzes nicht überlebt.

Pressluftatmer schützen die Kameraden vor Gasen. Die Geräte, die in Heßheim im Einsatz waren, müssen jetzt ersetzt werden. Für e
Pressluftatmer schützen die Kameraden vor Gasen. Die Geräte, die in Heßheim im Einsatz waren, müssen jetzt ersetzt werden. Für einen Chlorgasalarm übt hier der Gefahrstoffzug in Schifferstadt.
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