Bad Dürkheim Eine Frau geht ihren Weg

Dabei gaben zu Beginn des 20. Jahrhunderts mehrere Erzählungen sowie vor allem ihre drei Romane zu großen Hoffnungen Anlass. Die Romane erschienen von 1905 an in kurzer Folge nacheinander bei Samuel Fischer – einer davon, „Maria Baumann“, gar als einer von zwölf in der ersten Reihe von „Fischers Bibliothek Zeitgenössischer Romane“, zusammen mit Werken unter anderem von Thomas Mann, Eduard von Keyserling und Gabriele d’Annunzio. Charlotte Knoeckels Schreiben war geprägt von den literarischen Prinzipien des Naturalismus und ihrem Vorbild Émile Zola – auch das sicher ungewöhnlich für eine Pfälzer Großbürgertochter der Kaiserzeit. Bevorzugt rückte sie Frauenschicksale aus den unteren sozialen Milieus ins Zentrum der Darstellung. Ihre Erzähltexte vermitteln daher ein lebendiges Bild vom Leben der einfachen Menschen jener Zeit und ihrer Arbeitswelt aus eigener Erfahrung und voller lokalem Kolorit. In Köln wurde Knoeckel wegen Sympathien für die SPD entlassen Die Informationen über den Lebensweg Charlotte Knoeckels sind spärlich – auch, weil wichtige Bestände wie das Verlagsarchiv von Fischer im Zweiten Weltkrieg zerstört wurden. Das Neustadter Stadtarchiv weist aus dem Geburtsregister ihre Geburt am 12. Juli 1879 als Tochter von Robert Knoeckel, einem Bruder des Papierfabrikanten Theodor Knoeckel, nach. Sie entstammt damit einer der angesehensten und wohlhabendsten Neustadter Unternehmerfamilien, deren Prestige noch bis heute nachvollziehbar ist anhand der 1889 errichteten Villa in der Quellenstraße, in der heute die Galerie Upart ihren Sitz hat. Der Lebensweg Charlotte Knoeckels verlief aber in anderen Bahnen. Wie einem Lexikonartikel aus dem Jahre 1913 zu entnehmen ist, kam sie mit zehn Jahren in ein kirchliches Mädchenpensionat nach Straßburg, wo sie bis 1895 blieb. Später sammelte sie wohl in Köln berufliche Erfahrungen im kaufmännischen Bereich und als Hilfsarbeiterin in einer Weberei und einer Glaswarenfabrik, wurde aber wegen ihrer Sympathie für die Sozialdemokratie entlassen. Sie machte eine Ausbildung als Krankenpflegerin und arbeitete von 1901 bis 1904 als Rot-Kreuz-Schwester zunächst im Krankenhaus, dann als Gemeindeschwester im Saarland. Dabei infizierte sie sich wohl an Tuberkulose – ein Umstand, der ihr weiteres Leben entscheidend bestimmen sollte. Eine Folge ihrer Erkrankung war ein Kuraufenthalt in der Schweiz 1905. In diese Phase muss auch die Arbeit an ihrem ersten Roman, „Kinder der Gasse“, gefallen sein, der noch im gleichen Jahr erschien. In ihrem Erstling schildert die Schriftstellerin den Lebensweg einer jungen Frau, die nach dem Tod der Mutter im Kindbett die Familie, den Vater und ihre drei Geschwister versorgen und dabei ihre eigenen Interessen und Wünsche zurückstellen muss. Sie stirbt wie ihre junge Schwester an der Schwindsucht. Die Genauigkeit in der Zeichnung der Figuren und der Schauplätze ist kein Zufall. Der kundige Leser erkennt Neustadt als Lokalität wieder und erhält so Einblick in die Lebenswelt der einfachen Schichten in der Pfalz in der Zeit der Gründerjahre. Dieser Zusammenhang zwischen Biografie und Werk findet sich auch im zweiten, 1906 erschienenen Roman Charlotte Knoeckels, der ihre Erfahrungen aus der Krankenpflege und das provozierende Thema Euthanasie behandelt. „Schwester Gertrud“ steht in dem Konflikt, ob sie einer Schwerkranken Sterbehilfe leisten soll, die eine risikoreiche Operation nur mit schwersten Behinderungen überleben könnte. Allerdings hat sie auch eigennützige Motive, denn sie ist in den Ehemann der Kranken verliebt. Diese Kolportage-Elemente werden durch die Erzählperspektive, die Sicht einer jungen und unerfahrenen Krankenschwesterschülerin, und durch Passagen aufgebrochen, in denen Knoeckel eindringlich das vergebliche Bemühen von Ärzten und Krankenschwestern schildert, an Tuberkulose erkrankte Kinder mit den damalig bekannten medizinischen Mitteln zu retten. Knoeckels Berufserfahrungen sind hier eingearbeitet und mit Sensibilität und moralischem Problembewusstsein gestaltet. Es geht oft um Frauen, die aus ihren Rollenmustern ausbrechen In ihrem dritten Roman „Maria Baumann“, erschienen 1909, orientiert sich Charlotte Knoeckel an Émile Zola und seinem Roman „Germinal“. Die Protagonistin entscheidet sich gegen den sozialen Aufstieg, den ihr ein Liebesverhältnis mit einem Unternehmer verspräche, und für den Kampf an der Seite der Arbeiterschaft in einer Glasfabrik. Als Journalistin versucht sie, den Vorbereitungen zum Streik und dem Streik selbst öffentliche Unterstützung zu verschaffen. Dazu arbeitet sie selbst in der Produktion, um quasi undercover Einblick in die Betriebssituation zu gewinnen. Der Streik aber scheitert, und die Maria Baumann wählt den Freitod. Neben der sozialkritischen Grundhaltung zeigt sich hier als weiteres Leitmotiv Knoeckels Frauenbild. Es bleibt nicht stehen bei der Klage über die Unterdrückung der Frau, sondern zeigt immer wieder Protagonistinnen, die aus den beengenden Rollenmustern auszubrechen versuchen. Knoeckel selbst allerdings kehrte wohl schon 1906 in die Pfalz zurück, auch wenn spätere Aufenthalte in Dortmund (1911) und Berlin (1915) wahrscheinlich sind. Ihre letzten Lebensjahre verbrachte sie in Bad Dürkheim, wo sie zuletzt von ihrer Mutter gepflegt wurde. Sie starb im 44. Lebensjahr am 23. Juli 1923 an Tuberkulose. Publikationsort und Rezensionen aus der Zeit beweisen, dass Charlotte Knoeckel als Autorin der naturalistischen Schule geschätzt wurde. Dazu trugen auch ihre lebendige, am Dialog orientierte Sprache und ihre Empathie mit den Romanfiguren bei. Sie hat im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts eine erstaunliche Produktivität bewiesen. Neben den drei Romanen publizierte sie noch Erzählungen und Novellen, die 1911 und 1915 in der Zeitschrift „Neues Frauenleben“ erschienen sind. Schon 1910 wurde Knoeckel zudem auf Vorschlag des Schillerverbands deutscher Frauen eine finanzielle Unterstützung von 600 Mark gewährt. Dies beweist die Anerkennung, die sie als Autorin gewonnen hat und belegt ihre politische Verankerung in der Frauenbewegung der Zeit. Es zeigt aber auch, dass ihre materielle Lage miserabel war und die unheilbare Erkrankung ihre Kräfte frühzeitig aufzehrte. Der Autor Harald Kargus wurde 1951 in Frankfurt geboren und studierte Germanistik, Theaterwissenschaft und Philosophie in Marburg und Heidelberg. Er arbeitete als Lehrer für Deutsch und Philosophie am Werner-Heisenberg-Gymnasium in Bad Dürkheim und war von der Gründung 2003 bis zu seiner Pensionierung 2016 Leiter des Gymnasiums Edenkoben. Er lebt seit 1983 in Neustadt und ist seit 2018 Vorsitzender des Kleinkunstvereins „Die Reblaus“. Auf Charlotte Knoeckel stieß Kargus schon vor Jahren, als er ein Facharbeitsthema für einen Schüler suchte. Seit seinem Ruhestand recherchierte Kargus verstärkt über die Autorin.

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