Kreis Bad Duerkheim Einander mehr vertrauen

„Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser“ – das habe ich schon als Schulkind gelernt. Mit dem Vertrauen und der Kontrolle ist das so eine Sache. Ich möchte nicht in den Chor derer einstimmen, die sagen: „Früher war alles besser.“ Das stimmt so nicht. Aber wir müssen uns schon fragen, wie es in unserer Gesellschaft um das Vertrauen steht. Mein Elternhaus steht in Kaiserslautern auf dem Betzenberg. Das Fußballstadion ist drei Minuten entfernt. Als Kinder sind wir in den 70er-Jahren auch zu den Bundesligaspielen des FCK gegangen. Da wir uns mit unserem Taschengeld keine Eintrittskarte leisten konnten, sind wir in der Halbzeitpause immer an den Eingang der Westkurve gegangen. Dort stand ein netter und kinderfreundlicher Ordner, den wir kannten und der uns heimlich, still und leise einfach hereingewinkt hat – ohne Eintrittskarte. So konnten wir eine Halbzeit den Betze erleben. Das wäre heute unvorstellbar. Körperkontrollen mit Abtasten gab es damals noch nicht. Dafür gab es aber etwas mehr Menschlichkeit und Fingerspitzengefühl für das, was geht, und das, was nicht geht: Als wir etwa 13 Jahre alt waren, schaute uns der Ordner an und sagte: „Jetzt seid ihr zu groß, jetzt müsst ihr bezahlen.“ Was ist über die Jahrzehnte in unserer Gesellschaft passiert? Spätestens seit dem Terroranschlag am 11. September 2001 auf das World Trade Center wissen wir: Die Terrorgefahr lauert überall und Kontrollen sind notwendig. Videoüberwachung gibt es überall zum Schutz der Menschen. Wir haben uns daran gewöhnt, und ich selbst fühle mich auch sicherer durch solche Kontrollen. Gleichzeitig bezahlen wir das mit dem Verlust von Vertrauen. Das ist sehr schade. Denn Vertrauen heißt, dass ich davon ausgehe, dass andere mir nichts Böses wollen. Ob dieser flächendeckende Vertrauensverlust Auswirkungen auf unsere Einstellung zum Vertrauen in unserem Leben und unser Sicherheitsdenken hat? Als Pfarrer darf ich immer wieder junge Brautpaare trauen. Liebende versprechen sich, ein Leben lang zusammenzubleiben. Liebe braucht Vertrauen. Eine Kontrolle, was Partner oder Partnerin so alles machen, würde der Liebe Schaden zufügen. Auch unseren Kindern müssen wir vertrauen, damit sie lernen, sich eigenverantwortet durchs Leben zu bewegen. Zudem können wir uns nicht gegen alles Mögliche versichern. Ich habe den Eindruck, dass der Staat immer mehr Vorschriften erlässt und immer stärker in unser Leben eingreift. Wir laufen Gefahr, alles nur noch regeln zu wollen. Denn Sicherheit braucht Kontrolle und Verwaltung. Wie anders ist das im christlichen Glauben! Hier ist Vertrauen Grundvoraussetzung und Grunderfahrung. Ohne Gottvertrauen geht es nicht. Ich vertraue auf Gott, weil er mir vertraut. Darin erfahre ich Angenommen-Sein, Stärkung, Hilfe, fühle mich getragen. Das ist tiefe Glaubenserfahrung. Sie ruft mich dazu auf, auch auf Menschen vertrauensvoll zuzugehen in einem Miteinander. Christen sind ins Vertrauen getauft. Am Sonntag ist Europawahl. Wir reden oft über die christlichen Grundwerte, die Europa geprägt haben. Vertrauen ist da ganz oben angesiedelt. Ohne das geht es nicht. In der Geschichte Europas hat man das oft vergessen. Und das ging nie gut. Ich wünsche mir ein Europa mit weniger Kontrolle, ein Europa des Miteinanders und des Vertrauens. —Martin Theobald ist Pfarrer der Protestantischen Kirchengemeinde Asselheim-Albsheim-Mühlheim

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