Bad Dürkheim Abgründe des Menschen

Ein Zweikampf der Blicke: Riccardo Ibba und Anja Kleinhans.
Ein Zweikampf der Blicke: Riccardo Ibba und Anja Kleinhans.

Dass jeder Mensch ein Abgrund sei, ist eine geläufige Behauptung. Im Schauspiel „Heilig Abend“ von Daniel Kehlmann erlebt der Zuschauer zwei Personen, die auf konträre Weise abgründig erscheinen. Am Donnerstag feierte das „Theader Freinsheim“ mit einer aufwühlenden Inszenierung des Zwei-Personen-Stücks Premiere.

Von den ersten Momenten an herrscht im kleinen Theaterraum des Casinoturms eine hochkonzentrierte Spannung, der sich der Zuschauer nicht entziehen kann. Am Tisch sitzt der Ermittler, während sein Gegenüber, eine terrorverdächtige Professorin, noch stehend verharrt. Doch allein die Art und Weise, wie er sie auffordert, sich zu setzen, verrät Zwiespältigkeit: Auf verbindliches Einladen folgt die gebrüllte Anweisung. Anja Kleinhans als Philosophie-Professorin und Riccardo Ibba als Ermittler sind ein schlagkräftiges, bestechendes Bühnenduo und jeder wirkt auf eigene Weise schonungslos und radikal. Die Darsteller fechten ihren Konflikt nicht nur mit triftigen und brillanten Wortwechseln aus. Darüber hinaus erlebt das Publikum einen wahren Zweikampf der Blicke, begleitet von wechselvoller Mimik und unverhohlener Körpersprache. Und kaum einen Augenblick kann man sich sicher sein, wer von beiden der Stärkere ist. Mit aufmerksamem Interesse an menschlicher Undurchschaubarkeit folgt die Regie von Uli Hoch den Charakteren. Ihre Gegensätze wirken unüberwindlich, zugleich lassen sie in sich selbst tiefe Widersprüche ahnen. Während die Gegenspieler einander lauernd umkreisen, fragt sich der Zuschauer immer mehr, ob er überhaupt jemandem von ihnen trauen kann. Zunächst läuft es scheinbar gut für den Ermittler. Riccardo Ibba gestaltet den verhörenden Staatsdiener mit einer glänzenden Mischung aus hämischer Anmaßung, Zudringlichkeit und der miesen Optik des Schnüfflers. Mit grimassierten Zügen und raumgreifendem Gebaren sucht er im Fragespiel seine Kontrahentin zu zermürben. Von seinen provozierenden Annäherungen fällt er in ruppige Taktlosigkeit und schließlich in eine geradezu verzweifelte Aggression, als sein Konzept nicht aufgeht. Einen starken Gegensatz dazu gestaltet Anja Kleinhans: Gegenüber dem brutalen Anstrich des Ermittlers transportiert sie zunächst etwas von der Hilflosigkeit eines zu Unrecht festgesetzten Opfers. Doch der Wechsel der Gefühle begleitet den Zuschauer auch hinsichtlich ihrer Person: Während das Verhör weitergeht, erfährt man von ihren Verwicklungen und muss sich angesichts der Thematik fragen: Was ist die Wahrheit? Hat sie tatsächlich mit ihrem Ex-Mann eine Bombe gelegt, die noch in dieser Weihnachtsnacht explodieren soll? Die Botschaft, dass Menschen moralisch ambivalent sind, bringt die Theader-Inszenierung beeindruckend auf die Bühne. Gleichzeitig unterliegt sie nicht der Versuchung, eine Lösung zu liefern, sondern enthält sich konsequent eines Urteils. So frostig der eine und so gewaltbereit womöglich die andere angesichts von Armut und Ausbeutung auch ist: Auf beiden Seiten beeindruckt eine große argumentative Überzeugungskraft. Dann läuft hörbar die Zeit ab, die bis zum Explodieren der vermeintlichen Bombe so knapp bemessen war. Ob es den Sprengsatz wirklich gibt, bleibt genauso offen wie manche brisanten Fragen. Doch besonders diese kritischen Punkte haben das Zeug, den Zuschauer über den Ausgang des Stücks hinaus zu begleiten. Info Weitere Aufführungen am 10., 21., 22., 23. März, 25., 26., 27. und 28. April jeweils um 19.30 Uhr. Reservierung: info@theader.de oder Telefon 06353/932845.

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