Rheinland-Pfalz Zur Sache: Wer wusste von den Drohungen?

Der Streit zwischen dem Polizeipräsidium Rheinpfalz (Ludwigshafen) und der Kreisverwaltung Germersheim über mögliche Versäumnisse im Vorfeld der Bluttat von Kandel hat sich gestern verschärft: Die Polizei bekräftigte ihre Darstellung, dass sie bereits am 18. Dezember – und damit neun Tage vor den tödlichen Messerstichen – das Jugendamt des Kreises „umfassend“ über die Vorwürfe gegen den afghanischen Flüchtling unterrichtet habe. Die Kreisverwaltung bestreitet dagegen, vor der Tat über eine Bedrohung des Mädchens informiert gewesen zu sein.

Ein Sprecher des Präsidiums sagte dazu gestern, der Sachbearbeiter habe dem Vormund des Afghanen am 18. und erneut am 19. Dezember in Telefongesprächen mitgeteilt, dass der Beschuldigte ehrverletzende Bilder des Mädchens anderen öffentlich zugänglich gemacht habe und dem Mädchen gedroht habe, es am Bahnhof Kandel „abzupassen“. Außerdem habe er gedroht, die Ex-Freundin müsse in Zukunft „aufpassen“. Beide Telefonate mit dem Vormund seien im Vorgangsbearbeitungssystem dokumentiert, sagte der Polizeisprecher. Als Vormund des Flüchtlings ist ein Mitarbeiter des Jugendamtes eingesetzt. Die Kreisverwaltung hatte am Dienstagabend erklärt, „zu keiner Zeit“ habe es für die Mitarbeiter des Jugendamtes oder für die Mitarbeiter der Einrichtung, in der der Afghane untergebracht war, Indizien gegeben, „die dafür sprachen, dass man um Leib oder Leben des Mädchens fürchten müsse.“ Die 15-Jährige hatte Anfang Dezember eine mehrmonatige Beziehung zu dem Flüchtling beendet. Wie berichtet, hatten sowohl das Mädchen als auch ihr Vater am 15. beziehungsweise am 17. Dezember Strafanzeigen gegen den Flüchtling gestellt – unter anderem wegen Nötigung und Bedrohung. Die Kreisverwaltung hat dazu mehrfach erklärt, sie sei zwar über die Erstattung der Anzeigen informiert gewesen, nicht aber darüber, dass es darin um eine Bedrohung des späteren Opfers gegangen sei. Von den problematischen Fotos auf dem Handy des Flüchtlings habe man dagegen seit dem 18. Dezember gewusst.

Jugendamtsinterne Einschätzung der Lage

Laut Kreisverwaltung kam es am 19. Dezember „jugendamtsinternen“ zu einer „Einschätzung der Lage“. Dabei sei vereinbart worden, mit dem Flüchtling ein Gespräch zu führen. Dies sei am 21. Dezember erfolgt. Ort war die Wohngruppe eines freien Trägers in Neustadt, in der der Flüchtling seit September untergebracht war. An diesem Gespräch nahmen laut Kreisverwaltung die Betreuerinnen des Jugendlichen in der Wohngruppe und die fallführende Mitarbeiterin des Jugendamtes teil. Ein Vertreter der Polizei und der Vormund waren demnach nicht dabei. Die Kreisverwaltung weiter: „Bei diesem Gespräch wurden insbesondere die dem Jugendamt bekannten Inhalte der Anzeigen sowie mögliche Konsequenzen bei Nichteinhaltung besprochen.“ Außerdem ist die Rede von „getroffenen Vereinbarungen“ mit dem Jugendlichen, über deren Inhalt machte die Kreisverwaltung indes mit Hinweis auf den Sozialdatenschutz keine Angaben. Es ist nicht die einzige offene Frage. Unklar ist auch weiterhin, warum der Vormund in den Telefonaten mit der Polizei – sofern es tatsächlich Informationslücken gab – nicht von sich aus nachgefragt hat, um was es bei den Strafanzeigen geht. Die Kreisverwaltung: „Wir mussten davon ausgehen, dass wir entsprechend informiert waren.“ Unklar ist auch, ob es gegen die Verlegung des Flüchtlings von einer Einrichtung mit einer kostenintensiven 24-Stunden-Betreuung in die Wohngruppe in Neustadt, die keine lückenlose Betreuung hat, intern konkrete Vorbehalte gegeben hatte. Die Kreisverwaltung dazu: Grundlage einer solchen Entscheidung sei ein Hilfeplan, der von den Fachkräften zusammen mit dem Vormund und dem Flüchtling aufgestellt werde: Dieses Verfahren sei „ordnungsgemäß durchgeführt und dokumentiert worden“. An anderer Stelle erklärte die Kreisverwaltung: Der Afghane sei „auch nach dem Wechsel in die neue Einrichtung unauffällig“ gewesen. Die Polizei selbst hatte nach den Strafanzeigen das Handy des Flüchtlings beschlagnahmt. Zwei Beamte suchten ihn am 18. Dezember zudem in der Schule auf und konfrontierten ihn mit den Vorwürfen – auch mit den Drohungen. Zwei Betreuerinnen aus der Neustadter Wohngruppe seien bei dieser Gefährderansprache anwesend gewesen – für die Polizei ein Beleg, dass auch diese Seite über alle vorliegenden Erkenntnisse Bescheid wusste.

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