Rheinland-Pfalz Wo Politik auf Kunst und Micky Maus trifft

Der Landtag tagt aktuell in der Steinhalle des Landesmuseums, da das Gebäude im Deutschhaus wohl noch bis 2020 saniert wird.
Der Landtag tagt aktuell in der Steinhalle des Landesmuseums, da das Gebäude im Deutschhaus wohl noch bis 2020 saniert wird.

«MAINZ.» Der Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes hebt mit strengem Blick den Finger und zeigt auf einen Stuhl vor sich. Hinsetzen, heißt das wohl. Auf der Besuchertribüne des rheinland-pfälzischen Landtags herrscht Disziplin – Zwischenrufe und Applaudieren sind verboten. Für die 101 Abgeordneten im Plenum scheint das während der Aktuellen Debatte zum Thema „Diesel-Fahrverbote in Rheinland-Pfalz verhindern“ nicht zu gelten. Ständig verlassen Politiker den Plenarsaal und kehren Minuten später wieder zurück. „So habe ich mir das nicht vorgestellt. Ich dachte, das läuft ruhiger ab“, flüstert eine Jugendliche ihrer Sitznachbarin auf der Tribüne zu. Sie ist eine von rund 30 Zehntklässlern der Realschule plus in Rodalben (Kreis Südwestpfalz), die an diesem Tag am Schülerprogramm des Besucherdienstes teilnehmen – eine von insgesamt 15 Gruppen an diesem Tag. Da das eigentliche Landtagsgebäude umgebaut wird, tagt das Parlament im provisorischen Plenarsaal in der Steinhalle des Landesmuseums. Das Besuchsprogramm beginnt 300 Meter weiter im Abgeordnetenhaus. In einem Sitzungssaal, in dem sich normalerweise Fachausschüsse des Landtags treffen, warten die Schüler darauf, ein wenig Landespolitik schnuppern zu dürfen. In den Ausschüssen finde „ein Großteil der parlamentarischen Arbeit statt“, sagt Pia Wagner. Die 22-Jährige ist studentische Hilfskraft beim Besucherdienst. In den Ausschüssen werden oft Einzelheiten beraten und entschieden, im Plenum hingegen wird eher das Grundsätzliche diskutiert. Die jungen Leute lernen noch mehr, ehe es in die Landtagssitzung geht: Fünf Fraktionen gibt es im Landesparlament: SPD, CDU, FDP, die Grünen und die AfD. Welche Aufgaben hat der Landtag? Welche Sitzordnung gilt? Der Landtagspräsident heißt Hendrik Hering (SPD). Er oder ein Stellvertreter leitet die Sitzungen. Sie passen auch auf, dass die Abgeordneten nicht länger reden, als die Geschäftsordnung ihnen erlaubt. Pia Wagner bereitet die Schüler auch auf Überraschendes vor: Während der Sitzung laufe der ein oder andere Politiker umher; häufig führten die Abgeordneten während der Rede eines Kollegen Gespräche miteinander. Grund: Die Abgeordneten sind oft in ihren Wahlkreisen unterwegs und nutzen die Sitzungen, um sich mit ihren Kollegen auszutauschen und Themen anzustoßen. „Das ständige Rein und Raus müssen wir erklären, sonst fragen sich die Besucher, was das für ein Tohuwabohu ist“, ergänzt Ralph Schrader, der Leiter des Besucherdienstes. Dass die Politiker während der Sitzung oft auf ihrem Telefon oder Tablet herumtippen, liegt daran, dass der Landtag ein papierloses Parlament ist. Das heißt: Beschlussvorlagen, Informationspapiere und andere Unterlagen sind elektronisch abrufbar. „Die sind normal nicht am Spielen, Tablet und Handy sind Arbeitsgeräte“, verrät Wagner. Von wegen nur mit Unterlagen beschäftigt: Der ein oder andere Politiker setzt während der Sitzung häufiger einen Facebook-Post oder einen Twitter-Tweet ab. Dann geht’s zur Parlamentssitzung. Doch im Landesmuseum, wo das Plenum tagt, wartet Ungewöhnliches auf die Schüler. Wenige Meter hinter der Eingangstür sitzt eine Gruppe von Plüsch-Micky-Mäusen auf einem Souvenirtisch als Empfangskomitee. Im Gebäude wird derzeit eine Disney-Ausstellung gezeigt. Am Sicherheitscheck vorbei – die Schüler müssen Telefone und Taschen abgeben – wird die Gruppe eine Treppe hinauf in Richtung Besuchertribüne geführt. Vorbei an Gemälden und Skulpturen. Hier prallen mehrere Welten aufeinander: Politik trifft Kunst und Micky Maus. Mit einem Surren öffnet sich die Tür zur Tribüne. Der Plenarsaal ist riesig und beeindruckend. AfD-Landeschef Uwe Junge steht gerade am Rednerpult und ruft in den Saal, der Diesel gehöre zu Deutschland. Applaus aus den eigenen Reihen, Zwischenrufe erntet er von Politikern anderer Fraktionen. Rund fünf Minuten später ertönt eine Glocke. Das Zeichen, dass die Redezeit fast abgelaufen ist, erläutert Pia Wagner vom Besucherdienst später. „Nach Ablauf der Redezeit kann ihm der Landtagspräsident das Wort entziehen.“ Es läuft die Aktuelle Debatte, die von den Fraktionen beantragt wird. Dabei wird ein gerade für die Landespolitik wichtiges Thema behandelt. Schon nach wenigen Minuten wird deutlich, dass in den Reden auch mal ausgeteilt wird. SPD-Mann Benedikt Oster betont, dass er auf die Anerkennung von AfD-Mann Junge gerne verzichte. Der hatte die SPD zuvor für ihre Bemühungen „gelobt“, die Stickoxidbelastung in Städten zu reduzieren. „Seitenhiebe hatte ich zwar erwartet, aber dass die Unruhe so arg ist, nicht“, merkt der Zehntklässler Luca Pfundstein an. Nach einer Stunde muss die Gruppe die Tribüne wieder verlassen. Die nächsten Besucher warten bereits. „Wir sind an Plenartagen eng getaktet“, erläutert Schrader. Vorbei ist die Führung jedoch noch nicht. Für die Rodalber Realschüler steht noch ein Gespräch mit Landtagsabgeordneten aller Faktionen auf dem Programm: Alexander Fuhr (SPD), Thomas Weiner (CDU), Steven Wink (FDP), Gabriele Bublies-Leifert (AfD) und Andreas Hartenfels (Die Grünen). Darin präsentieren sich die Politiker anders. Entspannter. Sie lassen einander ausreden. Verbale Attacken bleiben aus. Sie machen Witze. „Das war ganz cool. Die Abgeordneten waren echt locker“, sagt die 15-jährige Andrea Klemm. Die Schüler haben viele Fragen an die Politiker. Wie ist der Tagesablauf eines Politikers? Was wollen sie tun, um ihre Region voranzubringen? Warum erhalten Schulen so wenig Geld, dass sie Reparaturen nicht machen und keine Geräte für Experimente anschaffen können? Für Reparaturen und die Anschaffung von Unterrichtsmaterial sei nicht das Land zuständig, betont Thomas Weiner. Das Land bezahle das Personal, habe aber in den vergangenen Jahren mehr Geld an die Kommunen bezahlt, ergänzt Steven Wink. Während im Plenum noch harsch kritisiert wurde, sind sich die Abgeordneten nun in vielen Fragen einig: Alle wollen in ihrer Region die Infrastruktur verbessern und den Breitbandausbau vorantreiben. „Oft ähneln sich die Ziele, aber der Weg dorthin ist ein anderer“, sagt Wink. Was ein Landtagsabgeordneter verdiene, will eine Schülerin wissen. Derzeit sind es rund 5800 Euro im Monat. Bis 2020 werden die Diäten auf 6800 Euro angehoben. Das hat der Landtag bereits beschlossen. „So viel Geld verdient ein Verbandsgemeindebürgermeister auch“, begründet Alexander Fuhr die Anhebung. Hinzu kommen eine Pauschale, mit der Mitarbeiter (rund 3000 Euro) bezahlt werden können und ein Festbetrag zur Unterhaltung eines Wahlkreisbüros (rund 1200 Euro). „Nicht schlecht“, sagt ein Schüler. Der Politikerberuf habe weitere Vorteile: Man sei sein eigener Chef (Thomas Weiner) und komme ständig mit Menschen in Kontakt (Gabriele Bublies-Leifert). Aber: Der Arbeitstag ist lang, und eigentlich ist man immer im Dienst. „Auch beim Einkauf an der Wursttheke wird man in der Funktion angesprochen“, sagt Fuhr. Andreas Hartenfels ergänzt, ein politisches Projekt sei nie abgeschlossen. „Es ist ein Prozess, ein fertiges Produkt gibt’s in der Politik nicht. Das ist die Realität, macht den Beruf aber spannend.“

Im Ausschusssaal des Abgeordnetenhauses informieren sich die Schüler vorher über die Sitzverteilung im Plenum.
Im Ausschusssaal des Abgeordnetenhauses informieren sich die Schüler vorher über die Sitzverteilung im Plenum.
Zehntklässler der Realschule plus Rodalben beobachten die Sitzung des Landtages von der Besuchertribüne aus.
Zehntklässler der Realschule plus Rodalben beobachten die Sitzung des Landtages von der Besuchertribüne aus.
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