Rheinpfalz Untersuchungsausschuss auf Raten

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MAINZ. Wie konnte es passieren, dass die Landesregierung, allen voran das von Roger Lewentz (SPD) geführte Innenministerium, im Juni auf die chinesische Firma Shanghai Yiqian Trading Co. Ltd. (SYT) hereingefallen ist, die kein Geld hätte, um den Flughafen Hahn zu kaufen? Diese Frage beschäftigte den Mainzer Landtag im Juli so sehr, dass auch die Regierungsfraktionen SPD, FDP und Grüne einem Untersuchungsausschuss wollten. Die AfD fordert ihn nach wie vor, die CDU will den neuen Verkaufsversuch und den von allen Fraktionen beantragten Rechnungshofbericht abwarten. Mögliche Verkaufsverhandlungen beginnen nach dem 28. Oktober, bis dahin müssen Interessenten 250.000 Euro als Nachweis ihrer Solvenz überwiesen haben. Was aber ist mit der Aufklärung? Die geschieht auf Raten: 77 Kleine Anfragen, davon 72 von der CDU und fünf von der AfD, dazu mündliche Anfragen in Landtagssitzungen, Anträge in Fachausschüssen und zwei Sondersitzungen ergründeten die Abläufe, die zum Verkauf an SYT geführt haben. Häufig waren Recherchen von Medien Anlass, parlamentarisch nachzufassen. Die Fraktionen von SPD, FDP und Grünen konzentrieren sich auf die Rolle der Beratungsgesellschaft KPMG, während die Opposition nach Fehlern bei Lewentz, bei dem für den Verkauf federführenden Innenstaatssekretär Randolf Stich und bei Ministerpräsidentin Malu Dreyer (alle SPD) sucht. Drei Monate nach dem Debakel ergibt sich ein detailliertes Bild der Abläufe. Es zeigt, wie sich die Regierung um den Verkauf gekümmert hat – oder auch nicht. So stellt sich die Frage nach der Sorgfaltspflicht, wenn das Beratungsunternehmen KPMG der Regierung vorwirft: „Keines der in den Prozess involvierten Ministerien hat bis Juni 2016 von den am 30. November 2015 eingegangenen Angebotsdokumenten Kenntnis genommen.“ So steht es unwidersprochen in zwei Briefen von KPMG an die Regierung vom 21. und vom 26. Juli. Fraglich ist außerdem, wie das Innenministerium die elektronische Post aufgenommen hat, die das Haus am 22. April erreichte. Darin ist der KPMG-Prüfbericht vom 20. April dokumentiert. Er führte zu einer „roten Ampel“ – die Wirtschaftsprüfer hatten Zweifel an den Investoren, mehrere Angaben zu den Gesellschaftern von SYT ließen sich nicht bestätigen. Dennoch wird in der drei Wochen später, am 11. Mai, erstellten und von Stich unterschriebenen Ministerrats-Vorlage ein Mehrheitsgesellschafter und Finanzierer Chao Zhou in höchsten Tönen gelobt. In dieser Vorlage steht auf Seite 28 außerdem der Satz: „Der Käuferhintergrund wurde im Rahmen des Verkaufsprozesses einer Sorgfältigkeitsprüfung mittels einer sogenannten Company Due Diligence Questionnaires untersucht. Es wurden keine Auffälligkeiten gefunden.“ Die rote Ampel wird nicht erwähnt. Die Vorlage wird am 18. Mai per Bote verteilt – an diesem Tag hat sich der neue Landtag konstituiert, die Regierung wurde vereidigt. Fünf von neun Ministerien bekamen eine neue Leitung. Schon einen Tag später, am 19. Mai, waren viele Seiten der Kabinettsvorlage Makulatur: Die SYT-Anwälte von der Kanzlei Greenfort in Frankfurt eröffneten, es gebe eine neue Gesellschafterstruktur. Zhu Qing, nicht mehr Chao Zhou, soll Mehrheitseigner und damit neuer Finanzier sein. KPMG wollte nach eigener Darstellung die Verhandlungen aussetzen, Stich sagte später aus: „Wir haben gemeinsam entschieden, weiterzumachen.“ Die Käufer sollten einen Handelsregisterauszug liefern, einen neuen Kontoauszug und eine Bestätigung einer Anwaltskanzlei, eine „Legal Opinion“. Ein Teil des Geldes soll auf ein Notaranderkonto fließen. Am 23. Mai berichtete Stich in der Staatssekretärsrunde über die Veränderungen. Es heißt, so lasse sich der Verkauf besser abwickeln. FDP-Wirtschaftsstaatssekretärin Daniela Schmitt stellte am gleichen Abend in kleinerer Runde mit KPMG die Frage nach einer Bankbürgschaft. Der Hinweis auf das Notaranderkonto überzeugte sie, wie sie später im Landtag sagte. Eine Warnung habe KPMG an dem Abend nicht ausgesprochen. Am 27. Mai lagen die Dokumente der chinesischen Anwaltskanzlei vor und der Bankauszug, der einen zweistelligen Millionenbetrag auswies. Erst im Juli erfuhr Staatssekretär Stich nach eigenen Worten bei seiner China-Reise, dass das Dokument nicht echt sei. An diesem 27. Mai bestätigte außerdem der rheinland-pfälzische Verfassungsschutz, gegen den Investor lägen keine Erkenntnisse, etwa über Wirtschaftsspionage, vor, wie Lewentz im September im Landtag sagte. Drei Tage später, am 30. Mai, gab KPMG mündlich grünes Licht. Die Angaben zur Gesellschaftsstruktur stimmten mit amtlichen Registern überein. Dass viele Angaben über Zhu Qing, den Mehrheitsgesellschafter, offen waren, etwa Geburtsdatum, Wohnadresse oder Ausbildung, steht ebenfalls in diesem Prüfgutachten. Schriftlich ging es der Regierung erst Mitte Juni zu: 15 Tage nach der Vertragsunterzeichnung am 2. Juni, aber immerhin fünf Tage vor der Einbringung des Hahn-Verkaufsgesetzes in den Landtag. Die Parlamentarier erfuhren davon an diesem 23. Juni nichts, auch nicht, dass SYT schon am 10. Juni hätte Geld überweisen sollen. Das sagte Lewentz erst am 29. Juni, als er öffentlich die Reißleine zog. Ein Untersuchungsausschuss könnte an dieser Stelle weiter aufklären. Dann nämlich, wenn er die Mitarbeiter der Beratungsgesellschaft KPMG vernehmen dürfte oder weitere Dokumente auswerten könnte.

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