Rheinland-Pfalz Unglück in Ludwigshafen: „Es war völlig irrational“

Die Untersuchung der Brandruine dauerte Wochen.
Die Untersuchung der Brandruine dauerte Wochen.

Heute vor zehn Jahren sind in Ludwigshafen bei einem Wohnhausbrand neun Menschen türkischer Herkunft gestorben. Es war die schwerste Brandkatastrophe in der Nachkriegsgeschichte der Stadt. Die genaue Ursache ist bis heute ungeklärt. Fest steht, dass kein Anschlag oder technischer Defekt das Feuer ausgelöst hat. Das Thema ist immer noch emotional aufgeladen.

Das Eckhaus in der Ludwigshafener Stadtmitte sieht aus wie eines von vielen Häusern in der Umgebung. Nichts erinnert mehr an das, was hier vor zehn Jahren geschehen ist. An dem Neubau, der die Brandruine 2010 ersetzt hat, gibt es keine Gedenkplakette für die fünf Kinder und vier Frauen, die hier an jenem 3. Februar 2008 ums Leben gekommen sind. Die Opfer sind in ihrer Heimatstadt Gaziantep in der Türkei beigesetzt worden. Die überlebenden Verwandten wollten keine Tafel, die sie jeden Tag im Vorbeigehen an das tödliche Drama erinnert. Zu schmerzhaft sind die Erinnerungen. Das gilt nicht nur für die Opferfamilien. Auch bei den Einsatzkräften und Rettern hat die Katastrophe tiefe Spuren hinterlassen. Türkische Medien spekulierten in den Tagen nach der Katastrophe über einen ausländerfeindlichen Anschlag und behaupteten, dass Feuerwehr und Rettungskräfte nur zögerlich den im brennenden Haus eingeschlossenen Menschen zu Hilfe gekommen wären. Das Gegenteil ist richtig. Einsatzkräfte von Feuerwehr, Polizei und Rettungsdiensten waren sofort vor Ort und haben über ihre psychischen und physischen Grenzen hinaus rund 50 Menschen aus der Flammenhölle gerettet. Das Bild eines Kleinkinds, das aus dem dritten Stock in die Arme eines Polizisten geworfen wird, ging um die Welt. Für neun Menschen kam jede Hilfe zu spät. Es gab 60 Verletzte.

Nach der Katastrophe kam es zu Übergriffen

Die Katastrophe belastete in den Tagen danach das deutsch-türkische Verhältnis. Es kam zu Übergriffen. Ein Türke schlug einen Feuerwehrmann. Einsatzkräfte wurden angespuckt. Der damalige Feuerwehrchef Peter Friedrich brach schließlich unter der Last der ungerechtfertigten Vorwürfe zusammen. Oberbürgermeisterin Eva Lohse (CDU) nahm ihn schützend in dem Arm. Eine Geste, die ihr von der Feuerwehr bei ihrer Verabschiedung im Dezember immer noch hoch angerechnet wurde. „Was da passierte, war völlig irrational. Wir haben eine noch schlimmere Katastrophe verhindert. Die Vorwürfe, die danach gegen uns erhoben wurden, haben wir nicht verstanden. Wir haben nichts falsch gemacht“, sagt der heutige Feuerwehrchef Stefan Bruck (50). Die Polizei hat damals monatelang ermittelt. Zeitweise 80 Beamte arbeiten sieben Tage die Woche an dem Fall – darunter auch vier türkische Ermittler, die auf Druck Ankaras eingebunden wurden. Das sorgte zusätzlich für Aufregung. „Wir waren anfangs skeptisch. Aber im Rückblick bin ich froh, dass die türkischen Kollegen dabei waren. Das hat vertrauensbildend auf die türkische Bevölkerung gewirkt, und sie haben alle unseren Ermittlungsergebnisse bestätigt“, sagt Eberhard Weber (61), heute Polizeivizepräsident in Ludwigshafen, damals als Kripo-Chef Leiter der Ermittlungen.

Ludwigshafen stand im Fokus internationaler Medien

Ludwigshafen stand im Februar 2008 im Fokus von Medien aus aller Welt. Parallelen zum rechtsextremen Brandanschlag in Mölln (1992) wurden gezogen, bei dem drei Türken ums Leben kamen und neun weitere verletzt wurden. Journalisten reisten nach Ludwigshafen und spekulierten wild herum. Ein türkisches Boulevardblatt fahndete mit einem Phantombild nach einem Täter, der gar nicht existierte. Und dann gab es noch ein falsches Bekennerschreiben von einem Mann, der sich als Trittbrettfahrer wichtig machen wollte und Kontakte zur rechten Szene hatte. Die Stimmung war äußerst angespannt. Bei einer Trauerfeier für die Opfer versammelten sich 4500 Menschen auf einem Parkplatz in der Innenstadt, der gegenüber dem Brandort liegt. Auf der Straße wurden die Todesopfer in neun Särgen aufgebahrt, die mit der türkischen Nationalfahne bedeckt waren. Der damalige türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan schlug bei seinem Besuch am 7. Februar in Ludwigshafen moderate Töne an – im Gegensatz zu den Äußerungen, die er zuvor in seiner Heimat getätigt hatte. Erdogan beruhigte seine Landsleute, rügte die türkischen Medien und forderte sie auf, objektiv und seriös zu berichten. Danach entspannte sich die Lage.

Brandursache unklar

Nach einigen Wochen stellten die Ermittler offiziell fest: Es war kein Anschlag. Im Sommer 2008 wurde die Ermittlungsakte geschlossen. Trotz des Einsatzes modernster Technik lässt sich bis heute nicht exakt sagen, was genau den Brand ausgelöst hat. Klar ist, wo das Feuer ausbrach und wie es sich ausbreitete. Vier Sachverständige haben ermittelt, dass sich eine langsam brennende Hitzequelle, möglicherweise eine Kerze, unter der Kellertreppe befand. Es kam zunächst zu einem längere Zeit unbemerkten Schmorbrand, der aufs hölzerne Treppenhaus übergriff. Es bildete sich Kohlenmonoxid, das nicht vollständig verbrannte. Das Gas wurde durch das Feuer erwärmt. Als Sauerstoff dazu kam, entzündete sich das Gasgemisch, und die Flammen schossen durch das Haus wie durch einen Kamin. „Das nennt sich Flashover“, erläutert Feuerwehrchef Bruck. Spuren eines Brandbeschleunigers wie Benzin oder Verdünner wurden nicht gefunden. Auch ein technischer Defekt, etwa ein Kurzschluss, konnte ausgeschlossen werden. Am Ende heißt es: Es war fahrlässige Brandstiftung. „Wer das Feuer ausgelöst hat und wie, das bleibt offen“, sagt der damalige Kripo-Chef Weber. Auch ein 2011 eingegangener Hinweis auf einen angeblichen Verursacher entpuppte sich als falsche Spur. Das Verfahren wurde eingestellt.

Über 60 Menschen waren im Haus

Fest steht: Über 60 Menschen hielten sich an jenem Fasnachtssonntag im Haus auf. Sieben Minuten nach dem ersten Notruf schlugen Flammen aus dem Dach. Durch das brennende Treppenhaus waren die Menschen eingeschlossen. Mit Sprungkissen, Leitern und über Fahrzeugdächer gelang es, rund 50 Leute zu retten. Mehr als 20 Menschen überlebten schwer verletzt. Fünf Kinder und vier Frauen im dritten Obergeschoss verbrannten oder erstickten im Qualm. „Es war keine Rettung mehr möglich. Und es hätte noch viel mehr Todesopfer geben können“, bilanziert Polizeivizepräsident Weber. Er spricht vom „gravierendsten Ereignis“ in seiner 42-jährigen Dienstzeit. Die Bilder von damals seien ihm heute noch präsent. Die frühere OB Eva Lohse (62) sagt: „Der Brand ist ein Ereignis, das in der DNA der Stadt verankert ist. Vieles wurde damals von außen hineingetragen. Positiv ist, dass am Ende eine Städtepartnerschaft zwischen Ludwigshafen und Gaziantep daraus erwachsen ist.“

Es ist mein Schicksal", sagt ein Überlebender

Cevdet Kaplan (37) ist seit jenem 3. Februar 2008 an den Rollstuhl gefesselt. Er sprang aus einem Fenster und verletzte sich dabei das Rückenmark. Er verlor bei dem Brand seine Mutter, seine Frau sowie zwei Kinder. Wegen des Unglücks hegt er niemandem gegenüber Groll. Er hofft, dass er irgendwann einmal wieder laufen kann . „Es ist Schicksal gewesen, mein Schicksal. Ich muss damit klarkommen“, sagt er.

Ein Neubau steht seit 2010.
Ein Neubau steht seit 2010.
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