Rheinland-Pfalz Sturm auf den roten Rekordhalter

Fahrrad, Auto, Bus oder Tram? Die Mobilität wird ein Thema im OB-Wahlkampf sein.
Fahrrad, Auto, Bus oder Tram? Die Mobilität wird ein Thema im OB-Wahlkampf sein.

Seit 70 Jahren stellt die SPD den Oberbürgermeister in Mainz. Im Oktober will Michael Ebling diese Tradition verteidigen. Aber er hat starke Gegner: Die grüne Bundestagsabgeordnete Tabea Rößner und Nino Haase, den parteilosen Kandidaten der CDU, der bei „Schlag den Raab“ zum Millionär wurde. Beide haben schon erfolgreich Kampagnen gegen die SPD gewonnen.

«MAINZ.» Im „roten“ Ludwigshafen ist es der SPD in den vergangenen Jahrzehnten nicht gelungen, durchgehend das Stadtoberhaupt zu stellen. Immerhin hat Jutta Steinruck (SPD) das Rathaus vor zwei Jahren zurückerobert, das Eva Lohse (CDU) 16 Jahre führte. Im „schwarzen“ Trier erlebte die CDU ihre Niederlage. Nach Klaus Jenssen (SPD), dem Ehemann von Ministerpräsidentin Malu Dreyer, regiert mit Wolfram Leibe noch immer ein Sozialdemokrat. Nur in der Landeshauptstadt Mainz ist die Ein-Parteien-Tradition ungebrochen: Seit 1949 stellt die SPD den Oberbürgermeister. 22 Jahre davon gehen auf die Kappe des legendären Jockel Fuchs (1965 bis 1987). Seit sieben Jahren trägt Michael Ebling (52) die Amtskette. Dabei hatte es der großgewachsene Ur-Mainzer mit der sonoren Stimme vor acht Jahren schwer: Korruptionsaffären und leere Kassen, ein zum Rücktritt gezwungener Vorgänger und dazu ein Herausforderer, der dem Fasnachter Ebling fast ebenbürtig war: Der Grüne Bürgermeister Günter Beck ist Mitbegründer und nach wie vor Star der Mainzer „Drecksäck“, dem alternativen Fasnachtsverein. Doch in der Stichwahl siegte der Sozialdemokrat mit 58 Prozent.

Mainzer mögen einen OB, der im Fernsehen eine gute Figur abgibt

Vielleicht weil er des feinsinnigen Humors und zugleich des akzentfreien Hochdeutschs mächtig ist? Die Mainzer mögen einen OB, der auf dem Fernsehbildschirm eine gute Figur abgibt. Aktuell ist die Stadt skandalfrei, das Dieselfahrverbot scheint abgewendet zu sein und die vielen Baustellen auf den Straßen zeigen, dass es irgendwie auch vorangeht. Wechselstimmung ist viereinhalb Monate vor dem 27. Oktober nicht spürbar, aber ein Hauch von Revolution liegt in der Luft. Da wären die „Fridays for Future“-Demonstrationen und vor allem der Wahlabend vom 26. Mai. Erstmals haben die Grünen in der Landeshauptstadt Oberwasser. Die Wähler machten sie mit 27,6 Prozent zur stärksten Fraktion im Rathaus – vor der CDU mit 23,4 und der SPD mit 20,5 Prozent. Angesichts dieser Kraft präsentierten die Grünen am Freitag zu Beginn des legendär linken „Open-Ohr-Festivals“ ihre Kandidatin für die Oberbürgermeisterwahl: Tabea Rößner, 52, Bundestagsabgeordnete. Sie will erste Grüne und erste Frau an der Stadtspitze werden. Zwar umrahmten sie Günter Beck und die grüne Verkehrsdezernentin Katrin Eder bei der Vorstellung, aber Rößners Unterstützerteam reicht über ihr eigenes politisches Milieu hinaus. Andreas Valentin, ehemals Sprecher von FDP-Minister Rainer Brüderle, saß mit in der Runde. Was will Rößner? Mehr Sozialwohnungen bauen, statt städtische Grundstücke meistbietend zu verhökern. Sie will Mainz zur Fahrradstadt machen und den Verfall der Museen stoppen. Ebenso ambitioniert: Die städtischen Ämter zur koordinierten Zusammenarbeit zu bewegen. Die Pfarrerstochter aus dem Münsterland und zweifache Mutter, die lange Journalistin beim ZDF war, legt den Finger in die Wunden. Ihr Manko: Obwohl sie gut vernetzt ist, kennen sie viele Bürger nicht. Vor zehn Jahren war das anders. Damals bewies sie ihre Kampagnenfähigkeit und lehrte die SPD im Kampf gegen das Mainzer Kohlekraftwerk das Fürchten. Sie legte sich mit der Stadtspitze und mit der damaligen Landesumweltministerin Margit Conrad (SPD) an – erfolgreich. Als die Grünen 2009 bei der Kommunalwahl ganz nah an die SPD heranrückten und Rößner in den Bundestag einzog, wurden die Kohlepläne begraben. Der Kandidat, den die CDU ins Rennen schickt, hat im vergangenen Jahr die Stadtspitze vorgeführt. Nino Haase (36) ist parteilos, Chemiker, Unternehmensgründer und Sprecher der Bürgerinitiative gegen den Bibelturm. Dieser Turm war geplant als Erweiterung des maroden Gutenbergmuseums. In dem Turm sollten die wertvollen Bibeln gezeigt werden, er sollte aber auch Spender für die Museumssanierung anlocken. Das Konzept des Bibelturms und der Standort auf dem Domplatz fielen bei einem Bürgerentscheid durch. Oberbürgermeister Ebling war in dem zuletzt erbittert geführten Streit recht unsichtbar geblieben. Er weiß, wann es machtpolitisch klüger ist, sich zurückzuziehen. Er weiß aber auch, wann er nach vorn muss: Als jüngst ein anonymes Schreiben mit Korruptionsvorwürfen die Runde machte, ging er in die Offensive. Gegenüber Medien und in einem Blog nahm er umfangreich Stellung. Seitdem herrscht Ruhe. Während Rößner gegen die Kohle kämpfte, gewann Haase in der Sendung „Schlag den Raab“ drei Millionen Euro. Das brachte ihm Fernsehauftritte ein, zum Beispiel bei Markus Lanz. Medienerfahren ist er außerdem durch die Arbeit beim lokalen Sender Antenne Mainz. Haase ist 1983 in Dresden geboren und war noch fast ein Säugling, als er mit seinen Eltern aus der DDR ausgebürgert wurde. Er ist in vielerlei Hinsicht ein Quereinsteiger in Mainz. Ein Schwerpunkt der OB-Kandidatur ist für ihn die „Verkehrswende“. In der Stadt sei „wenig grüne Politik“ zu sehen, sagt er. Ein Seitenhieb in Richtung der grünen Verkehrsdezernentin Eder. Das Gutenbergmuseum will er mit einem besseren Konzept als dem Turm nach vorn bringen. Überhaupt solle erkennbar werden, wie die Stadt in fünf oder zehn Jahren aussehen soll, sagt Haase. Im Kampf der Kommunen um mehr Geld vom Land soll mit ihm die Landeshauptstadt an die Spitze der Bewegung rücken, aktuell sind es Pirmasens und Kaiserslautern. Haase, der einen Sohn hat und mit seiner Lebensgefährtin in der Stadt wohnt, hat zwar gezeigt, dass er einen Bürgerentscheid gewinnen kann, aber ihm fehlt jegliche Verwaltungserfahrung. Amtsinhaber Michael Ebling jedenfalls war am Wahlabend, der so desaströs für die SPD ausgegangen ist, bereits zuversichtlich, dass es im Oktober besser für ihn läuft. Dann, so sagte er, stehen Persönlichkeiten zur Wahl, keine Parteien.

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