Rheinland-Pfalz Richter fragen nach Pannen

Vier Tage nach der fatalen Explosionsserie durfte ein BASF-Ingenieur zum ersten Mal in den verwüsteten Rohrgraben steigen. Dort
Vier Tage nach der fatalen Explosionsserie durfte ein BASF-Ingenieur zum ersten Mal in den verwüsteten Rohrgraben steigen. Dort entdeckte er, warum dort seit dem Unglück ein mysteriöses Zischen zu hören war.

«Ludwigshafen/Frankenthal.» Ein mysteriöses Zischen hören die Menschen, die sich nach der verheerenden Explosionskatastrophe im Oktober 2016 an die Unglücksstelle heranwagen. Das Geräusch vernehmen sie auch noch, als nach vier Tagen ein BASF-Ingenieur zum ersten Mal in den verwüsteten Rohrgraben am Nordhafen steigen darf. Der 60-Jährige wird immer dann geholt, wenn auf dem Ludwigshafener Chemie-Areal etwas schiefgegangen ist. Nun soll er herausfinden, welche der für den Standort so wichtigen Pipelines noch intakt sein könnte. Das seltsame Geräusch hält ihn davon nicht ab, er denkt sich: Irgendwo mag da harmloser Wasserdampf austreten. Denn die Werkfeuerwehr hat Messgeräte aufgestellt, die ein Warnsignal geben sollen, falls etwas Gefährliches durch die Luft wabert. Und die schweigen. Bis der Ingenieur einen Apparat dorthin hält, wo es so merkwürdig zischt: an einen wenige Zentimeter langen Schlitz, der von einer Flex zu stammen scheint und seitlich in einer Leitung klafft, die für einen explosives Stoff bestimmt ist. Nur schrillt ein Alarm los, der signalisiert: Hier droht noch immer Gefahr. Zugleich ahnt der BASF-Pannen-Experte auf einmal, wie es zur Katastrophe gekommen sein könnte. Tatsächlich denken die Ermittler bald in die gleiche Richtung: Ihr Verdacht fällt auf einen Schlosser, der eine geleerte Leitung zu zerlegen hatte. Doch er soll mit seiner Flex das falsche Rohr erwischt, so versehentlich das Unglück mit fünf Toten und vielen Verletzten verschuldet haben. Mittlerweile steht der Mann deshalb in Frankenthal vor Gericht. Und an diesem Verhandlungstag haben die Juristen den Schnitt-Entdecker in den Zeugenstand beordert. Von ihm wollen sie nicht nur wissen, wie er dem mysteriösen Zischen im Rohrgraben nachspürte. Sie fragen ihn auch, ob Arbeiter bei der BASF schon häufiger Pipelines verwechselt haben. Schließlich ist ihnen von entsprechendem Gemunkel berichtet worden. Eine derartiges Gerücht hat auch ein anderer Zeuge vernommen, den sie an diesem Tag ebenfalls vernehmen. Dieser 61-Jährige spricht von einem Vorfall, der sich erst nach dem Unglück zugetragen haben soll – obwohl die BASF Leitungen seither viel deutlicher kennzeichnen lässt, wenn sie zerlegt werden sollen. Doch der Zeuge betont: „Ich hab’ das nur vom Hörensagen.“ Seiner Sache sicher ist er sich hingegen, wenn er über Markierungen an der späteren Unglücksstelle sprechen soll. Schließlich war er als BASF-Meister für die Absprachen mit einer Rohrbau-Firma aus dem Rhein-Pfalz-Kreis zuständig, die den Angeklagten und seine Monteur-Kollegen geschickt hatte. Dieser Betrieb erledigt derartige Arbeiten bei dem Chemiekonzern schon seit vielen Jahren, diesmal allerdings kam er nur als Subunternehmer eines dazwischengeschalteten Dienstleisters zum Zug. Dass die Geschäftsbeziehung im Oktober 2016 so verwickelt war, führt der Zeuge auf Schwierigkeiten bei Verhandlungen über einen neuen Rahmenvertrag für solche Aufträge zurück. Ein gutes Gefühl, sagt der 61-Jährige, hatte er nach den Vorbesprechungen trotzdem. Er beschreibt, wie er sich mit dem Vorarbeiter der Rohrbauer abstimmte. Und dann zeigt er den Richtern auf einem Plan, wo überall Zeichen auf die auszutauschende Leitung gemalt gewesen seien. Doch es bleibt bei einem Problem, das sich schon vor dem Prozess abzeichnete (wir berichteten). Weil die Aussagen verschiedener Zeugen zu diesen Edding- und Speckkreide-Markierungen recht unterschiedlich ausfallen, können sich die Juristen nur schwer ein schlüssiges Gesamtbild machen. Außerdem werfen sie immer wieder die Frage auf, ob die geleerte Pipeline nicht besser gleich auf ganzer Länge mit greller Farbe hätte angesprüht werden sollen. Immerhin hat der 60-jährige BASF-Ingenieur und Schnitt-Entdecker ebenfalls schon gehört, dass auch bei anderer Gelegenheit Arbeiter Nachbarleitungen miteinander verwechselt haben sollen. Doch auch ihn hat diese Geschichte nur als eher vages Gerücht erreicht. Allerdings wollen die Richter und Anwälte von ihm zudem wissen, ob er von sonstigen Zwischenfällen an Rohrleitungen weiß. Also erwähnt der BASF-Pannen-Experte ein Leck, aus dem einmal Säure auf einen Fußgänger tropfte. Er berichtet vom Fall eines Arbeiters, der eine schützende Isolierung um eine Pipeline montieren sollte und mit seinen Schrauben gleich deren Wand durchbohrte. Und er spricht von Ereignissen, die vor allem den Verteidiger des Angeklagten aufhorchen lassen. Schließlich liebäugelt der Anwalt mit der These, dass sein Mandant vielleicht doch an der ihm zugewiesenen Leitung geflext haben könnte, als das Feuer ausbrach. Was bedeuten würde, dass in dem Rohr eine Chemikalie gewesen sein muss, obwohl es eigentlich als geleert galt. Der Ingenieur antwortet auf entsprechende Fragen: „Ja, so etwas gibt es.“ Allerdings sei bei derartigen Vorfällen bislang höchstens die Kleidung des betroffenen Arbeiters benetzt worden. Und es dürfte in der Nähe auch keinen Flex-Schnitt gegeben haben, der ein mysteriöses Zischen hören lässt.

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