Rheinland-Pfalz Ramstein: Der 30. Jahrestag des Grauens

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In einem gigantischen Feuerball zerschellte das Flugzeug in der Zuschauermenge. 70 Menschen starben in dem Inferno, weitere 1000 wurden verletzt, 350 von ihnen schwer.

Das Flugtag-Unglück auf der Air Base Ramstein jährt sich heute zum 30. Mal. Viele RHEINPFALZ-Leser erinnern sich noch genau daran, wie sie den Tag, an dem die schreckliche Katastrophe passierte, erlebt haben. Sie schildern Tragödien, wie Ungewissheit an ihnen nagte, aber auch, wie glückliche Umstände sie vor Schlimmerem bewahrten.

Christine Schneider

, Präsidentin des Deutsch Amerikanischen Internationalen Frauenclubs Kaiserslautern, musste vor der Katastrophe zur Arbeit. Später erfuhr sie Schockierendes: Mein kanadischer Freund und ich saßen ganz vorne vor der Absperrung auf einer Picknickdecke. Neben uns eine nette amerikanische Familie mit liebenswerten fünfjährigen Zwillingen, die jedes Mal vor Begeisterung klatschten, wenn neue Flugkunststücke gezeigt wurden. Wir teilten mitgebrachte Leckereien und freuten uns gemeinsam über den schönen Sommertag. Ich musste um 15.30 Uhr los – als Studentin arbeitete ich sonntags normalerweise in einer Kneipe. Schon auf dem Weg nach Landstuhl sahen wir schwarze Wolken am Himmel. Etwas Schlimmes musste passiert sein. Sirenen gingen los und mein Freund, ein Krankenpfleger der Notaufnahme im amerikanischen Krankenhaus, wusste augenblicklich, dass er sich als Soldat sofort zum Dienst melden musste. Es war Ausnahmezustand. Die Straßen zwischen Ramstein und Landstuhl wurden für Rettungskräfte gesperrt. Drei lange Tage später durfte mein Freund zum ersten Mal seit der Katastrophe bei mir anrufen. Die ganze Notaufnahme arbeitete pausenlos. Bei unserem ersten Telefonat sagte er nur, dass zwei Hallen mit Leichnamen gefüllt seien. Und dass schon in der ersten Nacht damit begonnen wurde, die Toten in die USA zu fliegen. Obwohl deren Identität noch gar nicht festgestellt worden war. Er sprach immer von weit mehr als 100 Toten. Wir hatten nur fünf Minuten am Telefon, aber er sagte mir, dass er eines der kleinen Mädchen gesehen hatte. Er erkannte ihr schönes gelbes Kleid. Sie war tot. Dirk Obenauer aus Erfenbach schildert seine Erinnerungen an die Katastrophe in Ramstein so: „In der Woche vor dem Flugtag hatte ich mich mit einem amerikanischen Mieter verabredet, den Flugtag zu besuchen. Am Morgen dieses Sonntags stand ich abfahrbereit vor seiner Tür und wollte auch hinfahren. Er aber sagte, dass er sich nicht wohl fühle und lieber zuhause bleiben wolle. So blieben wir dann in Erfenbach. Am Abend habe ich dann im Fernsehen die schrecklichen Bilder gesehen. Ich war richtig erleichtert, dass wir nicht dabei waren. Am nächsten Morgen hatten wir Schule, die Biologie-Lehrerin fragte, wer denn bei diesem Ereignis dabei gewesen sei. Es meldeten sich zwei bis fünf Schüler. An zwei erinnere ich mich noch sehr genau. Die Lehrerin stellte es diesen Schülern frei, ob sie nach Hause gehen wollten. Die Schüler blieben. Ich habe die Schüler nie angesprochen, wie sie diesen Tag erlebt haben, man weiß ja nie, wie tief und schmerzhaft das war.

Gott sei Dank kam eine Migräneattacke

Günther Müller-Krampitz

aus Kaiserslautern hat den Tag des Unglücks so erlebt: An dem betreffenden Tag arbeitete ich noch morgens in meinem Büro am Schillerplatz. Eigentlich plante ich danach in der Gaustraße in einem Restaurant zu essen. Mein Studienfreund Ralf rief mich an und fragte, ob wir nicht spontan auf die Flugschau nach Ramstein fahren? Eigentlich hatte ich keine Lust, aber er hatte ein gutes Talent – das der Überredungskunst. Wir planten eigentlich, uns dann dort länger aufzuhalten, aber dank einer Migräneattacke (ich sage wirklich danke zu der Migräneattacke) verließen wir die Air Base schon früh. Als ich dann am Abend in der Landesschau die Bilder sah, lief es mir eiskalt über den Rücken, denn fast genau an dem Ort, wo das Flugzeug einschlug, befanden wir uns wenige Stunden zuvor. Der Plan war zuerst, den ganzen Tag dort zu verbringen! Der Rest ist Geschichte. Walter Schöfer aus Kaiserslautern bangte um seinen Stiefsohn, der am Ende wohlbehalten zu Hause ankam: Damals hörte ich im Radio SWF 3 von dem Unglück in Ramstein. Mein Stiefsohn Hans wollte an diesem Tag mit dem Fahrrad und einem Freund auf die Flugschau. Ich war nervlich am Ende. Um 21.30 Uhr stand er vor unserer Tür. Alles in Ordnung, er hatte zwar alles mitangesehen, aber ihm war nichts geschehen. Er konnte mich nicht anrufen, da auf dem Heimweg an allen Telefonzellen lange Schlangen standen. Dennoch, meine ersten grauen Haare muss ich an diesem Tag bekommen haben.

"Ein Flugtagsfest gibt es immer wieder"

Am 28. August 1988 wurde ich zum zweiten Mal geboren, sagt Klaus Hellriegel aus Kaiserslautern: Als begeisterter Modellflieger haben mich Flugzeuge schon immer fasziniert, so dass ich bei fast jeder Air-Show in Ramstein mit meiner Familie zugegen war. An diesem verhängnisvollen 28. August 1988 wollte aber meine Frau lieber auf ein gleichzeitig stattfindendes Feuerwehrfest gehen und hat mir den Vorschlag gemacht, dass ich diesmal alleine nach Ramstein fahren sollte. Doch eine innere Stimme hat mir gesagt, geh mit deiner Familie zu dem Feuerwehrfest, denn ein Flugtagsfest gibt es immer wieder. Durch diesen Entschluss ist meiner Familie wahrscheinlich viel Elend erspart geblieben und ich habe vermutlich meinen zweiten Geburtstag erlebt. Denn in diesem Bereich, wo sich die Katastrophe abgespielt hat, war ursprünglich immer mein Standplatz. Auch die Kaiserslauterer Alexandra Schröder und Jürgen Schäfer sind eher zufällig der Katastrophe entgangen: Damals wohnten wir noch in Landstuhl und ich wollte mit meiner Cousine Alex nach Ramstein trampen. Zum Glück hielt niemand an, denn dadurch wurden wir vielleicht gerettet. Auf halbem Weg zur Air Base rasten Feuerwehr, Polizei, Krankenwagen sowie amerikanische MP an uns vorbei. Ein älteres Ehepaar, das uns entgegen kam, meinte, wir sollten schnell nach Hause gehen, da sei was Furchtbares passiert. In unserer Fantasie spielten wir verrückt. Wir dachten an Sabotageakte, KGB, Stasi, die RAF oder dass der Kalte Krieg nun tatsächlich heiß wird. Es gab ja damals noch keine Handys oder sozialen Netzwerke zum Austausch von Informationen. Auch an einen Unfall mit ABC-Waffen dachten wir. All diese Dinge waren ja damals noch im Bereich des Möglichen und konnten Realität werden. Daheim sahen wir dann im Fernsehen auf allen Programmen, was wirklich passiert war. Ein unermessliches Unglück mit vielen Toten und Verletzten. An all diese menschlichen Tragödien denken wir noch heute. Danach war auch die Offenheit des US-Militärs nie mehr so wie zuvor. Keine Tage der offenen Tür mehr in Ramstein oder den Deutsch-Amerikanischen Karneval auf der Vogelweh. Eigentlich bedauerlich. Aber menschlich verständlich.

Glückliche Schicksalsfügung

Thorsten Brendel

aus Battweiler war vor Ort und ist gerade noch einmal davon gekommen: Am 28. August 1988 war ich als 18-Jähriger mit meinem Schulfreund in Ramstein. Wir fuhren in dem alten Ford Fiesta meiner Mutter zum Flugtag. Ich kann mich sehr gut an den Zusammenstoß und an die folgenden Stunden erinnern. Ich selber wurde von einem umherfliegenden, heißen Metallteil an der rechten Schulter verletzt und wurde vor Ort ärztlich versorgt. Und drei Monate später noch einmal operiert, weil die Wunde nicht sauber verheilte. Meinen Freund habe ich erst am Auto wieder getroffen. Er war unverletzt. Schlimm für uns selber war auch, dass wir keinerlei Informationen an unsere Eltern schicken konnten. Vor den wenigen Telefonzellen standen Menschenschlangen. Smartphones gab es noch nicht. Als ich dann endlich Stunden später zu Hause war, gab es von allen Seiten Tränen der Erleichterung. Meine Mutter und meine Großeltern hatten ja alles im Fernsehen mitverfolgt. Durch einen Zufall war Elisabeth Dillenkofer bei einem Fußballspiel ihres Sohnes statt in Ramstein: Der Besuch des Flugtags am 28. August 1988 war für uns fester Bestandteil. Am Morgen des besagten Tages erhielten wir aber einen Anruf vom Fußballtrainer unseres älteren Sohnes (damals zehn Jahre alt). Durch den Ausfall eines Spielers hatte er die Chance, in der Mannschaft einer höheren Altersklasse mitzuspielen, was er mit Freude annahm. Bei der Rückfahrt vom Fußballspiel hörten wir im Dansenberger Wald einen bis dahin unerklärlichen, extrem lauten Knall! In den nächsten Nachrichten hörten wir von dem schrecklichen Geschehen. Wir hätten dort sicherlich nicht in der letzten Zuschauerreihe gestanden! An jedem Jahrestag der Katastrophe denken wir voller Dankbarkeit an die glückliche Schicksalsfügung!

"Nur eine Frage der Zeit, wann etwas passieren würde"

Heinrich Rudolphi

aus Ramstein-Miesenbach schildert, wie er dieses schreckliche Ereignis erlebt hat: Etwa knapp drei Kilometer vom Tower des Flugplatzes Ramstein wohnend, machte ich es mir an jenem 28. August 1988 in unserem Garten gemütlich, um von dort aus das Spektakel der Flugschau am Himmel zu verfolgen. Mit meinem Kofferradio aus den 1950-er Jahren konnte ich den Polizeifunk abhören und bekam so mit, wie die deutschen Beamten den Verkehr zu diesem Ereignis regelten.Es war gegen 15.45 Uhr, als in der Funkkonferenz plötzlich ein Aufschrei ertönte mit der Meldung, ein Flugzeug sei brennend in eine Zuschauermenge hineingestürzt. Vermutlich war ich so einer der ersten Ohrenzeugen dieses Infernos außerhalb der Air Base geworden. Schwarzer Rauch stieg auf und ließ für Außenstehende etwas Schlimmes erahnen. Es dauerte auch nicht lange, bis das Sirenengeheul mehrerer Feuerwehr- und Polizei-Fahrzeuge einsetzte, das bis in die späten Abendstunden hinein nicht verstummte. Meine Frau, die den „Erlebnistag Deutsche Weinstraße“ besuchte, musste weite Umwege in Kauf nehmen, um nach Hause kommen zu können. Eine unserer Töchter hatte sich mit Freunden zur Aussichtsplattform nahe der Landstuhler Burg begeben, um von dort die Flugschau besser sehen zu können. Den Moment des Zusammenstoßes in der Luft habe sie als Blitz wahrgenommen, dem ein Feuerball und schwarzer Rauch folgten. Ein Arbeitskollege von mir aus Norddeutschland, der erst im Frühjahr 1988 in unsere Firma eingetreten war, hatte sich sehr auf den Besuch des Flugtages gefreut. Doch als er am Tag darauf zum Dienst erschien, wirkte er regelrecht „gedatscht“ (niedergeschlagen) und sagte, es sei ein Wunder, dass er noch lebe. Er habe eine Zeit lang direkt dort in der Menschenmenge gestanden, wo dann das brennende Flugzeug hineingestürzt sei. Irgendwann habe er ein mulmiges Gefühl bekommen und eine innere Stimme habe ihm gesagt: „Du musst hier weg, schleunigst weg, da passiert gleich ein Unglück.“ Daraufhin sei er sofort losgerannt und einige Sekunden später habe es dann auch schon gekracht. Metallteile und andere Fetzen seien ihm um die Ohren geflogen, hätten ihn aber glücklicherweise nicht getroffen. Noch nie in seinem Leben sei er so schnell gerannt wie in diesem Fall. Seinem Schutzengel schulde er Dank, unversehrt geblieben zu sein. Ich selbst habe eine Flugschau auf der Ramsteiner Air Base nur einmal in den 1960-er Jahren besucht: Ich stand damals am Rande der Rollbahn, als ein Düsenjet schätzungsweise nur etwa zwei bis drei Meter über der Rollbahn kopfüber an uns vorbeidonnerte, was mir einen gehörigen Schrecken einjagte. Da habe ich mir geschworen, mich nie wieder während einer Flugschau auf dem Flugplatz aufzuhalten, denn für mich war es nur eine Frage der Zeit, wann bei einem solchen Spektakel ein schreckliches Unglück passieren würde. Ruth Schulze hat ihrem damals vierjährigen Sohn zu verdanken, dass sie nicht am Unglücksort war: Uns, den Großeltern, meinem Ehemann und mir, hat unser Sohn, damals viereinhalb Jahre, Gesundheit oder mehr gerettet. Wir standen genau, wo später das Unglück geschah. Mein Sohn, damals sehr geräuschempfindlich, hielt sich die Ohren zu und quengelte. Daraufhin gingen wir weiter weg, besichtigten die Galaxie. Unser Glück!

"Sekunden später ein Feuerball"

Josefa Becker

aus Kindsbach hat noch heute Gänsehaut und Mitgefühl, wenn sie an das Flugtag-Unglück denkt: Es war Kindsbacher Kerwe. Wir saßen mit einem Fässchen Bier auf dem Balkon. Wir wollten diese Vorführung gegen 15.45 Uhr sehen, dann sollte es Kuchen und Kaffee geben. Ein Flugzeug flog recht tief über unser Haus auf die Formation zu. Sekunden später ein Feuerball. Wir waren alle entsetzt und im Moment sprachlos. Jemand sagte: Das war bestimmt ein Gag – das gehört zur Show. Im Dorf war es geisterhaft ruhig! Wir wohnen nahe der Kaiserstraße. Es fuhr kein Auto, kein Vogel sang beziehungsweise flog durch die Luft. Es war eine unheimliche Stille! Natürlich zogen wir in Erwägung, dass doch genau dort, wo das Flugzeug hinter den Bäumen abstürzte, auch viele Menschen die Flugschau beobachten. Dann flogen in kürzester Zeit etliche Hubschrauber vom Kirchberg hin und her und Lastwagen mit Verletzten fuhren vorbei. Die Nachrichten gaben uns schließlich die schreckliche Gewissheit, was passiert ist. Anrufe von Verwandten aus Amerika und aus dem Schwarzwald gingen bei uns ein und sie erkundigten sich nach unserem Befinden. Was uns alle bis heute beschäftigt ist, dass es 70 deutsche Tote gegeben hat, aber wie viele Amerikaner es das Leben gekostet hat, hat man nie erfahren. Jedenfalls reden wir auch heute noch über das unfassbare Unglück, nicht nur wenn sich der Jahrestag nähert. Immer noch mit Gänsehaut und Mitgefühl.

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Die Katastrophe begann mit der fehlgeschlagenen Flugformation »Das durchstoßene Herz« der italienischen Fliegerstaffel Frecce Tricolori. Drei Flugzeuge stießen zusammen. Der Solopilot stürzte mit seinem Jet in die Zuschauer.
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