Rheinland-Pfalz Neuhofen: Eldorado für Narren

Jürgen Breunig mitten der Kostümwelt seines Ladens. Seit Mitte Oktober hat das närrische Einkaufsparadies fünfmal die Woche geöf
Jürgen Breunig mitten der Kostümwelt seines Ladens. Seit Mitte Oktober hat das närrische Einkaufsparadies fünfmal die Woche geöffnet. Am Fasnachtsdienstag um 12 Uhr ist Schluss, danach kommt man nur noch nach telefonischer Vereinbarung ins Geschäft – bis zur nächsten Kampagne.

«Neuhofen». Wer sich in diesen Tagen durch Breunigs Fasnachtsladen kämpft, braucht eiserne Nerven. Und Platzangst darf auch kein Thema sein. Das Haus in der Schafgasse, in dem rund 13.000 Kostüme auf Käufer warten, ist winzig. Auf drei Etagen, in sechs schmalen Räumen, bauschen sich kunterbunte Röcke, stapeln sich Hüte, Nasen, Bärte und Perücken. Zwischen Ludwigshafen und Speyer, in der Gemeinde Neuhofen, liegt ein Dorado für Narren.

Direkt hinter der Eingangstür bewacht Jürgen Breunig die Kasse. Der 74-Jährige ist längst im Ruhestand, doch der Laden seiner Frau Doris hält ihn jung. „Wenn ich aufhöre“, sagt er, „falle ich um. Ich brauche den Trubel.“ Zeit zum Luftholen bleibt derzeit kaum. Abends sind die Breunigs fix und fertig, aber sie freuen sich über jeden, den sie für Fasching passend einkleiden konnten. Jürgen Breunig ist der Kopf des Unternehmens. Wer etwas Bestimmtes sucht, fragt den Chef. Er kennt den Lagerbestand und kümmert sich um den Onlinehandel. Außerdem ist er ein leidenschaftlicher Fasnachter. Breunig lebt zwar schon seit 1972 in Neuhofen, doch während der tollen Tage zieht es ihn zurück in seine alte Heimat – hinüber ins badische Ilvesheim. Dort ist er seit 50 Jahren aktiv im Karnevalverein Insulana. Breunigs bis unters Dach vollgestopfter Fasnachtsladen ist für viele Kult. Man kann ihn lieben oder hassen. Eine Kundin ächzt, stiert auf die langen Reihen voller Tüll, Gaze und Pailletten. „Nichts für mich“, sagt sie. „Diese Reizüberflutung!“ In der Tat. Es gibt nichts, was es nicht gibt. Hier grinsen schlaffe Neandertaler. Dort stieren fies aussehende Gorillas Löcher in die Wand. Zylinder lehnen sich an Hexenhüte, Glitzerkappen konkurrieren mit Federschmuck. Ein junger Mann im Kapuzenpulli stülpt sich eine Froschmaske aus Latex über den Kopf. „Sensationell“, dringt seine Stimme dumpf nach außen. Aber dann ist es ihm doch zu stickig und zu eng, um darin zu feiern. „Schade“, sagt er: „Da schwitzt man sich kaputt.“ Mit seinem Kumpel entschwindet er nach oben ins Gruselkabinett. Unter der niedrigen Decke schweben Fledermäuse und schwarz behaarte Riesenspinnen. Skelette baumeln neben Knoblauchketten. Sägen, Pflöcke und Hämmer ergänzen das mörderische Angebot. Selbst ein Grabstein aus Plastik wartet auf einen Abnehmer. An einem Ständer hängen Vampirumhänge, knallrote Corsagen und schwarze Tüllröcke. Die passenden Zähne liegen luftdicht verpackt im Erdgeschoss. Wer es blutrünstig mag, kann sich auch noch mit selbstklebenden Narben und unappetitlichen Fleischwunden versorgen. Paul stürmt in die Kinderabteilung. Er kommt jedes Jahr her. Diesmal sucht er eine Polizeiuniform. Seine Mutter bringt ihm eine kugelsichere Weste, die täuschend echt aussieht. Zwischen den Kleiderständern ist es eng. Man kann sich gerade so aneinander vorbeiquetschen. „Früher war es schlimmer“, erzählt die Neuhofenerin. „Da gab es nur das Erdgeschoss, in dem sich die Leute drängelten.“ Ganz oben hält Jana die Stellung. Die 18-jährige Enkelin der Breunigs hilft in ihrer Freizeit. Sie berät die Kunden und passt auf, dass nichts gestohlen wird. „Größere Taschen und Rucksäcke müssen unten abgegeben werden“, sagt sie. Dies sei leider notwendig: „Gerade kleinere Sachen wie Schminke und Schmuck rutschen schnell mal unbezahlt in die Tasche.“ Jetzt in der Hochsaison bis einschließlich Fasnachtsdienstag wird im Laden jede Hand gebraucht. Jana Breunig ist mit dem närrischen Zubehör aufgewachsen. Der Funke ist allerdings nicht übergesprungen. Früher habe sie die Faschingszeit spannender gefunden, erzählt sie. „Meine Brüder und ich, wir hatten immer die tollsten Verkleidungen.“ Doris Breunig verschnauft kurz auf einem Stuhl, während sich ihr Mann um die Schlange an der Kasse kümmert. Zwischendurch beantwortet er Fragen, kramt in Schubladen. Zu ihrem Fasnachtsladen seien sie gekommen wie die Jungfrau zum Kind, sagt Jürgen Breunig. 1975 habe er Folie produziert und Feuerwerk verkauft. „In den Katalogen wurde auch eine Kinderpistole angeboten mit Cowboyweste und Hut. So etwas wollten auch Erwachsene haben. Und zack waren wir im Fasnachtsgeschäft.“ Seit über 20 Jahren besteht der ungewöhnliche Laden inzwischen. Die Faschingssaison beginnt in Neuhofen schon im August, wenn die Vereine ihre Stoffe und Kostüme bestellen. Kleider und Stiefel für die Gardemädchen, raffinierte Fummel fürs Männerballett, glitzernde Fräcke für den Damen-Elferrat. Breunig ist stolz, dass er die meisten Wünsche erfüllen kann. Viele Standardmodelle hat er in rauen Mengen – vor allem beliebte Kostüme wie die braunen Mönchskutten. Bis Größe 64 kann er liefern. Das Preisniveau ist unterschiedlich. Kleidchen oder Kutten bekommt man schon für 25 Euro, aufwendigere Kostüme sind teurer. Auch für venezianische Masken muss mehr Geld auf den Tisch gelegt werden. Die Kundschaft reist laut Breunig aus einem Umkreis von 200 Kilometern an. Einen Amerikaner auf der Durchreise hat der Fasnachter so mit seiner Begeisterung angesteckt, dass der in Arizona einen Karnevalsclub gründete … Info www.ffs-breunig.de

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