Rheinland-Pfalz „Lügen wir uns nichts vor“

Italienische Stoffe, indische Seide, genäht wird in Mainz: Modedesignerin Anja Gockel in ihrem Atelier.
Italienische Stoffe, indische Seide, genäht wird in Mainz: Modedesignerin Anja Gockel in ihrem Atelier.

«MAINZ.»Dass teuer allein kein Qualitätsmerkmal ist, weiß Anja Gockel. „Auch Prada lässt in Asien produzieren“, sagt sie und meint damit die Luxusmarke, deren Arbeiterinnen für wenig Geld überlang an der Nähmaschine sitzen, während das Unternehmen kassiert. Die hochgewachsene Frau, 2017 Designerin des Jahres, will ihre Damenmode nicht unter diesen Bedingungen herstellen, sondern ordentliche Löhne zahlen und möglichst ökologisch arbeiten – die Farben für ihre italienischen Stoffe kommen alle aus der Schweiz. Dafür kostet ein Gockel-Shirt mit rotem Firmenlogo 39 Euro und nicht 3,99 – das günstigste Stück in ihrer Kollektion. Abendkleider kosten bis zu 1500 Euro. Ihren Stil mögen Schauspielerin Gwyneth Paltrow, Model Nadia Auermann oder die TV-Journalistin Marietta Slomka. Vor 15 Jahren hat sich Queen Elisabeth Gockels Kreationen zeigen lassen. Die Designerin ist spät dran an diesem Morgen. Ihr 16-jähriger Sohn, eines von vier Kindern, ist krank. Sie schwingt die Glastür zu ihrer Atelier-Boutique in Mainz auf. Ein Lächeln, sie knetet die feuchten Locken. Kräftiger Händedruck. Sie plaudert kurz in der Kaffeeküche, ein Espresso geht noch. Anja Gockel lässt sich in den Sessel im Verkaufsraum fallen und schlägt die Beine in der Jeans-Schlaghose übereinander. Der rote Teppich für die Modenschau am nächsten Tag ist ausgerollt bis in den Schneider- und Nähraum nebenan. Trotzdem nimmt sie sich Zeit. Mode bedeutet für sie auch Mission. Und die muss frau erst mal erklären. „Lügen wir uns doch nichts vor, T-Shirts für vier Euro – das funktioniert nicht“, sagt sie. Die Geiz-ist-Geil-Mentalität sei tief verwurzelt. Kleiderkauf hat für Gockel, die 2018 Design-Botschafterin des Netzwerks Deutscher Model- und Textil-Designer war, dagegen etwas mit Moral und Haltung zu tun – und nur bedingt mit dem Geldbeutel. „Wenn einer mit Hartz-IV zu Kik geht, nehme ich ihm das nicht übel.“ Alle anderen aber könnten umschwenken auf „Werte sind geil“. Statt 20 T-Shirts nur zwei – so einfach sei dies. Das koste am Ende dasselbe. Die Mainzerin kauft für sich selbst im Jahr 20 Kleidungsstücke – etwa ein Drittel dessen, was die Deutschen im Schnitt neu in ihren Schrank stecken. „Und was ich aussortiere, verschenke ich.“ Vieles trage sie lange, sagt Gockel. So wie ihren schwarzen Kaschmirschal. Ihr oranges Oberteil ist an der Ärmelunterseite grau. Vor mehr als 20 Jahren hat Gockel ihr eigenes Label in London gegründet, sie produziert keine Massen: nur etwa 6000 bis 10.000 Kleidungsstücke mit dem roten Hahnenkamm-Signet entstehen jährlich – mit denen macht sie eigenen Angaben zufolge eine Million Euro Umsatz. Genäht werden die auffällig farbenfrohen Kleider, Jacken und Blusen von vier Frauen im Mainzer Atelier, dazu kommen 15 Näherinnen eines „Zwischenmeister“ genannten Subunternehmers – auch sie sitzen in Deutschland. „Bei Tageslicht, Acht-Stunden-Tagen und für 15 Euro pro Stunde“, sagt sie – anders als die „modernen Sklaven“ in Asien oder auch an manchen Orten Italiens. Nur vor der Präsentation der neuen Kollektion werde es mal eine Stunde mehr. Auch ihre Mode hat größtenteils ihren Ausgang in China und Indien, klassische Billiglohnländer – dort kommt die Rohseide her. Neben Baumwolle und Leinen einer ihrer Hauptrohstoffe: „Seidenraupen leben nun einmal dort.“ Von dort bezieht etwa ihr Großlieferant in Como das Material. In dem norditalienischen, für seine Spinnereien berühmten Ort erfolgt der Farbaufdruck. Kann sie damit sicher sein, dass ihre Ware ethisch besser ist als bei Kik oder Prada? Von den Lieferanten in China und Indien kennt sie nur Fotos der Produktionsanlagen. Dass die nicht die ganze Wahrheit sein müssen, weiß natürlich auch Gockel. „Ja, dort war ich noch nicht“, sagt die Geschäftsfrau, „aber in Italien“. Ihre italienischen, spanischen und englischen Stoffverkäufer bescheinigten ihr schriftlich, dass weder Näherinnen noch Natur ausgebeutet würden. Auch der Preis von rund 40 Euro pro Meter Stoff, den sie bezahle, zeuge davon. Bei dem Produzenten in Como handle es sich zudem um ein von Generation zu Generation weitergegebenes kleines Familienunternehmen. Könnte die Mafia dort ihre Hand im Spiel haben? Anja Gockel lacht und winkt ab. „Da ist für die Mafia zu wenig drin.“ Italienisch spricht die 50-Jährige schon lange. Als Stipendiatin war sie in dem südeuropäischen Land, wo sie ihren Arbeitgeber mit stilisierten Kreisen für ein Muster überzeugte. Danach hatte die „bella bionda“ – die schöne Blonde – Narrenfreiheit. Ihr Weg in die Modewelt schien anfangs alles andere als vorgezeichnet, es hätte auch Medizin werden können. Mit Skizzen von Korbflaschen und Rollschuhen ergatterte die leidenschaftliche Zeichnerin dann einen von 20 Studienplätzen an der Fachhochschule für Kunst und Design in Hamburg. Als knallharte Mode-Missionarin versteht sie sich aber nicht. Auch bei ihr zu Hause gibt es die Billigkäufer neben denen, die sich Stiefeletten für 400 Euro leisten: so wie sie, in der Hoffnung, in Qualität investiert zu haben. Ihr Sohn ist für Marken-Shirts und gegen Rabattschlachten, während es die zwölfjährige Tochter auch mal zu H&M zieht. „Mit ihrem Taschengeld“, sagt die Mama, „aber ich geh da nicht rein“.

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