Politik Leitartikel: Zum Erfolg verdammt

Hundert Tage nach ihrem Start ist die Mainzer-Ampel-Koalition weitgehend gelähmt vom Debakel beim Hahnverkauf. Malu Dreyer kommt zunehmend unter Erfolgszwang. Die Koalitionspartner werden Murks am Hunsrück-Flughafen nicht ewig mittragen.

Für die rheinland-pfälzischen Sozialdemokraten war die Zeit nach der Landtagswahl im März eine wunderbare Zeit: Ihre Spitzenkandidatin Malu Dreyer hatte ihre schon siegesgewisse CDU-Kontrahentin Julia Klöckner im Endspurt des Wahlkampfs abgehängt und galt fast schon als neue Lichtgestalt der Sozialdemokratie. Dreyer gelang es, FDP und Grüne gemeinsam an den Tisch zu holen und erstaunlich schnell und geräuschlos eine Ampel-Koalition zu schmieden. Diese Konstellation eröffnete der SPD Machtoptionen über das nächste Wahljahr 2021 hinaus und damit die Chance, in ein viertes Jahrzehnt ununterbrochener Regierungsverantwortung im Land zu starten. Schöner hätten die Aussichten nicht sein können, doch es kam anders. Ob es Leichtsinn war oder Überforderung: Beim Versuch, den chronisch defizitären Flughafen Hahn zu verkaufen, ist die Landesregierung nach Lage der Dinge Blendern auf den Leim gegangen. Sieht man von den Zusatzkosten für den Verkaufsprozess ab, ist bisher zwar noch kein messbarer finanzieller Schaden entstanden, doch der Imageverlust ist immens – fürs Land und vor allem für dessen Regierung. Seit Wochen bestimmt das Debakel die landespolitische Agenda fast allein. Die Koalition musste einen Misstrauensantrag gegen die Ministerpräsidentin abschmettern. Noch geht das Desaster vor allem mit der SPD und deren Innenminister Lewentz heim, aber das Vertrauen in die gesamte Ampel-Koalition ist erschüttert. Vor diesem Hintergrund fällt die gestern vorgetragene 100-Tage-Bilanz des Dreierbündnisses bescheiden aus. Man hält sich vor allem zugute, hervorragend zusammenzuarbeiten. SPD, FDP und Grüne kommen bisher prima miteinander aus. Noch bis zum Frühjahr waren sich Liberale und Grüne wenig grün. Es ist die Erkenntnis gereift, dass in einem Parlament, das möglicherweise auch in Zukunft eine Handvoll Fraktionen haben wird, für überkommenes Lagerdenken kein Platz mehr ist. Bündnisse aus mehreren Parteien werden künftig eher die Regel sein. Wenn die Ampel das erfolgreich übt, ist es gut für das Land. Inhaltlich hat die Koalition noch nicht viel gepackt. Beispiel Digitalisierung: Sie ist eine wichtige Aufgabe für alle Ressorts, die über die gesamte Wahlperiode reicht. Doch es ist noch ein weiter Weg, und Ideen sind allenfalls in Ansätzen zu erkennen. Beispiel Schulen: Die Regierung stellt 270 neue Lehrer ein. Ob das genug ist für die versprochene Senkung des Unterrichtsausfalls, muss sich zeigen. Die Grünen bemühen sich, als Unterstützer des Widerstands gegen belgische Atommeiler Aufmerksamkeit zu finden. Sie sind zuständig dafür, die Zuwanderung zu managen, um die es inzwischen etwas stiller geworden ist. Die FDP versucht, als Partei des Straßenbaus, des Mittelstands oder des Handwerks zu punkten. Ob die Ampel aus ihrem Tief der ersten 100 Tage herauskommt, wird sich beim Thema Hahn entscheiden. Offenbar war auch Dreyer nicht unbeteiligt an den bisherigen Fehlentscheidungen. Für sie wird es immer schwerer, mit den Fingern nur auf andere zu zeigen. Ihr Innenminister ist Minister auf Bewährung. Er ist aber auch SPD-Landesvorsitzender, was die Partei noch vor eine Zerreißprobe stellen könnte. Die Koalitionspartner haben derzeit noch keinerlei Interesse, Neuwahlen zu riskieren, aber sie werden Murks am Hahn nicht ewig mittragen. Deshalb hat Dreyer nach den ersten 100 Tagen keine Wahl: Für den Hahn muss rasch eine ordentliche Lösung her, ob mit oder ohne Käufer, ob mit oder ohne Zukunft als reiner Flughafen.

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