Rheinland-Pfalz Landau: Professorin beklagt Lehrermangel an Grundschulen

Lehramtstudentinnen bei einem Seminar an der Universität Landau.
Lehramtstudentinnen bei einem Seminar an der Universität Landau.

«Landau.»Am Lehrermangel in Grundschulen wird sich nichts ändern, wenn in Rheinland-Pfalz nicht umgedacht wird. Diese Ansicht vertritt Anja Wildemann, Professorin an der Universität Koblenz-Landau. Mit der Dekanin des Fachbereichs Erziehungswissenschaften sprach Petra Depper-Koch über falsche Signale der Bildungspolitik und Möglichkeiten, die Grund- und Förderschulen zu entlasten.

Frau Wildemann, Sie sind Professorin für Grundschulpädagogik in Landau und hadern mit der Bildungspolitik der Landesregierung. Warum?

Ich ärgere mich über das, was derzeit in Rheinland-Pfalz geschieht. Wenn das Bildungsministerium behauptet, dass die Lage an allen Schulen gut sei, ist das ein Trugschluss. In den Grund- und Förderschulen gibt es einen Riesenbedarf an Lehrern – jetzt und in der Zukunft. Gleichzeitig wandern viele junge Lehrerinnen und Lehrer in benachbarte Bundesländer ab. Woran liegt das? In Rheinland-Pfalz werden junge Lehrerinnen oft zunächst vor allem als Vertretungslehrkräfte eingestellt. Kein Wunder, dass die jungen Leute dorthin abwandern, wo sie einen festen Vertrag bekommen und verbeamtet werden. Wir bilden also reihenweise für andere Bundesländer aus, und bei uns fällt dann der Unterricht aus oder wird von Studierenden, sogenannten PES-Kräften gestemmt. Ich sehe es äußerst kritisch, wenn Lehrkräfte ohne qualifizierten Abschluss, Kinder unterrichten. Sprechen Sie von Quereinsteigern, die aus anderen Berufen kommen? Ja. Ich wehre mich gegen den Vorschlag, nichtqualifizierte Personen in Crashkursen – in Berlin umfassen die genau sieben Tage – fürs Unterrichten fit zu machen. Solche abstrusen Ideen degradieren den Berufsstand. Die Aussage, die dahinter steckt: An Grundschulen kann jeder unterrichten, der selbst zur Schule gegangen ist. Unterricht funktioniert aber nicht ohne gut ausgebildete Lehrkräfte. Was wird bei der Ausbildung zum Grundschullehrer vermittelt? Professionalität. Sie umfasst Fachwissen, didaktisches Wissen und Diagnosekompetenzen. In den vergangenen zehn Jahren hat sich an den Grundschulen sehr viel verändert. Fachliche Expertise wird immer wichtiger. Die Eltern melden sich beim Thema Unterrichtsausfall kaum zu Wort. Woran liegt das? Mich wundert auch, dass die Reaktion so verhalten ist. Das gilt übrigens auch für die Hochschulen. Die Studierenden lassen sich von den Schulen ausnutzen und leisten während der Ausbildung zum Teil hohe Stundenzahlen, ohne fachliche Betreuung. Ich halte nichts davon, dass sie schon so früh alleinverantwortlich unterrichten, denn sie sind noch Lernende. Wo sehen Sie die größten Probleme in den Grundschulen? Die Anzahl der Schüler nimmt aus verschiedenen Gründen zu und wird auch in den nächsten Jahren weiter steigen. Wenn das Land darauf nicht reagiert, fragt man sich, ob es beim Unterricht nur noch um eine Notversorgung geht oder ob auch die Qualität der Bildung wichtig ist. Die Grundschulen sollen die Kinder auf die weiterführenden Schulen vorbereiten. Da wäre eine reine Notversorgung doch fatal? Allerdings. Ich bin selbst ausgebildete Lehrerin. Seit 2011 arbeite ich an der Uni Landau und bin seit Februar Dekanin. Als Professorin für Grundschulpädagogik habe ich auch einen Einblick in die Sonderpädagogik und kenne die Probleme hier wie dort, Es geht doch darum, wie gut man mit den Kindern arbeiten kann. Grundschullehrer brauchen Zeit. Sie sollen doch nicht nur schwächere Kinder fördern, sondern sich auch um die besonders Begabten kümmern, eben um alle Kinder. Werden an den Hochschulen überhaupt genügend Lehrer ausgebildet? In Landau haben wir sehr hohe Studierendenzahlen. Pro Jahr werden 340 Studienanfänger zugelassen. Im Wintersemester haben wir steigende Zahlen im Grundschulbereich. Nach acht Semestern haben wir eine große Kohorte gut ausgebildeter Lehrkräfte. Ich sehe aber auch, dass unsere Absolventen häufig schon vor dem Vorbereitungsdienst in angrenzende Bundesländer wechseln, weil sie dort nach diesem Dienst sofort Planstellen bekommen. Eine Vertretungsstelle bringt aber Berufsanfänger definitiv in eine prekäre Lage, weil es ungewiss ist, wie und wo es nach einem Zeitvertrag weitergeht. Ist auch die Besoldung ein Problem? Natürlich. Gute Leute wandern dahin ab, wo sie besser bezahlt werden. Beispielsweise nach Nordrhein-Westfalen. Rheinland-Pfalz kann sich ja leider nicht dazu durchringen, Grundschullehrer höher zu besolden. Das Land muss sich aber mit dem Thema auseinandersetzen, um für junge Leute attraktiv zu bleiben und sie hier in der Region zu halten. Wenn immer mehr Kinder eingeschult werden und Lehrermangel an den Grundschulen herrscht, kann dann nicht an den weiterführenden Schulen nachgesteuert werden? Die entscheidende Schere, wohin der Bildungsweg führt, geht früh auf. Meiner Meinung nach müssen Grundschulen mehr Möglichkeiten bekommen, zu reagieren. Derzeit ist der Handlungsspielraum der Lehrer stark eingeschränkt, während die Aufgaben immer mehr werden. Es fehlt an Zeit und Ressourcen. Machen Sie sich Sorgen um die Lehrerausbildung? Ja. Ich befürchte einen Ausverkauf. Seiteneinsteiger können das Problem an den Grundschulen nicht lösen. Ein Germanist hat ein gewisses Fachwissen, aber keine Ahnung von Grundschulpädagogik. Passende Lernangebote gibt es nicht. Ich halte auch nichts davon, Gymnasiallehrer an Grundschulen zu schicken. Die Ausbildungsunterschiede sind zu groß. Was ist bei der Grundschulpädagogik so entscheidend? Erstens die Diagnose. Der Lehrer muss das Kind und seine Leistungen gezielt unter die Lupe nehmen, um zu erkennen, wie es am besten lernen kann. Zweitens die fachliche und fachdidaktische Ausbildung, um diese Erkenntnisse in eine pädagogische Methode umsetzen zu können. Hinzu kommt die innere Haltung zum Beruf. Glauben Sie, dass die Lehrerausbildung vereinheitlicht werden sollte, um überall unterrichten zu können? Diesen Vorschlag sehe ich ebenfalls kritisch. Ich könnte mir eine Zwischenlösung vorstellen: Die Lehrsamtsausbildung trennen, aber mehr gemeinsame Ausbildungsinhalte schaffen, damit sich die Studenten intensiver austauschen können. Sinnvoll wäre auch, Berufseinsteigern ein Jahr lang Mentoren zur Seite zu stellen, die nicht dem eigenen Kollegium angehören. Dabei könnten sie unter anderem lernen, wie Konflikte in der Klasse zu lösen sind. Im Studium können wir dazu nur die notwendigen Grundlagen legen.

Anja Wildemann sorgt sich um die Qualität der Bildung.
Anja Wildemann sorgt sich um die Qualität der Bildung.
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