Rheinland-Pfalz Landau: Die Muslima und der Mercedes

Dieses Foto, entstanden vor der Landauer Tafel, ist bei Facebook bereits über 32.000-mal geteilt worden.
Dieses Foto, entstanden vor der Landauer Tafel, ist bei Facebook bereits über 32.000-mal geteilt worden.

Ein Foto aus Landau befeuert bei Facebook die rechte Hetze. Nehmen Migranten mit einem dicken Schlitten armen Deutschen die Lebensmittel weg oder ist nur eine deutsche Rentnerin von hilfsbereiten muslimischen Nachbarn zur Tafel gefahren worden? Eine Recherche zeigt: Die Wirklichkeit ist vielschichtig und nicht schwarz oder weiß. Über ein Bild und dessen wahre Geschichte.

Reiche Ausländer plündern die Tafel, nehmen deutschen Bedürftigen das Essen weg. So interpretieren Tausende Nutzer sozialer Netzwerke ein Foto aus Landau. Es geistert seit einer Woche durchs Internet, nicht nur bei Facebook, sondern auch bei vielen Nachrichtenportalen. Es zeigt einen silberfarbenen Mercedes mit unkenntlich gemachtem Nummernschild direkt vorm Eingang der Landauer Tafel. Eine Frau mit Kopftuch steht an der geöffneten Beifahrertür.

Unwahre Geschichte erregt Aufsehen

Gepostet hat das Foto Marco Kurz am Donnerstagabend vergangener Woche mit den Zeilen: „Heute vor der Landauer Tafel. Läuft!“ Kurz ist in der Südpfalz kein Unbekannter. Er teilt auf seiner Facebook-Seite „Merkel muss weg“-Clips, war Versammlungsleiter bei der „Frauenbündnis Kandel“-Demo und hatte für Kandel einen Schweigemarsch angemeldet, an dem auch Vertreter der rechtsextremen Szene teilnahmen. Heute gibt es weitere Demonstrationen in der kleinen südpfälzischen Stadt, in der die 15-jährige Mia von ihrem Ex-Freund, einem Flüchtling aus Afghanistan, getötet wurde. Das Foto und seine angebliche Geschichte wirbelte gehörig Staub auf. Viele andere Medien griffen die Nachricht der RHEINPFALZ auf – von der „Berliner Morgenpost“ über „RTL Online“ bis hin zur „Huffington Post“ und „Frankfurter Rundschau“. Die Story passte bestens in die hysterische Atmosphäre nach dem Beschluss der Tafel in Essen, vorerst nur noch Bedürftige mit deutschem Pass aufzunehmen. Über 32.000-mal wurde das Bild bei Facebook bereits geteilt. Doch spiegelt es nicht das wider, was sein Urheber suggerieren will. Aber auch die Darstellung der Tafel-Verantwortlichen stimmt nicht ganz, wie weitere Recherchen der RHEINPFALZ jetzt ergaben. Die Hilfsorganisation hatte verbreitet, dass eine muslimische Familie aus der Nachbarschaft, die von der Tafel keine Lebensmittel beziehe, mitunter den Fahrdienst für eine hilfsbedürftige deutsche Seniorin übernehme. Einem Leser aus Karlsruhe kam diese Stellungnahme der Tafel komisch vor – und das völlig zurecht. Er war Zeuge der Szene.

Tochter der deutschen Seniorin

„Ich habe dort geparkt“, berichtet Michael Messmer. An jenem Donnerstag gegen 14.30 Uhr sei er beruflich in der Nachbarschaft unterwegs gewesen. Sein Auto, ein weißer Golf, sei auch auf dem Foto zu sehen, direkt vor dem Mercedes. Er habe sich geärgert, dass jemand direkt hinter ihm auf dem Gehweg parke. Also habe er an die Scheibe des Mercedes geklopft und die Fahrerin darauf aufmerksam gemacht, dass sie da nicht so einfach das Auto abstellen dürfe. Die Frau habe ihm geantwortet, dass ihre Mutter nur schnell zur Tafel gehe. Die Fahrerin – auf dem Foto direkt an der Autotür zu sehen – habe zwar ein Kopftuch getragen, aber sehr gut deutsch gesprochen. Der Karlsruher zweifelte daher an der Darstellung der Tafel. Vielmehr habe die Tochter der Seniorin, die von der Tafel als „deutsche Rentnerin“ bezeichnet wird, den Mercedes gefahren. Und das Kopftuch? Möglicherweise sei die Tochter zum islamischen Glauben übergetreten, vermutete der Karlsruher.

Zum Islam konvertiert

Genau so ist es, fand die RHEINPFALZ nun heraus. „Ich habe mit der Seniorin gesprochen“, sagt Kerstin Baudisch, die Vorsitzende des Trägervereins der Tafel. Dabei habe sie zu ihrem Erstaunen erfahren: Die Rentnerin sei vergangene Woche in der Tat von der Tochter zur Tafel gefahren worden – von der Tochter, die ein Kopftuch trägt. „Es klingt unglaubwürdig, ist aber wirklich so“, sagt Baudisch. „Wir sind davon ausgegangen, dass es Nachbarn von der Rentnerin waren. Wir wussten ja nicht, dass die Tochter mit einem Moslem verheiratet und konvertiert ist.“ Die ganze Geschichte sei „so was von schräg“. Baudisch bedauert, dass in der Stellungnahme der Tafel ein kleiner Fehler enthalten war. „Ich muss mich auf das verlassen, was meine Mitarbeiter sagen.“ Sie selbst habe die Info von zwei Helfern erhalten. Gerd Findt ist einer der 45 ehrenamtlichen Helfer und unterstützt seit 15 Jahren die Einrichtung im Süden von Landau. „Die deutsche Rentnerin ist uns bekannt, kommt schon lange zu uns“, sagt Findt, der die Szene mitbekommen hat. Er wisse, dass die alte Frau auch schon mal von ihrer Enkelin zur Essensausgabe gefahren worden sei – „und oft von einer muslimischen Familie“. Weswegen er davon ausgegangen sei, dass die ältere Dame von jener „muslimischen Familie aus der Nachbarschaft“ gebracht worden sei.

Tafel gibt Fehler zu

Doch am Kern der Sache ändert sich laut Baudisch trotz der teilweise unzutreffenden Erklärung nichts: dass die Frau mit Kopftuch keine Kundin der Tafel sei. In der Stellungnahme vom Freitag vergangener Woche heißt es: In vielen Kommentaren werde „ausländischen Mitbürgern unterstellt, die Hilfe der Tafel unberechtigterweise in Anspruch zu nehmen“. Doch „diese Aussage ist falsch“. „Mit dem abgebildeten Auto wird eine (deutsche) Rentnerin abgeholt, die den Weg zur Tafel nicht mehr allein zurücklegen kann.“ „Mir geht es gar nicht so gut“, sagt die betroffene Seniorin im Gespräch mit der RHEINPFALZ. „Ich wohne alleine, habe 803 Euro Rente, bekomme keine Grundsicherung, kein Wohngeld und bezahle 530 Euro Miete – was bleibt da noch übrig?“, fragt die 79-Jährige verzweifelt. Deswegen gehe sie seit rund anderthalb Jahren zur Tafel – auch wenn ihre Kinder der Meinung sind, dass sie das eigentlich nicht nötig habe. Doch sie sieht das anders, will ihren Kindern nicht auf der Tasche liegen. Ihre älteste Tochter sei mit dem Mercedes-Besitzer, einem Algerier, verheiratet. „Der verdient gut, war nie angewiesen auf Geld vom Staat.“ Von ihrer Tochter habe sie erfahren, dass das Foto im Netz verbreitet und von vielen Leuten rassistisch kommentiert wird. Sie fragte sich: „Was ist denn jetzt passiert?“ Da gebe es echt „widerliche Anfeindungen“. Seither könne sie nachts nicht mehr richtig schlafen. Die rechte Hetze werde zwar enden, doch der Vorfall werde sie noch lange verfolgen, sagt die Landauerin. Künftig will sie zu Fuß zur Tafel gehen. „Wenn es geht.“

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