Rheinland-Pfalz Kolumne: Warum sich junge Leute kein „Viertelpfund Hackfleisch“ mehr bestellen können

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Sie ist weiß, klein und eher unscheinbar: unsere neue Butterdose. Seit Weihnachten steht sie häufig auf dem Küchentisch. Ein Geschenk unseres Sohnes, das quasi auftragsgemäß beschert wurde. Denn eine Dose für ein achtel Pfund Butter – das war der Wunsch meiner lieben Frau gewesen. Im Alltag zeigte sich schnell: Für ein achtel Pfund Butter ist in der zierlichen Schale fast zu wenig Platz.

„Das sagt doch kein Mensch“, sagt der Sohn

Ja, man kann natürlich links und rechts vom Butterstück etwas abschaben. Dann passt es. Aber der Anblick von geraden Kanten und glatten Schnittflächen ist dann natürlich gleich von Anfang an dahin. Beschwerden wiegelt der Sohn indes am Telefon ab: „Ein achtel Pfund – das sagt doch kein Mensch.“ Und auch seine Schwester meint bei einem Kurzbesuch zu Hause: „Ich weiß schon, was ein Pfund ist, aber ich denke in Gramm und Kilo.“ „Kann das denn sein?“, grübele ich, der als Kind von seiner Mutter in die Metzgerei geschickt wurde, um ein halbes Pfund Hackfleisch oder ein Viertel Aufschnitt zu besorgen. Und heute noch frage ich beim Bäcker nach einem „Einpfünder“. Ist das altmodisch? Ist das Pfund mittlerweile eine Gewichtseinheit für Senioren? Auch meine Frau protestiert: „Ich mache doch immer Hefeteig von einem Pfund Mehl.“

Auch Schuhbeck und Co. rechnen in Gramm und Kilo

Ein Blick in ein paar unserer Kochbücher stimmt freilich nachdenklich. Egal ob Alfons Schuhbeck („Meine bayerische Küche“), Yotam Ottolenghi („Jerusalem – Das Kochbuch“) oder Sarah Wiener („Das große Kochbuch“) – sie alle verwenden bei ihren Rezepten als Mengenangaben stets Gramm und Kilo. Und das „Klexikon“, ein umfassendes Internet-Nachschlagewerk speziell für Kinder, verrät: „Ein Pfund ist eine alte Maßeinheit für ein Gewicht; früher hat man etwas nicht in Gramm oder in Kilogramm gewogen, sondern in Pfund.“ Seitdem ist unsere kleine Butterdose kein normaler Haushaltsartikel mehr. Sondern ein Mahnmal auf dem Küchentisch – für den Sprachwandel, verlorene Wörter und vergangene Zeiten. Die Frage steht im Raum: Denkt man in Gramm und Kilo präziser als in achtel, viertel und halbe Pfund? Oder sind das eine eben die Zahlenmenschen und die anderen eher die visuellen Typen?

Alte Kochbücher verraten alles über uns

Also dann mal Butter bei die Fische: Vor Jahren hat die Badische Landesbibliothek in Karlsruhe mit einer bemerkenswerten Ausstellung gezeigt, dass historische Kochbücher – gezeigt wurden Ausgaben von 1770 bis 1950 – eine hervorragende Quelle zur Alltags- und Kulturgeschichte sind. Denn sie bezeugen das Aufkommen und Verschwinden bestimmter Speisen und Zutaten. Wann tauchen beispielsweise Tomaten oder Artischocken in den Kochrezepten aus der Pfalz auf? Wann verschwinden Singvögel und Flusskrebse daraus? Anna Bergner, Wirtin und begnadete Küchenmeisterin des 1836 in Bad Dürkheim eröffneten Hotels „Vier Jahreszeiten“, hätte mit den heutigen geschäftstüchtigen TV-Köchen locker mithalten können. Als „schöne Anna“ war sie weit über die Stadt hinaus bekannt. Beeindruckte Zeitgenossen beschrieben sie als „emanzipiert, charismatisch und kultiviert“. Geblieben ist von der schönen Anna ihr „Pfälzer Kochbuch“, das 1858 erschien. Untertitel: „Eine Sammlung von 1002 praktisch bewährten Kochrecepten aller Art, begründet auf 30-jährige Erfahrung – den deutschen Frauen und Töchtern gewidmet.“

Bähhhh: Schildkrötensuppe auf Pfälzer Art

Anna Bergner köchelte freilich damals auch, was heutzutage verpönt oder gar verboten ist: Schildkrötensuppe, Auerhahn und Froschschenkel – alles auf Pfälzer Art. Aber: Bei ihr gab es die Mengenangaben auf das Sechszehntel genau in Pfund. So benötigt man beispielsweise für Bergners „Kalte Pastete von Fasanen und Trüffel“ neben Fleisch und Gemüse auch jeweils 3/4 Pfund Nierenfett und Speck, dazu sechs Pfund Mehl und – welche Wohltat – ein halbes Pfund Butter. „Schon drei viertel acht, ich muss los ins Büro“, ruft meine Frau. An diesem Morgen sitzen wir alleine am Küchentisch. Ansonsten bekämen wir jetzt vielleicht zu hören: „Ich denke in Minuten und Stunden.“ Wie auch immer: In zehn Wochen ist wieder Weihnachten ... In der Kolumne „Am Küchentisch“ schreiben Redakteure des Südwest-Ressorts über die Pfalz, ihr Familienleben und den Redaktionsalltag.

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