Rheinland-Pfalz Kinderarmut ist für Diakonie noch immer ein Thema

Kindererholung des Diakonischen Werks in Ramsen (Donnersbergkreis) im Jahr 1947 – diese Einrichtung war nach dem Zweiten Weltkri
Kindererholung des Diakonischen Werks in Ramsen (Donnersbergkreis) im Jahr 1947 – diese Einrichtung war nach dem Zweiten Weltkrieg in der Pfalz als eines der ersten Kindererholungsheime wieder in Betrieb.

Diakonie ist der soziale Dienst der evangelischen Kirche. Die Anfänge der pfälzischen Diakonie reichen in die Nachkriegszeit zurück.

„Mit hohlen Wangen und aus hungrigen Gesichtern blickten uns die Kindergesichter an, gleichsam als lebendige Anklage gegen das, was die Generation der Erwachsenen angerichtet hatte“ – so ist es nachzulesen in einem Bericht des Evangelischen Hilfswerkes, der die Nachkriegszeit schildert. Das Werk wurde im Juni 1946 von der pfälzischen Landeskirche gegründet, weil es zu handeln galt. Schon recht schnell beginnen die Verantwortlichen damit, Erholungsmaßnahmen für Kinder zu organisieren. „Gesundheitlich gefährdete, unterernährte Schulkinder wurden in 4-wöchigen Erholungskuren aus der häuslichen Not herausgenommen, körperlich-seelisch betreut und mit 3000 Kalorien täglich gespeist“, beschreibt ein Schriftstück aus dieser Zeit das Ziel der Maßnahmen.

Heute ist vieles anders

Heute, mehr als 70 Jahre später, bietet das Diakonische Werk Pfalz immer noch jedes Jahr etwa 250 Kindern die Möglichkeit, mit fast 40 ehrenamtlichen Betreuern Ferien an der Nordsee zu verbringen. Kindern, die in wirtschaftlich und sozial problematischen Verhältnissen aufwachsen, deren Familien sich keinen Urlaub leisten können. Inzwischen aber habe sich etwas Grundlegendes verändert, sagt Brigitte Thalmann, Leiterin der Abteilung Soziales beim Diakonischen Werk in Speyer. Wurden in den 1940er- und 1950er-Jahren die Kinder mit Untergewicht aufgepäppelt, kämpften heute viele mit Übergewicht. Deshalb wird in den Freizeiten auf eine kalorienärmere, gesunde Ernährung und mehr Bewegung geachtet. Die Diplom-Sozialarbeiterin macht sich für die Freizeiten der Acht- bis 15-Jährigen stark, auch wenn die Finanzierung nicht immer einfach ist.

Das erste Mal Meeresrauschen

Die sozialen Bedingungen hätten sich in den vergangenen Jahren stark verändert, sagt Thalmann. Scheidung und Trennung spielten heute eine größere Rolle, immer mehr Alleinerziehende prägten das neue Bild der Familie. „Nicht nur Eltern, auch Kinder stehen unter Stress. Und dieser kann krank machen“, so die DW-Mitarbeiterin. Umso wichtiger ist es nach ihrer Meinung, die Kinder wenigstens zeitweise aus ihrem Alltag herauszuholen. Dass sie damit richtig liegt, zeigen ihr Reaktionen wie die des Teenagers Marco. Nach einem dreiwöchigen Urlaub an der Nordsee berichtet er, dass er das erste Mal in seinem Leben ohne Asthma-Spray joggen war. Durch die regelmäßige Bewegung war er ein paar überschüssige Pfunde losgeworden. Und: „Nach den Ferien haben mich ganz viele in der Schule angesprochen, dass ich toll aussehe. Das hat so gut getan“, so der Junge ganz stolz. Und Melanie konnte in der Schule erzählen, wie sie das Meer rauschen gehört und die Wellen gespürt hat. Finanziert werden diese Maßnahmen unter anderem über die Krankenkassen und bislang über geringe Zuschüsse der Kommunen. „Doch für Kommunen ist das eine freiwillige Leistung, und aufgrund der Schuldenbremse können und dürfen manche dafür kein Geld mehr ausgeben“, erläutert Thalmann. So hat das Diakonische Werk in diesem Jahr für die Ferienaufenthalte mehr als 25.000 Euro aus Spendenmitteln locker gemacht. Die Abteilungsleiterin hofft, dass auch in Zukunft noch viele Kinder eine Auszeit aus ihrem oft schwierigen Alltag nehmen können. „Denn die soziale Frage stellt sich heute anders, aber nicht weniger dringend.“

Kinderarmut bleibt ein Dauerthema

Mit Kinderarmut werden die Beratungsstellen des DW und die 242 evangelischen Kindertagesstätten, deren Fachberatung in den Händen des DW liegt, tagtäglich konfrontiert. Heute drückt sie sich anders aus als vor 70 Jahren, denn der Unterschied zwischen Arm und Reich sei viel krasser geworden, stellt Thalmann fest: Kinder werden eher zu Außenseitern, weil sie aufgrund der beengten Wohnverhältnisse niemanden zu sich einladen können; weil sie es sich nicht leisten können, mit Mitschülern ein Kino oder einen Freizeitpark zu besuchen; weil sie in keinem Sportverein trainieren können, weil ihre Eltern kein Geld für Sportschuhe haben. Manchen Kindern fehlt gar Grundlegendes wie Schulmaterialien oder Winterschuhe und -jacke. Immer wieder wenden sich Sozialberater an den Kinderhilfsfonds des Diakonischen Werks mit der Bitte um Unterstützung. Auch durch Projekte versucht die Diakonie, dem Ausgegrenztsein von Kindern entgegenzusteuern, beispielsweise im Mehrgenerationenhaus in Ludwigshafen: Dort gibt es Lernpaten, eine Kinderkleiderkammer, Hausaufgabenbetreuung und einen Kindermittagstisch. Thalmann weiß, dass Kinderarmut weiter ein Thema bleibt. Ein Thema, das wie der soziale Friede im Land, „nicht nur Aufgabe der Wohlfahrtsverbände sein kann“, mahnt sie.

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