Rheinland-Pfalz Kerosin in der Luft: „Rauchen ist viel gefährlicher“

Wenn eine Boeing 747 kurz nach dem Start wieder landen muss, kann es sein, dass sie vorher Treibstoff ablassen muss.
Wenn eine Boeing 747 kurz nach dem Start wieder landen muss, kann es sein, dass sie vorher Treibstoff ablassen muss.

Hintergrund: Im Mai ließ ein Langstreckenflugzeug 54 Tonnen Kerosin über der Pfalz ab. Das Thema erregt die Gemüter bis heute.

«Mainz». Bernd Kaina ist Toxikologe an der Universität Mainz. Der Professor kennt sich mit Schadstoffen und deren Wirkung aus. Laut dem Experten ist vor allem das Benzol, das im Kerosin enthalten ist, schädlich für den menschlichen Körper. Darüber hinaus gebe es zwei weitere Stoffe, die als krebserregend gelten, beziehungsweise im Verdacht stehen Krebserkrankungen auszulösen. Fachleute bezeichnen solche Substanzen als Karzinogene.

Acht Prozent erreichen den Boden

Die Menge der Schadstoffe, die beim Ablassen von Kerosin überhaupt am Boden angelangt, ist vergleichsweise gering. Aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine entsprechende Anfrage aus dem Jahr 2016 geht hervor, dass lediglich acht Prozent der abgelassenen Treibstoffmenge die Erdoberfläche erreichen. Den Anteil des krebserregenden Benzols im Kerosin beziffert Uniprofessor Kaina mit durchschnittlich einem Prozent.

Benzol: Einnahme durch Atmung oder über die Haut

Benzol dient im Treibstoff als sogenanntes Antiklopfmittel. Durch unkontrollierte Verbrennung könnte der Motor Schaden nehmen. Die Beimischung von Antiklopfmitteln mit denen der Stoff an Stelle von Sauerstoff reagiert, soll das verhindern. Ein weiterer giftiger Bestandteil im Kerosin ist laut Kaina das Tetraethylblei. Es dient ebenfalls als Antiklopfmittel. Der Stoff Ethylendibromid steht laut Kaina „zumindest im Verdacht“ karzinogen zu sein. Zurück zum Benzol. Dieser Stoff muss in den Körper gelangen, um für den Menschen giftig zu sein. Laut Kaina kann das entweder durch die Atmung oder über die Haut geschehen.

Benzol in der Luft weit unter kritischen Werten

Unabhängig von abgelassenem Flugzeugtreibstoff sind Menschen Benzol auf vielfältige Weise ausgesetzt. Noch in den 1970er- und 1980er-Jahren lag in Deutschland die Benzolemission offiziellen Messungen zufolge bei rund 70.000 Tonnen pro Jahr. Mittlerweile haben die meisten Autos Katalysatoren – zumindest die, die nicht mit Diesel betrieben werden. Zudem ist der Anteil des Benzols im Benzin deutlich geringer als früher. Das macht sich bemerkbar. Die jährliche Benzolemission wird mittlerweile in Deutschland mit nur noch 2800 Tonnen im Jahr beziffert. Kaina sagt: „Die Luft heute ist sauber.“ Die gemessenen Werte lägen hierzulande deutlich unter den als kritisch klassifizierten Angaben.

Wissenschaftliche Studien fehlen

Benzol hat laut dem Mainzer Uni-Professor eine Halbwertszeit von zwei bis fünf Tagen. Das bedeutet, in dieser Zeitspanne ist die Hälfte des Stoffs in der Atmosphäre abgebaut. Wie lange es überhaupt dauert, bis der von Flugzeugen in der Luft abgelassene Treibstoff am Boden ankommt, kann derzeit niemand fundiert sagen. Es fehlen nämlich die entsprechenden wissenschaftlichen Untersuchungen.

Tage, bis der Dampf am Boden ankommt

Klar ist hingegen, dass das Kerosin beim Ablassen fein vernebelt wird und wohl als Dampfgemisch gen Boden sinkt. Der Toxikologe Kaina sagt, dass es sicher Tage dauert, bis die Dampfwolke auf der Erdoberfläche ankommt, nicht nur Stunden. Es sei zudem davon auszugehen, dass der fein vernebelte Treibstoff beim Sinken auseinandergerissen werde, also nicht nur an einer bestimmten Stelle herunterkomme.

"Kurzfristige Belastung" für den Körper

Ebenfalls unklar sei, ob das Kerosin überhaupt in der Region niedersinke, über der es abgelassen wurde. Laut Kaina hängt das von unterschiedlichen Faktoren ab, etwa vom Wind, aber auch von der Ablasshöhe. Die soll eigentlich mindestens 6000 Fuß betragen. Das entspricht etwa 1800 Metern. Kaina bezeichnet die von den Flugzeugen abgesonderten Treibstoffe und die darin befindlichen Stoffe als „kurzfristige Belastung“ für den Körper. Insgesamt sei die Belastung durch abgelassenes Kerosin relativ gering im Vergleich zu der Menge, die notwendig wäre, um etwa an Leukämie zu erkranken, sagt Kaina.

Passivraucher atmen mehr Benzol

Früher erkrankten bestimmte Berufsgruppen, die mit Benzol hantierten, wie etwa Tankwarte oder Schuhlackierer, überdurchschnittlich häufig an dieser Krankheit. Auch heute gibt es noch viele Menschen, die einer extremen Benzol-Belastung ausgesetzt sind: Raucher. Die Wissenschaft geht davon aus, dass ein Kubikmeter Tabakrauch ungefähr 200 Mikrogramm Benzol enthält. So leiden beispielsweise selbst Passivraucher massiv unter Benzol, wesentlich mehr als durch den Stoff, der im abgelassenen Kerosin, Richtung Erde sinkt. Auch wer seinen Rasen mit einem benzinbetriebenen Zweitakt-Mäher schneidet, ist laut Kaina einer Benzolbelastung ausgesetzt. Die entspreche dem Wert von 200 mit Katalysator ausgestatteten Autos.

Kontstante Luftqualitäts-Überwachung gibt es nicht

Die EU hat einen kritischen Grenzwert für Benzol in der Außenluft festgelegt. Der liegt bei fünf Mikrogramm des Stoffes pro Kubikmeter, also 40 Mal geringer als beim Rauchen einer Zigarette. In Deutschland werden laut Kaina in der Luft in der Regel Werte von 1,2 Mikrogramm pro Kubikmeter gemessen – deutlich weniger als die EU für kritisch erachtet. Im Rhein gibt es bekanntermaßen Messstellen, die permanent die Qualität des Wassers überwachen. Für den Luftraum gibt es in der Pfalz nichts Vergleichbares. Eine wissenschaftliche Untersuchung, ob durch das Ablassen von Kerosin die Grenzwerte verschiedener gefährlicher Stoffe in der Außenluft überschritten werden, wäre nicht ganz einfach, aber wohl möglich. Ein Flugzeug müsste genau über einer Messstation Treibstoff ablassen, dann könnten Experten auswerten, was davon am Boden in dieser Region ankommt. Aber auch dabei müssten sie Faktoren wie Höhe, Wind und Temperatur einbeziehen – kein leichtes Unterfangen. Fest steht laut Kaina jedoch schon heute: Wer raucht oder mit einem Zweitakter-Rasenmäher arbeitet, ist einer deutlich stärkeren Gesundheitsbelastung ausgesetzt, als wenn über seinem Wohnort Kerosin abgelassen wird.

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